Baschi Dürr hat Lorenz Nägelin zwangsversetzt, weil dieser intern Kritik übte an der Führung der Sanität Basel. Zwei Jahre später erklärt das Appellationsgericht diese Strafmassnahme für unzulässig.
Die Diskussion vor dem Appellationsgericht dreht sich am Mittwochmorgen knapp zwei Stunden im Kreis. Die Parteien an der Gerichtsverhandlung reden aneinander vorbei. Dann schickt der Gerichtspräsident Stephan Wullschleger die Streitparteien und sämtliche Zuschauer in die Pause. Die Beratung beginnt.
In diesem Prozess steht auf der einen Seite das Justiz- und Sicherheitsdepartement (JSD) von Baschi Dürr, vertreten durch den Anwalt Christoph Meyer. Auf der anderen Seite steht der SVP-Grossrat Lorenz Nägelin, vertreten durch die Anwältin Doris Vollenweider. Nägelin war im JSD als Teamleiter der Rettungssanität angestellt und wurde im Sommer 2013 von Dürr zuerst freigestellt und danach zwangsversetzt. Gegen diese Versetzung wehrt sich Nägelin vor Gericht. Zwei Jahre lang durfte er nicht mehr arbeiten.
Vor Gericht wird nun darüber gestritten, ob es sich bei der Versetzung um eine personalrechtliche Massnahme gemäss Paragraf 12 («organisatorische Versetzung») oder Paragraf 24 («disziplinarische Versetzung») des Baselstädtischen Personalgesetzes handelt. Auch wenn in der Verhandlung vorderhand über ein juristisches Detail gesprochen wird, ist die Geschichte dahinter dramatisch.
Der Konflikt eskalierte
In der Abteilung Sanität schwelte über Jahre ein Konflikt zwischen der Führungsebene und Teilen der Angestellten. Es herrschte Misstrauen, der Führung fehlte die Autorität, ein regulärer Betriebsablauf war durch die Spannungen erheblich gestört. Der Konflikt eskalierte und wurde bald auch in den Medien ausgetragen. Die Geschäftsprüfungskommission (GPK) des Grossen Rates nahm eine Untersuchung auf.
In ihrem dringlichen Bericht fand die GPK im Juli 2013 ungewöhnlich deutliche Worte und forderte einschneidende personelle Konsequenzen auf Führungsebene. So war etwa die Rede von einer «Unfähigkeit der Führungsebene, ein gutes Arbeitsklima herzustellen». Angesichts der «Überforderung» stellte die GPK weiter einen «dringenden Handlungsbedarf» fest und legte «personelle Massnahmen in der Leitung von Sanität und Rettung» nahe. Dürr sah sich unter Handlungszwang.
Nur zwei Wochen später gab der Justizdirektor bekannt, dass zwei Personen aus dem Sanitätskorps versetzt würden. Damit wollte er einen «Kulturwandel» herbeiführen. Eine dieser Personen war der Teamleiter Nägelin, der seine Versetzung nicht akzeptierte.
Auf der JSD-Führungsetage wurde Nägelin als Querulant wahrgenommen, wie Anwalt Meyer vor Gericht ausführlich darlegte. Zwar sei Nägelin als höchst versierter Rettungssanitäter bekannt und bei den Kollegen beliebt gewesen. Doch mit der Eskalation des internen Konflikts sei eine andere Seite seiner Person zum Vorschein gekommen. «Immer und immer wieder stellte sich Herr Nägelin quer. Er hinterfragte konsequent jeden Führungsentscheid und scharte mit seiner einnehmenden Art einen beträchtlichen Teil der Belegschaft hinter sich.» Als «Opinionleader der Opposition» sei Nägelin nicht nur massgeblich an den Unruhen beteiligt gewesen, er habe diese mit seinem Verhalten sogar «verursacht».
«Nägelin tat, was er tun durfte.»
Meyer räumt ein, dass sich Nägelin dabei stets korrekt verhalten habe. «Seine Kritik war inhaltlich fundiert und wurde in angemessenem Tonfall vorgebracht. Er tat, was er tun durfte.» Dennoch habe er mit seiner Art einen konstruktiven Neubeginn in der gebeutelten Abteilung verunmöglicht. Deshalb sah Dürr einen organisatorischen Handlungsbedarf und sprach in einem Schreiben an Nägelin von Oktober 2013 eine «Versetzung nach Paragraf 12» aus. Dem Rettungssanitäter wurde gleichzeitig eine Stelle als Leiter der Militär- und Zivilschutzstelle im gleichen Departement angeboten, bei gleichbleibendem Lohn.
