Kriegstreiber ausser Kontrolle

Die Spaltung im Visier: Im Osten der Ukraine stürmen prorussische Kämpfer Regierungsgebäude – während Nationalistische Paramilitärs Gegenschläge vorbereiten. Doch die grösste Angst ist, dass das Volk zu Waffen greift.

Ein ukrainischer Soldat beobachtet aus der Ferne die unidentifizierbaren Soldaten aus Russland. (Bild: Vasily Fedosenko/Reuters)

Die Spaltung im Visier: Im Osten der Ukraine stürmen prorussische Kämpfer Regierungsgebäude – während Nationalistische Paramilitärs Gegenschläge vorbereiten. Doch die grösste Angst ist, dass das Volk zu Waffen greift.

Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, wie ernst die Lage in der Ukraine ist, dann lieferte ihn Waleri Boikom in der Nacht zu Montag. Der Kommandeur einer ukrainischen Militärbasis auf der von Russland kontrollierten Halbinsel Krim sagte dem Sender Euronews: «Wir sind bereit, unser Land zu verteidigen. Aber ich wiederhole: Wir hoffen auf einen Kompromiss, auf eine Entscheidung, die einen Krieg verhindert.»

Boikom brachte mit schlichten Worten die Angst seiner Soldaten vor der tödlichen Gefahr zum Ausdruck.

Die Militärs warnen in der Ukraine derzeit am deutlichsten vor einem drohenden Krieg. Politiker und selbsternannte Volkstribune üben sich dagegen in martialischer Rhetorik. Von der «Alarmstufe Rot» und einer russischen Kriegserklärung sprach Übergangspremier Arseni Jazenjuk. «Wir werden die Krim niemals aufgeben», erklärte er am Montag.

Kämpferisch präsentierte sich aber vor allem der Führer des ultranationalistischen Rechten Sektors, Dmitri Jarosch. «Wir garantieren die Sicherheit der Bürger auf der Krim», sagte der 42-Jährige und kündigte eine Art paramilitärischer Mobilmachung an. Seine Organisation habe ein Hauptquartier eingerichtet, das die Aktionen der Truppen koordinieren werde, die der Rechte Sektor landesweit aufstellen will.

Plan gegen die Invasion

«Die vordringliche Aufgabe des Hauptquartiers ist es, einen Plan zu erarbeiten, um jene Regionen der Ukraine zu schützen, die von einer russischen Invasion zuerst betroffen wären», erklärte Jarosch. Er hatte dabei ausser der Krim vor allem die östlichen Gebiete um Donezk, Lugansk und Charkiw im Sinn, über deren Abspaltung von der Ukraine seit Tagen spekuliert wird.

In Donezk stürmte am Montag eine aufgebrachte Menge das Gebäude der Regionalregierung. Mehrere Tausend moskautreue Aktivisten holten die ukrainische Flagge ein und ersetzten sie durch eine russische. Zuvor hatte sich ihr Anführer Pawel Gubarew zum Gouverneur des Industriegebietes Donbass ausgerufen und Russland um militärischen Schutz gebeten.

Die Puppen tanzen

Gubarew forderte ein Referendum über den Status der Region. Nach einem ähnlichen Muster hatte auf der autonomen Krim Regierungschef Sergei Aksjonow die gesamte Macht übernommen. Er gilt als politische Marionette des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Der Kremlchef behielt sich zuletzt ausdrücklich ein militärisches Eingreifen im gesamten Osten der Ukraine vor.

Abgeordnete der Staatsduma in Moskau erklärten am Montag erneut, es gehe in der Streitfrage nicht um die territoriale Integrität der Ukraine, sondern um das Selbstbestimmungsrecht der russischsprachigen Bevölkerung. Der Westen wirft Russland einen Bruch des Völkerrechts vor.

Bereits am Wochenende war es in Charkiw zu ähnlichen Szenen wie am Montag in Donezk gekommen. In der Universitätsstadt schützt derzeit eine moskautreue Menge die berühmte Leninstatue auf dem Freiheitsplatz. Der Gebietsrat der östlichsten ukrainischen Region Lugansk erklärte, die Übergangsregierung in Kiew nicht anzuerkennen.

Im südrussischen Odessa stürmten prorussische Protestierer den Stadtrat. Auf der Krim selbst verstärkte Moskau am Montag seine Militärpräsenz und lancierte Pläne, die Halbinsel vom ukrainischen System der Energieversorgung abzukoppeln.

Mindestens zehn russische Kampfhubschrauber und acht Transportflugzeuge sollen nach unterschiedlichen Angaben auf der Krim gelandet sein.

Die Insel ist schon russisch

Faktisch steht die Halbinsel am Schwarzen Meer seit dem Wochenende unter russischer Kontrolle. Die Offensive der nationalistischen ukrainischen Paramilitärs, die ihr Anführer Jarosch angekündigt hat, dürfte sich deshalb vor allem gegen Provokationen wie in Donezk, Charkiw und Lugansk richten.

Der Befehlshaber des Rechten Sektors, den die Kiewer Übergangsregierung zum Vizechef des Nationalen Sicherheitsrates gemacht hat, um ihn in die Verantwortung einzubinden, hatte zuvor bereits kaukasische Separatisten aufgerufen, sich gegen die Aggressionen des Kremls mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zur Wehr zu setzen. Russische Strafverfolger sehen darin einen Aufruf zum Terrorismus und schrieben Jarosch am Montag zur Fahndung aus.

Angst vor Kämpfen im Volk

Die Konfrontation zwischen ukrainischen und prorussischen Nationalisten im Osten des Landes birgt nach Einschätzung von Experten die grösste Sprengkraft in dem Konflikt. «Der Westen und Russland sind relativ berechenbar», sagte der Berliner Osteuropa-Experte Hans-Henning Schröder zu Spiegel Online.

Unklar sei dagegen, ob es der Übergangsregierung gelinge, die Kontrolle über das gesamte Staatsgebiet herzustellen. Das Kabinett in Kiew beriet deshalb am Montag über die Möglichkeit, die Grenze zu Russland komplett zu sperren. «Von dort reisen massenweise Provokateure ein», erklärte Vize-Premier Vitali Jarema. Eine Entscheidung traf die Regierung bis zum späten Nachmittag aber nicht.

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