Neue Töne aus Kuba: Ein neues Arbeitsrecht verstärkt die wirtschaftliche Öffnung. Und ausgerechnet eine Castro der jüngeren Generation macht Opposition zur staatlichen Grundhaltung.
Kuba verändert sich. Seit einigen Jahren vollzieht das Land einen vorsichtigen Prozess wirtschaftlicher Anpassung. Unter dem Leitspruch der «Aktualisierung des sozialistischen Modells» wurden Beschränkungen beim Auto- und Immobilienkauf beseitigt, mehr privatwirtschaftliche Initiative zugelassen, eine Sonderwirtschaftszone eingerichtet, Staatsunternehmen erhalten mehr Autonomie, und seit Juli können ausländische Unternehmen in alle Sektoren der kubanischen Wirtschaft investieren, ausgenommen bleiben einzig die Bereiche Gesundheit, Bildung und Militär. Demnächst sollen zudem die beiden auf der Insel zirkulierenden Währungen zusammengeführt werden.
Vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Öffnung, eines wachsenden privatwirtschaftlichen Sektors und angekündigter Massenentlassungen in den Staatsbetrieben ist es fast schon verwunderlich, wie wenig Aufmerksamkeit die gerade erst in Kraft getretene Neugestaltung des kubanischen Arbeitsrechts erfährt. Der Código del Trabajo regelt die Rechte und Pflichten von Arbeitnehmern und Arbeitgebern sowie Behörden, sowohl im staatlichen als auch nicht staatlichen Sektor und berührt dabei sensible Punkte wie Produktivität, die Bildung von Gewerkschaften, Urlaubszeiten, die Organisation des nicht staatlichen Wirtschaftssektors und so weiter.
Eine Nein-Stimme im Abnicker-Chor
Für Aufregung sorgte in erster Linie ein Passus zur Diskriminierung und im Besonderen das Stimmverhalten von Mariela Castro, Tochter von Staatschef Raúl Castro und Nichte von Fidel, im kubanischen Parlament. Wie nun erst bekannt wurde, hatte sie bei der Abstimmung des Gesetzentwurfes, die bereits im Dezember stattfand, mit Nein votiert, da aus ihrer Sicht HIV-Infizierte oder Transsexuelle nicht ausreichend vor Diskriminierung geschützt werden.
Kubas Volksversammlung tritt gewöhnlich zweimal im Jahr zusammen, um zuvor in Basisversammlungen diskutierte Gesetzesvorlagen zu verabschieden. In der Regel geschieht das einstimmig. Gegenstimmen wie die von Castro werden da plötzlich zur Nachricht. «Es ist das erste Mal, ohne jeden Zweifel», zitiert die Nachrichtenagentur Associated Press den Historiker und früheren Diplomaten Carlos Alzugaray.
Mariela Castro selbst sieht das Ganze pragmatischer: «Früher war das ungewöhnlich, aber es beginnt gewöhnlich zu werden.» Doch auch aus ihrer Sicht könnte es durchaus mehr Debatte im Parlament geben. «Es hat Fortschritte gegeben, wie die Dinge diskutiert werden, vor allem an der Basis, an den Arbeitsplätzen, in den Gewerkschaftsgruppen und in den Parteiversammlungen», sagte sie in einem Interview, das der Journalist und Genderaktivist Francisco Rodriguez Ende Juli in seinem Blog Paquito el de Cuba veröffentlichte. «Ich denke, wir müssen nun die Mechanismen demokratischer Beteiligung der Vertreter und Vertreterinnen innerhalb der Volksversammlung weiter perfektionieren.»
Auch auf Kuba spricht man nun von «Gender»
Sie habe nicht für ein Gesetzeswerk stimmen können, das die Arbeitsrechte von Menschen mit anderer Geschlechtsidentität nicht explizit anerkennt, so Castro, Direktorin des Nationalen Zentrums für sexuelle Aufklärung (Cenesex) und prominenteste Aktivistin für die Rechte von Schwulen und Lesben in Kuba. Trotzdem halte sie das Gesetz durchaus für einen Fortschritt, denn erstmals werde das Konzept Gender erwähnt.
In dem neuen kubanischen Arbeitsgesetz findet sich ein Passus, der die Diskriminierung am Arbeitsplatz aufgrund von Geschlecht, Rasse und sexueller Orientierung verbietet; es gibt jedoch keinen Hinweis auf den HIV-Status oder die Geschlechtsidentität.