Aus Sicht von Nägelins Rechtsvertreterin, wie übrigens auch der Vorinstanz (Personalrekurskommission BS), handelt es sich bei der Versetzung jedoch eindeutig um eine disziplinarische Massnahme. Weil aber die Vorwürfe an ihren Mandanten für eine Versetzung gemäss Paragraf 24 nicht ausreichen würden, werde die Massnahme als «organisatorische Erfordernis» verkauft. Ein juristischer Etikettenschwindel.
Vollenweider nimmt die schweren persönlichen Anschuldigungen überdies mit Verwunderung zur Kenntnis. «Der offenbar unmögliche Mitarbeiter Lorenz Nägelin wurde über Jahre gefördert, durfte an einem internen Kaderaufbauprogramm teilnehmen und wurde vor wenigen Jahren noch mit einem aussergewöhnlichen Bonus honoriert.»
«Vage Vorwürfe sollen Lorenz Nägelin in ein schlechtes Licht rücken.»
Und nun werde Nägelin mit vagen Vorwürfen gegen seine Persönlichkeit in ein schlechtes Licht gerückt. Insbesondere sei es dem JSD bisher nicht geglückt, diese persönlichen und charakterlichen Verfehlungen zweifelsfrei zu belegen, sagt Vollenweider. «Wir bewegen uns auf sehr dünnem Eis, wenn schon die blosse Behauptung von zwischenmenschlichen Problemen ausreicht, um schwerwiegende personalrechtliche Massnahmen zu begründen.»
Mit ihrer Argumentation konnte Vollenweider das Gericht offenbar überzeugen, Nägelin erhält Recht und darf seine Arbeit als Rettungssanitäter wieder antreten. Nach rund zweistündiger Beratung eröffnet Gerichtspräsident Stephan Wullschleger das Urteil. Er schickt vorweg: «Wir machen mit diesem Entscheid keine Aussage über das Verhalten oder die Rolle von Lorenz Nägelin in diesem betriebsinternen Konflikt. Wir beurteilen einzig die Frage, ob es sich bei der Versetzung um eine organisatorische oder um eine disziplinarische Massnahme handelt.»
Um den Entscheid zu untermauern, holt Wullschleger kurz aus. «Bereits im Juni 2013, also noch vor Erscheinen des GPK-Berichtes, wurde Lorenz Nägelin von seinen Vorgesetzten wegen seines Verhaltens schriftlich abgemahnt.» Eine solche Abmahnung stelle eindeutig ein disziplinarisches Instrument dar und sei eine der Voraussetzungen, um später eine Versetzung gemäss Paragraf 24 aussprechen zu können. «Vor diesem Hintergrund sind sämtliche weiteren Schritte des JSD gegen Nägelin zu betrachten. Man kann nicht einen Weg beginnen und sich dann unterwegs einfach umentscheiden.» Es sei unzulässig, diese Versetzung mit organisatorischen Sachzwängen zu begründen, bloss weil für eine disziplinarische Versetzung die juristische Grundlage fehle.
JSD akzeptiert das Urteil
Nägelin nahm das Urteil mit sichtbarer Erleichterung zur Kenntnis. «Ich bin gelöst, zufrieden und freue mich, endlich wieder arbeiten gehen zu dürfen», sagt er wenig später. Er sei zuversichtlich, dass er sich trotz zweijähriger Absenz und viel zerbrochenem Geschirr schnell wieder in das Team integrieren könne. Ein finanzieller Schaden sei ihm nicht entstanden, da der Lohn weiterhin ausbezahlt worden sei, sagt Nägelin. Er hoffe nun, dass dieser Gerichtsentscheid möglichst schnell umgesetzt werde. «Wann ich meinen ersten Arbeitstag habe, weiss ich aber noch nicht.»
Das JSD reagierte auf den Entscheid mit einem dürren Communiqué. Nachfragen werden nicht beantwortet.
«Im Sommer 2013 hat das Justiz- und Sicherheitsdepartement zahlreiche Massnahmen kommuniziert und umgesetzt, um die personelle Verkrampfung und weitere jahrelangen Probleme innerhalb der Sanität Basel zu lösen. Unter anderem wurden dabei zwei Personen in neue Funktionen versetzt. Der fundamentale Stimmungswandel über die letzten anderthalb Jahre zeigt, dass der eingeschlagene Weg der richtige war. Ein Mitarbeiter hat gegen seine Versetzung rekurriert und nun vor dem Verwaltungsgericht Recht bekommen. Das Justiz- und Sicherheitsdepartement stellt fest, dass eine solche Versetzung in diesem Fall innerhalb des kantonalen Personalrechts nicht möglich ist und akzeptiert diesen Entscheid. Es geht nun darum, den Mitarbeiter wieder als Teamleiter in die Sanität zu integrieren.»
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Kurz-Interview von SRF mit Lorenz Nägelin direkt nach der Verhandlung.