Kosmopolit zwischen Maroua, Nagoya und Basel

Der kamerunische Historiker Adama Ousmanou forscht zu Macht, Religion und Ethnizität im Tschadbecken. Er hat Feldstudien in Nigeria durchgeführt und kennt den Terror Boko Harams aus eigener Erfahrung. Noch bis September forscht er als Postdoc-Stipendiat am Zentrum für Afrikastudien Basel.

In Basel findet Adama Ousmanou Anschluss an eine internationale Forschungsgemeinde.

(Bild: Christian Flierl)

Der kamerunische Historiker Adama Ousmanou forscht zu Macht, Religion und Ethnizität im Tschadbecken. Er hat Feldstudien in Nigeria durchgeführt und kennt den Terror Boko Harams aus eigener Erfahrung. Noch bis September forscht er als Postdoc-Stipendiat am Zentrum für Afrikastudien Basel.

Das Thermometer zeigt an diesem Freitagnachmittag erstmals 37°C. Passend zum Besuch am Zentrum für Afrikastudien Basel (ZASB), wo im Dachstock in Wandregalen mehrere Dutzend Zeitschriftenhalter stehen, beschriftet mit Namen wie «Sahara», «Zimbabwe», «Zaire», «Uganda» und «Cap Verde». Es sind Notizen von Feldstudien, «eine wissenschaftliche Goldmine», wie Adama Ousmanou später in einem klaren, gemächlichen Französisch mit leichtem Singsang sagen wird. Hier oben im Dachstock hat er sich gemeinsam mit zwei Doktoranden sein Büro eingerichtet. Die Fenster sind weit geöffnet. Auf seinem Schreibtisch liegt ein Laptop, daneben ein Plan mit den exakten Gebetszeiten eines guten Muslims.

Unterricht im Einzugsgebiet Boko Harams

Ousmanou kam im September 2014 im Rahmen eines Stipendiums als Postdoc für ein Jahr nach Basel. Als Gastwissenschaftler am ZASB beschäftigt er sich aktuell mit Beispielen für die friedliche Koexistenz von unterschiedlichen religiösen und ethnischen Gruppen in Nordkamerun und Nordnigeria. Hier in Basel findet er mehr Zeit zum Forschen als gewöhnlich an seiner Heimuniversität in Maroua, im Norden Kameruns. Dort kennt ihn praktisch die gesamte Stadt. Die Menschen sind neugierig, und eine Begegnung mit dem «Prof» mündet meist in einen längeren Schwatz – ganz egal, welchen Plänen die sich Begegnenden gerade nachgehen.

Die Université de Maroua ist noch jung. Sie wurde 2008 gegründet, nach französischem Vorbild, dem Land, unter dessen Kolonialherrschaft der grösste Teil Kameruns bis 1960 stand. Maroua liegt in derjenigen «région de l’Extrême-Nord», die seit Anfang Jahr ebenfalls von der hauptsächlich in Nigeria operierenden islamistischen Terrormiliz Boko Haram heimgesucht wird. Seither herrscht Ausnahmezustand, wie Ousmanou berichtet: Die Region ist mit Militärcheckpoints übersät, an der Grenze wurden Schulen geschlossen. In der Stadt gilt von 18 Uhr bis Sonnenaufgang ein Moped-Verbot, aus Angst vor Selbstmord-Attentaten. Mütter müssen zu Hause gebären, weil Transportmöglichkeiten für den Weg ins Spital fehlen. Und die Lebensmittelkosten steigen wegen der geschlossenen Grenze zu Nigeria weiter an.

Ousmanous Forschungsinteresse gilt dem Terror Boko Harams und den Spannungen im Tschadbecken.

