Die Europäische Weltraumorganisation ESA feiert ihr 50-jähriges Bestehen: Es ist eine Erfolgsgeschichte, an der auch die Schweiz ihren Anteil hat.
Wir alle kennen die Countdown-Bilder, die uns regelmässig in die Stuben geliefert werden: das rasende Feuer um die langsam abhebende Rakete, nachdem die Halteklammern abgeworfen sind, und die rückwärts zählende Männerstimme, die bei «Zero» angelangt ist. Wer da fliegt, womit man fliegt und wohin, merken wir uns in der Regel nicht.
Viel später, vielleicht Jahre später werden uns wieder Bilder gezeigt, Bilder des Ankommens: In diesen Tagen ist uns schon jetzt – simuliert – die Landung einer 200-Millionen-Euro-Raumsonde gezeigt worden, die am 11. November auf dem Kometen 67P/Tschurijumow-Gerasimenko auf vorbestimmtem Punkt stattfinden soll. Von diesem bereits in allen Zeitungen abgebildeten Kometen wird gerne kolportiert, dass seine ungewöhnliche Form an eine Gummi-Ente erinnert.
Der Doppelname des Kometen (abgekürzt: «Tschuri» – fast wie ein Hunde- oder Vogelname) stammt von den beiden Entdeckern des Kometen im russischen Alma-Ata im Jahr 1969. Der Name des Landegerätes heisst nobel «Philae» und derjenige der Muttersonde, die den langen Weg seit zehn Jahren dorthin zurückgelegt hat, heisst ebenfalls nobel «Rosetta», beide gehen auf ägyptische Kultur der vorchristlichen Zeit zurück – Antike trifft Zukunft.
Ein etwas aufgeblasenes Jubiläum
«Rosetta» ist eines der vielen Erfolgsprojekte der European Space Agency (ESA). Einer Agentur, die am vergangenen Wochenende in Genf nicht nur die bevorstehende Landung auf diesem Kometen, eine Premiere unseres Globus, sondern auch gleich ihr 50-jähriges Bestehen feiern kann. Ganz ungetrübt dürfte dieses Feiern nicht gewesen sein.
Kurz zuvor waren zwei Satelliten des Galileo-Programms (Nr. 5 und Nr. 6) zwar erfolgreich und fast routinemässig vom europäischen Weltraumbahnhof Kourou in Französisch-Guyana mit einer russischen Sojus-Rakete ins All befördert worden, aber nicht auf der vorgesehenen Höhe von 23’522 Kilometern platziert, sondern auf einem leicht tieferen Orbit. Eine Korrektur, heisst es, sei kompliziert, aber nicht ganz unmöglich.
Seit den Anfängen mit dem berühmten Sowjet-«Sputnik» von 1957 werden mittlerweile derart viele Raketen in den Himmel geschossen, dass solche Unternehmen kaum mehr Nachrichtenwert haben. Das Genfer Jubiläum der ESA hat es dagegen geschafft, für einen Moment beachtet zu werden.
Es ist aber – wie meistens – ein etwas aufgeblasenes Jubiläum: Die ESA entstand eigentlich erst 1975, also vor 39 Jahren, aber man kann auf die bereits 1965 entstandene Vorläuferorganisation zurückgreifen, die European Space Research Organisation (Esro).
Wenn man feiert, muss man etwas vorweisen können. Das kann die ESA. Dafür stehen beispielsweise die bekannten Namen der erfolgreichen Trägerraketen «Ariane», der Kometenmission «Giotto» oder des Sonnensatelliten «Soho». Die ESA unterhält ein eigenes Astronautenkorps und versorgt die internationale Raumstation (ISS).
Die Schweiz ist mit dabei
Die Schweiz hat einen doppelten Grund mitzufeiern: Erstens ist die ESA beziehungsweise die Esro im schweizerischen Genf gegründet worden, und zwar in den Räumen des bekannten Cern in Meyrin. Hier wurde am 1. Dezember 1960, drei Jahre nach dem «Sputnik-Schock», der Vertrag über eine vorbereitende Europäische Kommission für Weltraumforschung unterzeichnet, im Rahmen der weltweit ersten internationalen Weltraum-Konferenz.
Und zweitens: Die Schweiz war von Anfang an dabei, hat mitgewirkt und auch davon profitiert. Die Eidgenossenschaft unterhält ein Swiss Space Office (SSO) mit der irdischen Adresse Hallwylstrasse 4, 3003 Bern. Da wir gerne in Personenkategorien denken, wissen wir, dass Claude Nicollier «unser» Astronaut ist und bis 2007, bevor er an die ETH wechselte, Mitglied des ESA-Astronautenkorps war.
