Der Nutzfahrzeugverband Astag verlangt die «Neuverhandlung» des Verkehrsvertrags mit der EU. Doch seine Forderungen schwächen primär das nationale Recht zum Alpenschutz.
Am 20. Februar 1994 stimmte das Schweizer Volk der Alpeninitiative zu und verankerte damit den Artikel 84 zum Alpenschutz in der Bundesverfassung. Zum 20. Jahrestag dieser Abstimmung verlangt nun die Astag, der Dachverband Schweizer Strassentransporteure, eine «Neuverhandlung des Landverkehrsabkommens» mit der EU; dieses Verkehrsabkommen hatte das Schweizer Volk mit der Zustimmung zu den übrigen «Bilateralen 1» im Jahr 2000 bewilligt.
Publizistisch schlägt die Astag damit den Sack, nämlich den bilateralen Vertrag, meint aber vor allem den Esel, nämlich das nationale Recht zum Alpenschutz. Das zeigen die drei konkreten Forderungen, welche die Astag am Montag den Medien präsentierte:
1. Die Verlagerung des alpenquerenden Güterverkehrs auf die Schiene soll nur Transporte mit einer Distanz ab 300 Kilometer betreffen, «die für die Bahn geeignet sind». Mit dieser Forderung durchlöchert die Astag den nationalen Verfassungsartikel zum Alpenschutz. Denn dieser Artikel verlangt eine hundertprozentige Verlagerung des (mindestens 300 Kilometer langen) «Gütertransits von Grenze zu Grenze» auf die Schiene; dies unabhängig von seiner Eignung für die Bahn. Das Landverkehrsabkommen hingegen schreibt eine Verlagerung weder für kurze noch für lange Distanzen vor. Vielmehr postuliert dieser Vertrag mit der EU «die freie Wahl der Verkehrsmittel» sowie ein «Diskriminierungsverbot».
2. Um den Verfassungsartikel, der den Gütertransit auf der Strasse verbietet, diskriminierungsfrei umzusetzen, beschlossen Bundesrat und Parlament 1999 das Verkehrs- und 2009 das Güterverkehrs-Verlagerungsgesetz. In diesen Gesetzen begrenzten sie die Lastwagenfahrten für alle Transportarten auf maximal 650’000 pro Jahr; nach neustem Verlagerungsgesetz darf diese Grenze ab 2018 nicht mehr überschritten werden. Diese Grenze will die Astag auf eine Million Fahrten pro Jahr erhöhen. Damit weicht sie wiederum nationales Recht auf. Denn das bilaterale Abkommen mit der EU sieht keine Begrenzung der Lastwagenfahrten vor.
3. Der Ausbau der Güterverkehrs-Korridore auf der Nordsüdachse soll vertraglich ins Landverkehrsabkommen integriert werden. Mit dieser Forderung schlägt der Nutzfahrzeugverband halboffene Türen ein. Denn die entsprechenden Verträge bestehen bereits, allerdings nicht mit der EU, sondern mit den direkt betroffenen Nachbarstaaten Deutschland und Italien.
Transport profitiert vom EU-Vertrag
Die Strassen-Transportlobby wehrte sich von allem Anfang an gegen die Alpeninitiative und die darauf aufbauenden Verkehrsverlagerungs-Gesetze, weil diese den Strassentransport begrenzen. Das ist legitime Interessenvertretung. Wenn die Astag diesen Widerstand jetzt aber verknüpft mit dem bilateralen Landverkehrsabkommen, so ist das nicht nur verwirrlich, sondern auch paradox. Denn der bilaterale Verkehrsvertrag minderte die härteren Bestimmungen des nationalen Alpenschutzes – und verhindert damit den konsequenten Vollzug der Schweizer Verlagerungsgesetze.
Zudem liberalisierte der Verkehrsvertrag den grenzüberschreitenden Gütertransport. Damit verloren einheimische Transporteure zwar einige Wettbewerbsvorteile gegenüber ausländischen Transporteuren. Gleichzeitig profitierten sie aber von einem besseren Zugang zum europäischen Verkehrsmarkt, etwa durch das Recht, Güter innerhalb der EU zu transportieren (Kabotage).
Für die Forderung, den bilateralen Verkehrsvertrag neu zu verhandeln, bleibt damit nur eine Erklärung: Die Astag nutzt das Feuer, welches die Abstimmung über die Anti-Zuwanderungsinitiative der SVP entfachte, um ihren bislang erfolglosen Kampf gegen den Alpenschutz aufzuwärmen.