Maroua ist zu einem weiteren Satelliten eines vielschichtigen Konflikts geworden, der durch Spannungen zwischen verschiedenen Ethnien, politische Machtkämpfe, religiös begründete Ideologien sowie viel Waffen und Armut angefeuert wird. Ousmanou erzählt von einem Jugendfreund, der von Maroua an die Grenze zum Tschad fuhr, um dort seine erste Stelle als Lehrer am Lycée anzutreten. Auf dem Weg dahin geriet er in einen Hinterhalt Boko Harams. Wenig später wurde er enthauptet aufgefunden. «Der islamistische Terror in Afghanistan und Irak war einmal weit weg. Doch heute steht er vor unserer Haustür», klagt Ousmanou. Erst am Vortag unseres Gesprächs hatte Boko Haram in Nigeria Moscheen und Häuser überfallen und 97 Menschen getötet. Muslime sind mittlerweile genauso Opfer des «islamistischen» Terrors wie Christen.

Dem Terror Boko Harams und den Spannungen im Tschadbecken gilt auch Ousmanous Forschungsinteresse. Seine Doktorarbeit war eine komparative Studie zur Rolle von Islam, Ethnizität und Macht in Kamerun, Tschad und Nigeria. Vier Jahre lang hat er sich intensiv mit den Konflikten im westafrikanischen Dreiländereck beschäftigt. Während mehrerer Aufenthalte in den drei Ländern sprach er mit Meinungsführern und Entscheidungsträgern; interviewte Ex-Minister, Regierungsvertreter, christliche, muslimische und traditionelle Religionsführer, Genossenschafter und Vertreter der Zivilgesellschaft.

Seither tritt Ousmanou auch in den Medien als Experte für Konflikte im Tschadbecken auf. Er gibt Interviews und bringt etwas Licht ins Schattenreich Boko Harams. Im April wurde er von «Arte» ins Studio geladen, um die Wahlergebnisse in Nigeria zu kommentieren. Und bald soll seine Doktorarbeit, angeregt durch das ZASB, als Buch erscheinen.

Wissensdurst in Japan

Als Kind wollte Ousmanou eigentlich Botschafter werden. Er wollte reisen, Länder entdecken, faszinierende Menschen kennenlernen. Deshalb entschied er sich für ein Geschichtsstudium, das zur Bewerbung am «Institut des relations internationales du Cameroun» (Iric) ermächtigt. Doch es kam anders: Während des Masterstudiums packte ihn der Wissensdurst; Ousmanou wollte weiter lernen, tiefer forschen, die Konflikte in seiner Heimat besser verstehen. Sein Doktorat absolvierte er nicht an der Heimuniversität, sondern in Nagoya, Japan, wo es ein Institut für Methoden in komparativen sozialwissenschaftlichen Studien gibt. Das entsprach seinem Forschungsvorhaben. Um Wissen zu finden, müsse man, wenn nötig, bis nach China fahren, zitiert Ousmanou den Propheten Mohammed (zu dessen Lebzeiten China eine kulturelle Hochblüte erlebte).

Sechs Jahre lebte er in Japan; heute spricht er mühelos Japanisch. «Ich habe dort mehr Gemeinsamkeiten mit meiner Heimat gefunden als hier in der Schweiz», erzählt er. «Nicht nur in der Vorliebe für Gemeinschaft gegenüber Individualität, sondern auch in der Achtung der Älteren, die bei uns in Kamerun genauso in unterschiedlichen Höflichkeitsformen zum Ausdruck kommt wie in Japan.» In Nagoya lernte er auch Wissenschaftler aus Zürich und Genf kennen, die ihm vom Zentrum für Afrikastudien in Basel erzählten.

«Comme un grand carrefour», wie eine grosse Kreuzung, beschreibt er das ZASB heute. Es verschafft ihm Anschluss an eine internationale Forschungsgemeinde, die ihm an seiner Heimuniversität oft verwehrt bleibt. Ousmanou präsentiert seine Arbeiten auf Konferenzen in ganz Europa und baut sein akademisches Netzwerk weiter aus. Zugleich hat er durch das interuniversitäre Bibliotheksnetzwerk Zugang zu einer Fülle von Literatur, die ihm zu Hause nicht offen steht; vor allem aus dem angelsächsischen Raum. Deshalb füllt er derzeit seinen Laptop mit PDFs von gescannten Büchern und Artikeln aus akademischen Magazinen. Nicht nur für sich und seine Forschung, sondern vor allem auch für seine Studenten in Maroua.