Die Schweiz bezahlt zurzeit jährlich rund 150 Millionen Franken an das Budget, etwa 3,4 Prozent. Die schweizerische Industrie erhält dafür Aufträge in der Höhe von etwa 170 Millionen Franken. Bundesrat und Wissenschaftsminister Johann Schneider-Ammann betonten denn auch, dass damit eine Technologieförderung verbunden sei, die auch der breiten Bevölkerung zugute käme und die Gründung von Startup-Unternehmen begünstige.
Der schweizerische Beitrag zu «Rosetta» läuft unter dem Namen «Rosina», was mehr als nur ein schöner Name und ein Akronym für «Rosetta Orbiter Spectrometer for Ion and Neutral Analysis» ist. Es ist eines der elf Experimente, welche während dieser Mission durchgeführt werden. Die drei Instrumente, die dafür gebraucht werden, sind von einem Team der Universität Bern entwickelt worden. In diesem Experiment sollen die vom Kometen ausgestossenen chemischen Elemente analysiert werden.
Etwas gegen den täglichen Schnupfen?
Wir können uns die nicht sehr originelle Frage stellen, warum man nach dem Weltall greifen soll, wenn wir die täglichen Staus auf unseren Strassen oder unseren Schnupfen oder die Verödung unserer Alpentäler doch nicht in den Griff bekommen beziehungsweise loswerden. Das sind aber keine Alternativen. Man könnte das Weltall auch unerforscht lassen, wir hätten trotzdem unsere Schnupfen et cetera. Ziel der «Rosetta»-Mission ist nichts weniger als das Sammeln von Informationen, welche Aufschluss über die Entstehung des Universums geben können.
Die ESA strebt aber auch Dinge von offensichtlichem Nutzen an. Ein einleuchtendes Beispiel für einen praktischen Ertrag ist das Global Positioning System (GPS). Bisher war man in dieser Sache völlig von den USA abhängig. Das 1973 gestartete Projekt hatte bis 1983 rein militärischen Charakter und könnte auch heute noch aus militärischen Interessen jederzeit der zivilen Nutzung wieder entzogen werden.
An zweiter Stelle im Wettrennen im Weltall steht Russland, gefolgt von China, das auch schon 9 der dafür benötigten 30 Satelliten auf Umlaufbahnen hat. Die EU wird für ihr «Galileo»-System gegen 5,3 Milliarden Euro einsetzen müssen, bis sie, wenns gut geht, im Jahr 2020 ihr eigenes Navigationssystem hat. Ein solches System hilft nicht nur den Autofahrern beim Finden der Route, sondern auch Landwirten bei der Ernte, Piloten beim Landeanflug oder Rettungsdiensten beim Orten von Verletzten.
Welche sind die Antriebskräfte und wer die Verantwortlichen hinter dem, was am Himmel über uns geschieht? Es walten da Kräfte in einer Mischung von Unabhängigkeit und Abhängigkeit.
Die ESA steht zwar mit der EU in einer näheren und nicht immer harmonischen Beziehung. Sie setzt aber wenn möglich auf weltweite Partnerschaften, arbeitet sowohl mit Amerika als auch Russland zusammen. Das Weltraumteleskop Hubble ist ein Gemeinschaftsprojekt ESA-USA.
Die Schweiz lancierte 2009 ihren ersten Satelliten, den 10x10cm-«Swisscube», zusammen mit Indien. Und bei USA-Russland läuft die Zusammenarbeit im Weltraum offenbar reibungsloser als auf Erden.
Blick in den Himmel
Man kann der ESA zugute halten, dass es ihr gelingt, die irdischen Bemühungen um die Weltraumerschliessung (ein vermessenes Wort) global und nicht beschränkt auf eine Regionalorganisation zu betreiben. Andererseits zeichnet es die EU aus, dass sie sich auch da engagiert und einmischt.
Hier ist in grossem Masse Kooperation gefragt, eine Kooperation, die im kleinen Basler Raum zwischen Stadt und Land manchmal so erstaunlich schwerfällt. Wünschbar wäre, wir würden vom ehemaligen Schlachtfeld der Hülftenschanz ein wenig in den Himmel schauen und dem Projekt der Erarbeitung einer allfälligen Zusammenlegung der beiden Halbkantone eine Chance geben.