Immer wieder zu Tage tretende Missstände in Sozialinstitutionen zeigen: Die Behörden kontrollieren zu lasch – und reagieren zu langsam auf Warnsignale.
«Wir hätten diese Hinweise ernster nehmen sollen», liess sich Ruedi Hafner, Leiter der Fachstelle Jugendhilfe im Basler Erziehungsdepartement (ED), vor rund zwei Wochen gegenüber der «Basellandschaftlichen Zeitung» vernehmen. So klare Worte der Selbstkritik sind vonseiten der Behörden eher selten zu hören.
Hätte das ED frühzeitig auf die Warnsignale von Mitarbeitenden der Jugendwohngruppe Zunamis im Basler Gellertquartier reagiert und interveniert, wäre es wohl nicht zu sexuellen Übergriffen des Heimleiters auf eine 16- und eine 18-jährige Frau gekommen. Der Heimleiter, an dessen Leistungsausweis Zweifel bestanden, ist zu zwei Jahren und neun Monaten Gefängnis verurteilt worden.
Auch im Fall Wegwarte, der sich zur selben Zeit wie der Zunamis-Skandal ereignete, hätte Schlimmes verhindert werden können, wenn die Aufsichtsbehörden die Alarmrufe von Angestellten ernst genommen hätten. Heinrich Yberg, Leiter der Basler Wegwarte, machte sich keiner Übergriffe auf Heimbewohner schuldig. Aber er setzte zwei Jahre lang Mitarbeiterinnen des Übergangsheims für traumatisierte Frauen mit Kindern stark unter Druck. Das habe sich negativ auf Arbeitsklima und -qualität ausgewirkt, bestätigen mehrere ehemalige Angestellte. Von Anfang an wurden auch die Qualifikationen Ybergs angezweifelt, der sich zudem als Professor und Doktor bezeichnete, obwohl von ihm keine Doktorarbeit vorliegt.
Es zeigen sich ähnliche Handlungsmuster wie im Falle der Wohngruppe Zunamis: Viele wussten von den Missständen in der Wegwarte. Trotzdem dauerte es viel zu lange, bis die Verantwortlichen einschritten. Erst im letzten August wurde Yberg gekündigt und freigestellt – wegen «unterschiedlicher Auffassung» über die Ausrichtung der Stiftung.
«Um das Vertrauen in die Wegwarte wieder herstellen zu können, benötigt es aus unserer Sicht vertrauensbildende Massnahmen», forderten Institutionen wie Opferhilfe, Frauenhaus oder Basler Amtsvormundschaft in einem Brief an den Wegwarte-Stiftungsrat nach dem Abgang Ybergs: «Eine davon könnte das Einsetzen einer neutralen Person in Form einer Ombudsperson oder eines Steuerungsausschusses, ähnlich wie dies in Alters- und Pflegeheimen der Fall ist, sein.»
Wie nötig solche Vorsichtsmassnahmen sind, zeigt die Fortsetzung des Falls Yberg. Am 2. Januar hätte der ehemalige Direktor der Wegwarte als neuer Leiter des Therapie- und Schulzentrums Münchenstein (TSM) beginnen sollen. Yberg gab jetzt seinen Verzicht auf die neue Stelle bekannt, nachdem die TagesWoche seine Geschichte aufgedeckt hatte. Die TSM-Verantwortlichen hätten besser über ihren Kandidaten recherchieren sollen – so wäre allen Beteiligten viel Ärger erspart geblieben.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 23/12/11