Legende vom uneigennützigen Bankgeheimnis

Französisches Schwarzgeld, nicht jüdische Vermögen aus der Nazi-Zeit begründeten das Bankgeheimnis. Erst in den Sechziger Jahren wurde das Bankgeheimnis mit den Judenverfolgungen in Verbindung gebracht.

Fast 80 Jahre lang hielten die Tresore in Schweizer Banken dicht. (Bild: Nils Fisch)

Französisches Schwarzgeld, nicht jüdische Vermögen aus der Nazi-Zeit begründeten das Bankgeheimnis. Erst in den Sechziger Jahren wurde das Bankgeheimnis mit den Judenverfolgungen in Verbindung gebracht.

Die Schweiz ist auf verschiedenen «Ewigkeiten» gebaut. Der Gotthardgranit ist die eine, die Neutralität eine andere, die direkte Demokratie eine weitere. Der «ewige Alpenfirn» der Nationalhymne bekundet unter dem Klimawandel allerdings etwas Mühe. Das Bankgeheimnis ist auch so eine ewige Sache. Es würde ja keinen Sinn machen, wenn es befristet wäre. Es hat seine Geschichte, ist einmal entstanden und könnte trotz seiner Ewigkeit bald einmal derart modifiziert werden, dass es seinen mythischen Glanz verliert. Trotzdem wird das Wort als wenig gefüllte Hülse wohl weiterbestehen.

1848 ohne Bankgeheimnis

Was jetzt Stück um Stück abgebaut wird, wurde einmal aufgebaut. Natürlich gibt es so etwas wie ein Bankgeheimnis, seit es Banken gibt – wie andere Berufsgeheimnisse. Aber der Schweizerische Bundesstaat von 1848 ist nicht mit einem besonderen Bankgeheimnis zur Welt gekommen. Wie vieles in der Schweiz war auch dieser Bereich zunächst höchst föderalistisch geregelt. Das Strafgesetzbuch von Basel-Stadt zum Beispiel hatte bereits relativ früh, 1919, Strafbestimmungen für die Verletzung des Bankgeheimnisses eingeführt. Als «Geburtsstunde» des gesamtschweizerischen Bankgeheimnisses gilt die Regelung von 1934, welche diese Geheimnisverletzung unter Strafe stellte.

Während das Bankgeheimnis anfänglich jedoch nur zivilrechtlich geschützt war, wurde es mit dem Bankengesetz von 1934 zusätzlich strafrechtlich abgesichert, seine Verletzung wurde zu einem Offizialdelikt. «Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe» stellte diese strafrechtliche Bestimmung jedem Bankangestellten in Aussicht, der das ihm anvertraute «Geheimnis» gegenüber Dritten offenbarte. Zuvor bestand dafür lediglich ein privater Anspruch des Bankkunden.

Die Regelung von 1934 wurde in einer bestimmten Konstellation eingeführt, und ihre Einführung hatte bestimmten Interessen zu dienen. Das Bestreben, das Bankgeheimnis mit einem strafrechtlichen Schutz auszustatten, setzte in der Schweiz deutlich vor dem Zeitpunkt ein, da das bürgerliche Deutschland die Macht den Nationalsozialisten überliess und in der Folge deutsche Flüchtlinge mit der verbliebenen Habe geschützt werden sollten. Die Nachbarstaaten hatten bereits während und nach dem Ersten Weltkrieg in Steuerangelegenheiten Offenbarungspflichten eingeführt und den Druck auf potenzielle Steuerflüchtlinge erhöht.

Das wichtigste Hintergrundereignis war aber der sogenannte «Fraude de Bâle». Das Direktorium der Basler Handelsbank (die es heute nicht mehr gibt und die indirekt in der UBS enthalten ist) wurde im Oktober 1932 in Paris bei aktiver Förderung von Steuerflucht in flagranti erwischt. Dabei fielen Namen von 2000 grösstenteils prominenten Kunden mit einem Total von 400 Mil­lionen Schweizer Franken schwarzem Vermögen der Polizei in die Hände. 400 Millionen – das entsprach damals etwa den Jahreseinnahmen der Eidgenossenschaft.