Ousmanous Lieblingsort ist das Rheinufer, wo er sich auch einmal spontan in eine Diskussion einklinkt.

Vom Austausch profitieren aber nicht nur er und seine Heimuniversität, sondern genauso seine Basler Arbeitskollegen und -kolleginnen, ist Ousmanou überzeugt. «Heute wagt sich keine Universität mehr, Forscher in den Norden Nigerias zu schicken, in ein Kriegsgebiet. Ich habe dort gearbeitet, habe Felderfahrung und verlässliche, zitierbare Quellen – all das mache ich meinen Kollegen und Kolleginnen hier zugänglich.»

In Basel hat sich Ousmanou mittlerweile bestens eingelebt. Die Stadt sei «conviviale et pratique», sagt er. Der öffentliche Verkehr, die Kleinräumigkeit mit vielen Geschäften in Gehdistanz, die Nähe zur Natur, die reibungslose Administration, das egalitäre Rechtssystem – das gefällt ihm. Manchmal trifft man ihn samstags auf dem Flohmarkt auf dem Petersplatz. Dort hat ihm kürzlich ein Verkäufer einen tarngrünen Armeegürtel geschenkt, mit eingraviertem Schweizerkreuz auf der Schnalle. Ousmanou trägt ihn oft. Sein Lieblingsort sei jedoch nicht der Petersplatz, sondern «le long du Rhin», das Rheinufer. «Der kosmopolitische Charakter dort ist einzigartig», erzählt er.

Regelmässig setze er sich ans Bord und lausche den Gesprächen, die um ihn geführt werden – in Deutsch, Englisch, Arabisch, Französisch und Japanisch. Basel sei eine Stadt mit starkem Willen zur Pluralität, eine Stadt der vielen Identitäten, ist er überzeugt. Das zeige sich schon alleine an der Sprachenvielfalt. Manchmal klinkt er sich am Rheinufer spontan in eine Diskussion ein. Auch das macht für ihn den Zauber dieses Ortes aus, «die Möglichkeit informeller Begegnungen». Das sei rar in der Schweiz: «Der Grad an Planung und Beschäftigung der Menschen hier lässt dafür kaum Zeit.» Er sei stets darauf bedacht, dass er nicht unwillentlich die Pläne seiner Mitmenschen durchkreuze. Ousmanou formuliert das nicht als Klage, vielmehr als interessante Beobachtung des hiesigen Alltags, der geprägt ist von Individualität und Anonymität.

Zurück in den Ausnahmezustand

In wenigen Wochen läuft das Stipendium aus, dann kehrt der 37-jährige Forscher nach Maroua zurück. Hat er Angst vor der Rückkehr in seine Heimat? Das Gefühl von Sorglosigkeit und Sicherheit existiere nicht mehr, sagt er traurig – unabhängig davon, dass Maroua bislang von Anschlägen verschont geblieben sei. Die Zusammenarbeit zwischen Nigeria, Kamerun und Tschad gegen die grenzüberschreitend operierende Terrormiliz sei nach wie vor komplett ungenügend. Auch die anfängliche Aufbruchstimmung nach den erfolgreichen Wahlen in Nigeria im April, welchen ein heftiger militärischer Vorstoss gegen Boko Haram vorausgegangen war, sei wieder verflogen. «Täglich sterben Unschuldige ohne Grund – weshalb?» Ousmanou spricht nun nicht mehr als Historiker, sondern wieder als Betroffener.

Es ist kurz vor 18 Uhr, das dritte Gebet des Tages steht an. Ousmanou bringt den Besucher zur Tür, schwingt sich mit seinen schwarzen Sandalen aufs Fahrrad und braust Richtung Moschee am Schafsgässlein davon. Die Luft ist noch immer schwül und heiss; das Hemd klebt am Rücken. Für einen Moment fühlt sich Basel an wie Marrakesch. Nur dass nirgends ein Muezzin zum Gebet ruft.

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