Lassen Sie sich von der Pharma einschüchtern, Herr Brutschin?

Die linksgrüne Basler Regierung ist pharmahörig. Diesen Eindruck vermittelt zumindest die SP Schweiz. Nun nimmt der Basler Wirtschaftsdirektor Christoph Brutschin (SP) Stellung zu diesem Vorwurf.

 

Regierungsrat Christoph Brutschin, Vorsteher Departement für Wirtschaft, Soziales und Umwelt (Archiv) (Bild: sda)

Die linksgrüne Basler Regierung ist pharmahörig. Diesen Eindruck vermittelt zumindest die SP Schweiz. Nun nimmt der Basler Wirtschaftsdirektor Christoph Brutschin (SP) Stellung zu diesem Vorwurf, zum fragwürdigen Wirtschaftsverständnis einzelner Parteikollegen und zur Ähnlichkeit der Basler SP mit einem dicken Huhn.

Gerade schlüssig wirkt die SP-Politik in diesen Tagen nicht. Zuerst kündigt das eine Parteimitglied (Gesundheitsminister Alain Berset) eine massive Senkung der Medikamentenpreise an. Prompt setzt sich dagegen die Pharma mit Unterstützung einiger prominenter Politiker aus der Region Basel zur Wehr, unter ihnen auch SP-Politiker wie der Basler Wirtschaftsdirektor Christoph Brutschin, Finanzdirektorin Eva Herzog, die Basler Ständerätin Anita Fetz oder der Baselbieter Standesvertreter Claude Janiak. Das wiederum sorgt in der SP Schweiz für helle Empörung, wie die TagesWoche berichtet hat. Die Zürcher Nationalrätin und Parteivizepräsidentin Jacqueline Fehr zum Beispiel sagt: «Die Pharmariesen zittern um ihre Privilegien und versuchen die Politik einzuschüchtern. Ein solch dreistes Lobbying einer Branche, die grosse Gewinne macht und ihren Chefs exorbitante Saläre zahlt, sprengt den bisher bekannten Rahmen.» Nun muss sich der Basler Wirtschaftsdirektor Christoph Brutschin gegen den Vorwurf wehren, pharmahörig zu sein.

 

TagesWoche: Herr Brutschin, lassen Sie sich von der Pharma einschüchtern?

Christoph Brutschin: Überhaupt nicht, nein.

Ihre Partei, die SP Schweiz, erklärt den Widerstand gegen die Senkung der Medikamentenpreise aber genau so: dass die Pharma gewisse Politiker einschüchtere und diese für Ihre Zwecke einspanne. Damit sind auch Sie gemeint.

Für mich geht es in der ganzen Diskussion um eine ganz andere, grundsätzliche Frage. Ich halte es für falsch, dass die Medikamentenpreise an ein volatiles System wie die Wechselkurse gebunden werden. Viel sinnvolller wäre es, die Preise nach der Kaufkraft eines Landes auszurichten.

Die hohen Schweizer Preise sind Ihrer Ansicht nach also in Ordnung?

Im Moment sind sie auch meiner Ansicht nach zu hoch. Die Preise aber soweit zu senken, wie das dem Bundesrat vorschwebt, halte ich für übertrieben. Man sollte sich ohnehin keine Illusionen machen: Der Effekt wird sich so oder so in Grenzen halten, weil die Pharmaprodukte im Gesundheitsbereich nur zehn Prozent der Kosten ausmachen. Wirklich viel Geld könnte die Schweiz vor allem dank einer effizienteren Spitalplanung sparen. In dieser Hinsicht habe ich aber bis jetzt leider nur sehr wenig gehört – auch vom Bundesrat.

Es ist doch störend, dass wir in der Schweiz mehr für Medikamente zahlen als die Konsumenten im Ausland – obwohl die entsprechenden Mittel zu einem grossen Teil dort produziert werden.

Es gibt nun mal gewisse Unterschiede zwischen den Ländern – bei den Löhnen und damit auch bei den Preisen. Das muss man akzeptieren. Unsere Exportindustrie richtet sich auch nach den ausländischen Preisen. Ich halte es zudem für richtig, dass die Pharmafirmen in Entwicklungsländern zum Beispiel HIV-Medikamente sehr günstig abgeben. Das ist aber noch lange kein Grund darauf zu beharren, dass diese Medikamente auch bei uns fast gratis zu haben sind. Im Gegenteil: Wir müssen eher etwas mehr zahlen, damit sich auch die Menschen in ärmeren Ländern Medikamente leisten können.

Die Schweizer SP sieht in der Pharma weniger eine Wohltäterin als eine Profiteurin. Auf Kosten der Kosumentinnen und Konsumenten erzielten die Firmen riesige Gewinne, die vor allem die Bosse einstreichen, kritisiert Ihre Partei.

