Thomi Jourdans Kandidatur für den Baselbieter Regierungsrat scheint aussichtslos. Genau das spornt ihn an.
Thomi Jourdan hat eine Gabe. Das sagt er selber und das sagen Leute, die ihn kennen. Wo er hinkommt, kommt er ins Gespräch, beiläufig und dennoch zielgerichtet. Er kann gut reden, bringt Dinge auf den Punkt, lässt sich auf sein Gegenüber ein.
Wir befinden uns auf einem Spielplatz in Gelterkinden, Jourdan müsste eigentlich für ein Foto posieren. Stattdessen ist er mit einer Gruppe Heranwachsender in ein Gespräch vertieft. Das Thema: Ramadan. Wie das passieren konnte?
Während der Fotograf Stativ und Blitz aufbaute, ist Jourdan durch den Park geschlendert. Dann ist er auf jenes Grüppchen gestossen. Die Jugendlichen liessen eine Flasche eines bunten Alkoholmischgetränkes kreisen. Er sagte: «Ist es dafür nicht noch ein wenig früh?» Sie kicherten. Er sagte: «Es ist euer Leben.» Sie kicherten lauter, verlegen. Er fragte einen der Jungen: «Trinkst du nichts?» Der erwiderte, dass er faste. Ein Mädchen hält den Ramadan für eine Art Diät, die sie «auch einmal ausprobieren» will. Jourdan wendet ein, dass der muslimische Fastenmonat zum Abnehmen nicht viel tauge, schliesslich dürfe nach Sonnenuntergang gegessen werden.
Sieben Jahre Streetworking
Wählen dürfen sie zwar noch nicht, die adoleszenten Trinker. Aber Jourdan kann wohl nicht anders. Er war sieben Jahre «Streetworker». Dabei hatte er täglich mit Jugendlichen zu tun. Als stellvertretender Geschäftsführer der Stiftung Jugendsozialwerk half er zum Beispiel dabei, Unterstützungsangebote für Jugendliche und ihre Familien aufzubauen.
Zuvor gingen wir über den Markt in Gelterkinden. Jourdan wurde von seiner Wahlkampfleiterin Erika Gröflin durch die Strassen gelotst und Leuten vorgestellt. Hände schütteln, freundlich sein, ungezwungen plaudern und sich gleichwohl zur Wahl empfehlen – Jourdan beherrscht die Kunst des Wahlkampfes auf der Strasse. «Legwork» – um einen weiteren Amerikanismus zu bemühen – Beinarbeit also, anstrengend und zeitaufwendig.
Jourdan muss auf die Strasse, sein Gesicht zeigen. Ausserhalb von Muttenz ist er kaum bekannt.
Es ist die Low-Budget-Variante eines Wahlkampfes. Jourdan bleibt nichts anderes übrig, seine Kriegskasse ist leer, auch wenn ihn die SP mit 10’000 Franken unterstützt. Ein Betrag, wie ihn die Genossen zumindest in der jüngeren Geschichte noch nie einem Kandidaten ausserhalb der eigenen Reihen zukommen liessen. Obwohl er in vielen Fragen kein Linker ist, konnte er die Mehrheit der SP-Delegierten offenbar von sich überzeugen.
Kühnes Manöver der EVP
Jourdan muss auf die Strasse und Leute treffen, wenn er Stimmen gewinnen will. Er muss sein Gesicht zeigen. Schliesslich ist er ausserhalb von Muttenz, wo er seit 2008 im Gemeinderat sitzt, kaum bekannt. Geld, um halbseitige Inserate in den Zeitungen zu schalten oder Wahlempfehlungen per Post an Tausende Adressaten zu versenden, hat er nicht.
Ebenso fehlt ihm eine schlagkräftige Partei im Rücken. Bis vor wenigen Wochen war die EVP kaum Gesprächsthema im Baselbiet, dann wurde Jourdan von Vertretern der SP, den Grünen und der GLP über Nacht als Gegenkandidat zum CVP-Favoriten Anton Lauber lanciert. Die Öffentlichkeit reagierte erstaunt ob der neuen Mitte-Links-Formation. Es schien ein kühnes Manöver der Kleinstpartei EVP mit knapp 5 Prozent Wähleranteil, einen Kandidaten gegen den grossen Fraktionspartner CVP ins Rennen zu schicken. Kühn und aussichtslos.
«Er liebt die Debatte, das argumentative Kräftemessen.»
Jourdan selbst bezeichnet seine Kandidatur als «sportlich» und begründet sie damit, eine echte Wahl ermöglichen zu wollen. Natürlich dient das erhöhte Medieninteresse auch seiner Partei, seinem persönlichen Profil sowieso. Alte Landratskollegen (Jourdan war acht Jahre Mitglied der Finanzkommission) erzählen über ihn, dass er die Herausforderung schätze und die Wahl wohl nicht zuletzt deshalb antrete. Sein Parteipräsident, Urs von Bidder, sagt: «Thomi liebt es, sich mit anderen zu messen, intellektuell und argumentativ.» Jourdan scheue keine Konflikte, suche sie sogar aktiv, wenn sie der Lösungssuche dienen, sagt von Bidder. Er erinnert sich an intensive Wortgefechte im Landrat, zwischen Jourdan und Finanzdirektor Adrian Ballmer. «Die beiden diskutierten so lebhaft, dass auch der letzte Landrat seine Zeitungslektüre unterbrach.» Manch einer ist der Überzeugung, dass Jourdan in einer grösseren Partei auch eine grössere politische Zukunft gehabt hätte.
Seine Lust an der Auseinandersetzung findet dort ein Ende, wo es persönlich wird. Fragen nach seinem Glauben beispielsweise blockt er etwas unwirsch ab. Zu oft sei sein Glaube in den Medien verzerrt und falsch dargestellt worden. Ohnehin wundert es ihn, warum seine religiösen Ansichten nun zum grossen Thema hochstilisiert würden. «Es geht um den freien Sitz im Regierungsrat, um das Amt als Volkswirtschafts- und Gesundheitsdirektor», dafür sei er, der studierte Ökonom und Personalleiter im Basler Felix-Platter-Spital, bestens qualifiziert.
Kein Freund simpler Antworten
Thomi Jourdan betont eins ums andere Mal, dass er Wert darauf lege, in seinem Facettenreichtum wahrgenommen zu werden. «Ich nehme mir auch die Zeit, mir ein differenziertes Bild meines Gegenübers zu machen.» Er fordert das Gleiche.
Weshalb wird bald klar: Jourdan hadert mit den absoluten Antworten, die manche Gläubige auf gesellschaftspolitische Fragen wie jene nach der Sterbehilfe geben. «Wenn zum Beispiel im Spital eine alte, todkranke Dame zu mir kommt und um Sterbehilfe bittet, dann will ich natürlich alles dafür tun, dass dieser Schritt nicht nötig wird. Aber wenn sie sich danach vom Dach stürzt, habe ich niemandem einen Gefallen getan, nur weil ich einer persönlichen Überzeugung gefolgt bin.» Die Realität verschliesse sich einfachen Antworten. Ob diese nun einem religiösen Glauben entspringen oder einer politischen Ideologie, spiele dabei keine Rolle, sagt Jourdan.
Es sind Fragen, die sich Jourdan täglich selbst stellt. Er sucht die Auseinandersetzung, mit sich, mit politischen Gegnern, mit realen Problemen. Im Abwägen der verschiedenen Argumente, im Finden von Lösungen, die möglichst viele Interessen vereinen: Darin sieht Jourdan seine Aufgabe als Politiker.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 24.05.13