Die französische Regierung ist gefallen, genügt haben ein paar Gerüchte. Unser Frankreich-Korrespondent analysiert die Probleme der «Grande Nation» und ihres Präsidenten François Hollande.
Ein paar Politikersprüche genügten, um die Regierung der weltweit fünftgrössten Volkswirtschaft zu Fall zu bringen. Dabei sagte Arnaud Montebourg eigentlich nichts Anderes als Präsident François Hollande. Die «Austerität», also die deutsch untermauerte Sparpolitik des Euroraums, würge die Konjunktur ab und erhöhe die Massenarbeitslosigkeit, erklärte der turbulente Wirtschaftsminister am Sonntag. Nur der Ton war unterschiedlich: Während Hollande mit Angela Merkel die Konfrontation vermeidet, haut Montebourg auf den Tisch – und greift gleich auch noch den Staatspräsidenten selbst an.
Das genügte, um die Spannungen in der regierenden Parti Socialiste (PS) zum Ausbruch zu bringen. Montebourg und sein Alliierter auf dem linken Parteiflügel, Bildungsminister Benoît Hamon, flogen im hohen Bogen aus der Regierung; Hollande und sein Premierminister Manuel Valls behalten in den Wirtschaftsressorts nur loyale und sozialliberale Pragmatiker wie Michel Sapin oder Emmanuel Macron. Über Nacht öffnete sich der tiefe Graben durch die Partei.
Dampfer «France» hat Schlagseite und Hollande muss es ausbaden
Die Ironie will es, dass ausgerechnet der Konsenspolitiker Hollande, der als ehemaliger PS-Sekretär am liebsten unterschiedliche Standpunkte zu einer Synthese vereint, seine Partei in zwei Lager spaltet. In der linksliberalen Zeitung «Le Monde» meinte einer seiner Befürworter mit Vornamen Didier: «Man muss die Augen öffnen, die Welt ist nun einmal kapitalistisch.» Eine andere PS-Wählerin namens Marie klagte hingegen: «Wirtschaftspolitisch unterscheidet sich die Regierung nicht mehr von ihrer Vorgängerin [unter dem Konservativen Nicolas Sarkozy, die Red.]. Das ist nicht das, was uns 2012 verkauft wurde.»
Im Präsidentschaftswahlkampf vor zwei Jahren hatte Hollande die «Finanzwelt» zu seinem «eigentlichen Gegner» erklärt. In einem katholischen Land, wo Geld grundsätzlich Sünde ist, zieht das immer: Von den Zentristen um François Bayrou über die Grünen bis zu den Kommunisten scharten sich die Wähler hinter den Widersacher Sarkozys.
Einmal im Amt, musste Hollande seine hehren Wahlversprechen nacheinander beerdigen; derzeit versucht er, die Unternehmensabgaben und zugleich die Staatsausgaben um 50 Milliarden Euro zu senken – ein liberaleres Vorhaben, als es Sarkozy oder dessen Vorgänger Jacques Chirac jemals durchgezogen hatten.
Die Massnahme ist unumgänglich in einer Volkswirtschaft, in der der Staat für 57 Prozent des Bruttoinlandproduktes sorgt. Rechte wie linke Regierungen haben auch die Arbeitslosigkeit und die Staatsschuld seit dreissig Jahren in die Höhe schnellen lassen. Hollande ist an der misslichen Situation von Wirtschaft und Staatsfinanzen nicht schuld; aber er muss sie jetzt, da der Dampfer «France» Schlagseite kriegt, persönlich ausbaden.
Der grosse Fehler des Präsidenten
Der grosse Fehler des aktuellen Präsidenten bestand darin, weiterhin mit dem sozialistischen Traum hausiert zu haben, obwohl er um die ökonomische Realität wusste. François Mitterrand, der erste sozialistische Ex-Präsident von 1981 bis 1995 und Hollandes Ziehvater, hatte zwar nicht anders gehandelt. Doch heute ist die französische Volkswirtschaft so zerrüttet und so reformbedürftig, dass Hollande gar nicht mehr anders kann, als – zögernd – den Rückwärtsgang einzulegen. Zeichen der Zeit: Am Dienstag bestimmte Hollande, der erklärte Gegner der Finanzwelt, den ehemaligen Rothschild-Banker Emmanuel Macron zum Nachfolger Montebourgs im Wirtschaftsministerium.
Dass Frankreichs Stunde der Wahrheit in eine sozialistische Amtszeit fällt, ist Zufall. Umso grösser ist jedoch die Ernüchterung unter vielen «camarades», jenen Genossen, die ihre Grande Nation doch als letztes Bollwerk gegen das Grosse Kapital gesehen haben.
«Reise ins Land der Desillusionierung» betitelte die grüne, den Linkssozialisten nahestehende Politikerin Cécile Duflot ihr neustes Buch, eine harte Abrechnung mit Hollande. Die schon im April freiwillig aus der Regierung ausgeschiedene Ex-Wohnbauministerin wirft Hollande nichts weniger vor, als dass er «die Linke zum Verschwinden bringen» werde. Was gleichbedeutend ist mit dem Verschwinden des Staates, der Republik – Frankreichs. Les socialistes, die das stolze Erbe der Revolution von 1789 in ihren Genen tragen, haben nie ihr «Bad Godesberg» durchgemacht wie die deutsche SPD im Jahre 1959 – also vor mehr als einem halben Jahrhundert!
Ein Rücktritt aus Solidarität
Zwei Seelen kämpfen weiterhin in der Brust der Partei: Die eine, die reformersich-sozialdemokratische von Hollande und Valls, steht zur Marktwirtschaft und akzeptiert liberale Vorgaben wie Budgetdisziplin und Angebotspolitik; die andere hingegen will den globalen Kapitalismus weiterhin überwinden. Bevor Montebourg Wirtschaftsminister wurde, schrieb er ein Buch mit dem bezeichnenden Titel «Wählt die Ent-Globalisierung».
Aus Solidarität mit Montebourg trat am Montag auch Kulturministerin Aurélie Filippetti von ihrem Amt zurück. «Unsere Wähler sind in Not», schrieb sie in einem Brandbrief an Hollande. «Sie werden in die Desillusion oder gar die Arme des Front National getrieben, wie in Hayange, einer Symbolstadt der Metallverarbeitung in Lothringen, wo die Hochöfen heute stillgelegt sind. Ich wurde in dieser Region gewählt, und es ist meine Verantwortung, auf diese Wähler zu hören, die ihre Hoffnungen in die Linke gesetzt hatten.»
Die Hollandisten kontern, dass die Parteilinke keine praktikablen Rezepte gegen die Desindustrialisierung und die Massenarbeitslosigkeit habe; auch im Wirtschaftsressort habe Montebourg kaum etwas zustande gebracht. Doch die «frondeurs» (Aufständischen), die wohl nur etwa zehn Prozent der 291 PS-Abgeordneten stellen, bewirken fast zehnmal so viel Bürger- und Medienecho wie die Elysée-Elite. Sie wissen, sie werden in dieser Welt verlieren wie ihre Idee von der Republik. Aber zuerst leisten sie noch Widerstand. Und die Résistance haben die Franzosen in den Adern wie die Revolution. Hollande ist gewarnt.