Infolge jenes Zwischenfalls und anderer Vorkommnisse (insbesondere zweier nicht sehr bankenfreundlicher Bundesgerichtsentscheide von 1931/32) riskierte die Schweiz, dass es zu einem massiven Abfluss von zuvor zugeflossenen Fluchtgeldern und damit zu einem auch für die schweizerischen Staatsanleihen unerwünschten Zinsanstieg kommen könnte.

Keine jüdischen Bankkunden

Die ersten Entwürfe zur Verschärfung der Schutzbestimmungen tauchen im Februar 1933 auf. Betont sei, dass die zuvor aufgeflogenen Fälle von Verstös­sen gegen die deutschen Devisenvorschriften in keinem Fall jüdische Bankkunden betrafen. Das sei darum betont, weil dieser Befund der Legende widerspricht, dass das Bankgeheimnis zum Schutze der Juden eingeführt worden sei. Jüdische Flüchtlinge könnten dagegen, wie es in der Literatur dann heisst, die «ersten Nutzniesser» der Regelung von 1934 gewesen sein.

Die 1934 vorgenommene Stärkung des Bankgeheimnisses wurde 1966 erstmals (und zwar von der damaligen SKA, der heutigen Credit Suisse) mit den Judenverfolgungen in Verbindung gebracht. Der Institution wurde zugute gehalten, dass sie «Tausenden von Menschen Vermögen und Existenz gerettet hat». Diese Behauptung fand sogleich Eingang in andere, auch wissenschaftliche Publikationen. Schliesslich gelangte die Mär auch in die Botschaft des Bundesrates von 1970 zu einer weiteren Revision des Bankengesetzes: Sie sprach von den totalitären Regimes, welche «die Hand auf das in unseren Banken deponierte Vermögen von aus politischen oder rassischen Gründen verfolgten Personen» legten.

Abwehrmanöver

Warum diese plötzliche Moralisierung und Verschmelzung des Bankengeschäfts mit der humanitären Tradition der Schweiz? Es ging darum, Vorwürfe der Begünstigung von Steuerflucht, von verdeckten Übernahmen, ja von kommunistischer Infiltration abzuwehren; dies vor allem gegenüber den USA, aber auch – schon damals – gegenüber OECD-Staaten. Die Abwehrwaffe war die Verknüpfung der schweizerischen Bankinstitution mit dem Holocaust. In den frühen 1960er-Jahren waren NS-Verbrechen und Holocaust infolge des Eichmann-Tribunals (1961) und der Auschwitz-Prozesse (1963–1965) zu Publikumsthemen geworden.

Der Griff nach dem Holocaust war partiell erfolgreich, insbesondere in den für moralische Argumentationsweise empfänglichen USA. Aber auch in der Schweiz selbst glaubten manche gerne, dass das Bankgeheimnis zum Schutze der «persecutés des régimes nazi et fasciste» geschaffen worden sei. In der Debatte von 1997/98 um die Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg (Bergier-Kommission) erhielt die Meinung wiederum Auftrieb, dass das Bankgeheimnis in den 30er-Jahren zum Schutze verfolgter Juden eingerichtet worden sei.

Treu & Glauben

Als ob das Bankgeheimnis als Geheimnis nur der Banken auf die Länge nicht zu halten wäre, erfuhr der Begriff in den letzten Jahren eine bemerkenswerte Ausweitung: Aus dem BG wurde ein BKG, das heisst ein Bankkundengeheimnis. Schutz der Bank oder Schutz der Kunden? Pikanterweise sehen sich die Banken nun genötigt, zum Eigenschutz (Wahrung des Marktzugangs insbesondere in den USA und Bewegungsfreiheit im Zahlungsverkehr) den in den Vordergrund geschobenen Schutz von problematischen Kunden aufzugeben.

Die 4400 US-Kunden, die mit dem Segen des Bundesrats ausgeliefert wurden, und mit ihnen einige andere, sind nun belehrt worden, wie tragfähig ein anderes ureidgenössisches Prinzip, das von «Treu & Glauben», ist. Inzwischen werden jedoch nicht einmal mehr die eigenen Mitarbeiter geschützt und deren Namen uncodiert über den Atlantik geschickt. Das alles gehört aber bereits zum zweiten Teil dieser Geschichte («Der Fall in Raten»).

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 10.02.12

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