So wichtig die Debatte um Genderrechte in Kuba ist, wo Homosexuelle jahrzehntelang diskriminiert wurden, überdeckt sie doch andere wichtige Punkte in dem Gesetzestext. Das neue Arbeitsrecht löst die bisher gültige Verordnung aus dem Jahr 1985 ab. Sieben von vierzehn Kapiteln wurden modifiziert oder ersetzt. Die Änderungen waren zuvor über Monate in Betrieben, Universitäten und Nachbarschaftskomitees diskutiert worden, bevor sie zur Abstimmung ins Parlament gelangten. Mitte Juni wurde das Gesetz dann im Amtsblatt, der «Gaceta Oficial», veröffentlicht und trat in Kraft.
Das Arbeitsgesetz billigt auch in Zukunft jedem arbeitsfähigen Kubaner das Recht auf einen Arbeitsplatz zu – im staatlichen oder im nicht staatlichen Sektor. Im Herbst 2010 hatte die kubanische Regierung eine «Neuordnung des Arbeitsmarktes» angekündigt, um die Wirtschaft effizienter zu gestalten und die Staatsausgaben zu senken. Mittelfristig sollen bis zu einer Million Stellen in Staatsbetrieben abgebaut werden, immerhin rund 20 Prozent der staatlich Beschäftigten. Diejenigen, die ihren staatlichen Job verlieren, sollen nach den Plänen der Regierung in der Privatwirtschaft unterkommen.
Vorboten kapitalistischer Regulierungen?
In dem Gesetzestext nun taucht die Sprachfigur der «Idoneidad», der Tauglichkeit, auf. Rogelio Díaz vom Red Observatorio Critico, einem sozialen Netzwerk verschiedener Gruppen und Kollektive, befürchtet, dass Beschäftigte im Staatssektor als «untauglich» und somit «kündigungsreif» erklärt werden könnten. Die Mechanismen dafür seien in dem neuen Arbeitsrecht angelegt, die Beschäftigten würden damit vom guten Willen des Staates abhängig.
Allerdings hat dieser in der Vergangenheit durchaus darauf geachtet, den Umbau des staatlichen Beschäftigungssektors so behutsam und sozialverträglich wie möglich zu gestalten. So sind die Entlassungen bisher nicht in der veranschlagten Grössenordnung erfolgt und hinken auch dem angekündigten Zeitplan hinterher, da die Privatwirtschaft zwar wächst, aber insgesamt noch zu langsam, um den anvisierten Stellenabbau wie gewünscht aufzufangen.
Interessant ist vor diesem Hintergrund die Regulierung der Pausen- und Ruhezeiten sowie der Urlaubstage im neuen Arbeitsrecht. Arbeitnehmern im nichtstaatlichen Sektor stehen demnach sieben Tage bezahlter Jahresurlaub und ein Ruhetag pro Woche zu; im Gegensatz dazu erhalten staatlich Beschäftigte einen Monat Urlaub im Jahr. Einige sehen darin schon Vorboten kapitalistischer Deregulierung.
Gewerkschaften spielen vielleicht bald eine neue Rolle
Auch die Rolle der Gewerkschaften wird sich angesichts eines wachsenden privatwirtschaftlichen Sektors wandeln. «Die Beschäftigten haben das Recht, sich in freier Form Gewerkschaften anzuschliessen oder Gewerkschaften zu bilden», heisst es in dem Gesetzestext.
Die Einschränkung folgt jedoch auf dem Fusse: Dies müsse im Einklang mit den «einheitlichen Grundprinzipien» erfolgen. Gewerkschaftliche Organisationen ausserhalb des kubanischen Gewerkschaftsdachverbandes CTC (Central de Trabajadores de Cuba), der einzigen offiziell anerkannten Interessenvertretung der Arbeiter, dürften damit ausgeschlossen sein. Aber wer weiss …
Zumal auch die Rolle der bestehenden Gewerkschaften zuletzt immer häufiger debattiert worden ist. So war im Vorfeld des CTC-Gewerkschaftskongresses Ende Februar in Havanna immer wieder die Forderung zu hören, die Gewerkschaften müssten sich mehr um die Anliegen der Arbeiter kümmern.
In der Vergangenheit haben sie sich zu oft als verlängerter Arm der staatlichen Behörden und Betriebsleitungen verstanden und waren mehr damit beschäftigt, Anordnungen «von oben» durchzusetzen, als Forderungen und Meinungen der Basis gegenüber dem Arbeitgeber zu vertreten. Die Gewerkschaften sollen «die Interessen und Rechte der Arbeitnehmer vertreten und verteidigen und für die Verbesserung ihrer Arbeits- und Lebensbedingungen eintreten».
Eine wortgetreue Umsetzung würde einen massgeblichen Wandel der Rolle der Gewerkschaften bedeuten. Aber wie heisst es so schön, Papier ist geduldig. Ob das neue Arbeitsrecht der sich ändernden Arbeitsrealität in Kuba gerecht wird, wird die Praxis weisen.