Die Wirtschaft funktioniert eben etwas anders, als sich gewisse Leute das vorstellen. Im Bereich der Pharma kostet die Entwicklung eines neuen Medikaments von einer Milliarde an aufwärts. Wer in solchen Dimensionen geschäftet, muss eine anständige Profitabilität erzielen. Das ist aber nur das eine, das gegen eine massive Senkung der Preise spricht. Das andere sind die weitreichenden Auswirkungen rund um die Welt. Wachstumsmärkte mit starken Währungen wie Brasilien oder China richten sich bei der Festlegung der Medikamentenpreise nach den Franken-Preisen, was dort ebenfalls eine Senkung zur Folge hätte – und für die Pharma weitere Verluste, deren Umfang sich kaum abschätzen lässt.

Es tönt ganz so, als hielten Sie die Pharma-Kritiker auch in Ihrer Partei für etwas naiv und unbedarft, was das Erkennen wirtschaftlicher Zusammenhänge anbelangt.

Einzelne Betroffenheitsbekundungen wirken meines Erachtens schon etwas gar empört. Da staune ich einfach, wie negativ die Wirtschaft teilweise beurteilt wird. Als würde es etwas bringen, sie zu behindern.

Wovor haben Sie denn Angst? Dass die Pharma nach und nach Forschung und Produktion aus der Schweiz abzieht?

Ich will nicht von irgendwelchen Drohungen oder Schreckensszenarien ausgehen. Ich sage einfach: Ein Entgegenkommen des Bundesrates wäre ein sehr positives Signal für eine der wichtigsten Wirtschaftszweige unseres Landes. Im Umkehrschluss heisst das aber auch: Ein Beharren auf der bisherigen Position wäre ein sehr schlechtes, vielleicht sogar fatales Zeichen.

Die Politik ist der Pharma in diesem Jahr schon einmal weit entgegengekommen. Die Schliessung des Novartis-Werks in Nyon wurde mit Steuersenkungen erkauft. Macht sich der Staat so nicht erpressbar?

Ich kenne die Details dieser Vereinbarung nicht und kann nur sagen, dass ich persönlich in unserem Kanton gegen selektive Steueranreize für einzelne Wirtschaftszweige oder Unternehmen bin.

Eben weil der Staat auf diese Weise erpressbar wird?

Natürlich. Auf diese Weise wird ein falscher Anreiz geschaffen. Die Firmen können sagen: Steuern runter – oder wir gehen. Meiner Ansicht nach sollte es eine Selbstverständichkeit sein, dass die Firmen die Infrastruktur, die sie nutzen, auch zahlen. Und so wie ich das erlebe, sehen es auch die meisten Firmen so.

Sind Sie überhaupt noch ein Linker, so gut wie Sie mit der Wirtschaft auskommen?

(Lacht lange.) Für mich steht die Beschäftigung im Zentrum. Zuerst muss das Einkommen generiert werden, bevor es vernünftig verteilt werden kann, was mir selbstverständlich sehr wichtig ist. Das lässt sich unter anderem daran feststellen, dass die Basler Regierung kürzlich beschlossen hat, die Familienmietzinsbeiträge um insgesamt fünf Millionen Franken pro Jahr zu erhöhen.

Warum sagen Sie nicht offen, dass Sie keine linke, aber dafür eine erfolgreiche Politik machen. Die Budgets und Rechnung sehen ja recht gut aus.

Ich politisiere noch immer genau gleich wie am Anfang meiner Zeit in der SP. Mein Ziel ist eine möglichst gerechte Verteilung der Einkommen. Je höher die allgemein sind – desto besser. Darum sehe ich es auch als meine Aufgabe als Wirtschaftsdirektor, den Firmen möglichst gute Rahmenbedingungen zu bieten, damit es ihnen gut geht – und den Menschen in der Region auch.  

Im Hinblick auf die Wahlen im Herbst würde es aber schon interessieren, wofür die Basler SP nun tatsächlich steht: Für tiefe Medikamentenpreise wie die Schweizer SP. Oder für eine pharmafreundliche Haltung wie Sie, Finanzdirektorin Eva Herzog und Ständerätin Anita Fetz? Gegen tiefere Unternehmenssteuern wie die Mehrheit in der Basis oder dafür wie Sie und Regierungskollegin Herzog?

Verschiedene Flügel gibt es in der Politik immer. In der Basler SP ist dieses Phänomen nicht besonders ausgeprägt. Wenn man sich unsere Partei als Vogel oder Huhn vorstellen würde, hätte sie keine grossen Flügel, sondern eher eine grossen Bauch.

So also sehen Sie die Basler SP – dick und ganz offensichtlich auch etwas träge?

Sicher nicht! In der Politik ist ein grosser Bauch etwas Positives!

 

Die Schweizer Arzneimittelpreise werden regelmässig mit jenen von sechs EU-Ländern verglichen und je nach Entwicklung entsprechend angepasst. Beim letzten Vergleich von 2009 war die Berechnungsgrundlage ein Eurokurs von 1.58 Franken. Im vergangenen Jahr lag der Kurs im Schnitt aber nur noch bei 1.23 Franken. Bei der Festlegung der Preise will sich der Bundesrat nun neu nach einem Kurs von 1.29 richten.

 

Nächster Artikel