Leise, dann laut

Als Präsident der Basler SP war Martin Lüchinger vier Jahre lang umstritten. Am Ende hat er noch einmal alle überrascht.

Martin Lüchinger steht am Ende seines SP-Präsidiums weitaus besser da, als dies ihm seine vielen Kritiker zugetraut haben. (Bild: Roland Schmid)

Als Präsident der Basler SP war Martin Lüchinger vier Jahre lang umstritten. Am Ende hat er noch einmal alle überrascht.

Zum Schluss seines Präsi­diums der SP Basel-Stadt hat Martin Lüchinger noch ein richtiges Feuerwerk gezündet. Und damit alle überrascht. Er, der sich selbst als «stiller Typ» bezeichnet, hat in aufmüpfiger Juso-Manier einen Brief an gutverdienende Spitzenmanager wie Severin Schwan (Roche) oder Joe Jimenez (Novartis) verschickt. Im Schreiben forderten Lüchinger und seine beiden Vizepräsidenten Michela Seggiani und Pascal Pfister die Empfänger auf, anlässlich der 1.-Mai-Feier auf dem Barfüsserplatz ihre immensen Gehälter öffentlich zu rechtfertigen.

Der eingeschriebene Brief kam nicht nur gut an. Es hagelte Kritik von verschiedenen Seiten, auch von der ­eigenen. So zog beispielsweise der ehemalige SP-Präsident Roland Stark in der «Basler Zeitung» zünftig vom Leder und verstieg sich gar zum gewagten Vergleich seiner Partei mit den Rotgardisten in China. Weitaus sachlicher in Ton und Inhalt war die Kritik von Tim Cuénod, Mitglied der Geschäftsleitung der Basler SP. Sein Vorwurf: Die provokative Aktion schade der Partei, denn Leute so vorzuführen, sei schlechter Stil. Cuénod sagte dies öffentlich, zuerst auf Facebook, danach noch einmal gegenüber der TagesWoche.

«So etwas ist einfach nicht Lüchingers Art»

Anders als Cuénod sagen dagegen ­viele andere Partei- und Fraktionsmitglieder nur hinter vorgehaltener Hand, was sie von der Aktion mit dem Brief wirklich halten. Weit verbreitet ist die Ansicht, dass Lüchinger diesen Brief nicht hätte unterschreiben ­sollen. «Das hätte er besser den Juso überlassen», sagt ein Genosse genervt, der fürchtet, dass sich die SP mit solchen Aktionen dem Stil der SVP annähere. Was man ebenfalls immer wieder hört: «So etwas ist einfach nicht Martins Art.» Viele haben deshalb eher den Gewerkschaftler Pascal Pfister im Verdacht, Initiant oder zumindest Ideengeber dieser Aktion gewesen zu sein.

Pfister sagt jedoch auf Anfrage, dass der Brief nicht seine Idee gewesen sei. Letzlich spiele das aber auch keine Rolle. Denn: «Den Entscheid trägt die gesamte Geschäftsleitung.» Pfister tritt nächsten Dienstag an der Jahresdelegiertenversammlung gegen Brigitte Hollinger um die Nachfolge Lüchingers an. Ob denn im Falle seiner Wahl weiterhin mit solchen Aktionen zu rechnen sei? «Nein. Ich bin nicht so der Provokateur.»

Lüchingers Kommunikationsfähig­keiten und -stil gerieten während den vier Jahren seines Präsidiums immer wieder in die Kritik. Er sei zu zurückhaltend, farblos, uncharismatisch, hiess es. Mit der Briefaktion ist es dem 56-jährigen Umweltingenieur gelungen, zumindest diese Vorwürfe Lügen zu strafen – wenn auch erst ganz am Schluss.

Hervorragende Wahlergebnisse unter Lüchinger

Aber auch ansonsten hat Lüchinger rückblickend als Parteipräsident eine weitaus bessere Figur gemacht, als ihm dies viele zutrauten. Die Ergebnisse der Wahlen im letzten Herbst sind die besten seit über einem halben Jahrhundert in der Geschichte der Basler SP. Lüchinger ist an seinem Amt gewachsen, hat Selbstvertrauen gewonnen und konnte sein politisches Profil schärfen. Das gute Abschneiden der SP bei diesen Wahlen liess auch die letzten parteiinternen Kritiker verstummen. Das Parteiklima habe sich seither massiv verbessert, hört man unisono.

Genossen, die Lüchingers Präsi­dium vier Jahre lang mit gemischten Gefühlen beobachtet haben, waren richtiggehend erleichtert ob der guten Wahlergebnisse. Denn obwohl als Präsident umstritten, wird Lüchinger als Person von fast allen hoch geschätzt. Einen Abgang als Verlierer wünschte ihm niemand.

Neuerdings selbstbewusst

Lüchinger will denn auch nicht mit dem Brief in Erinnerung bleiben, sondern mit besagten Wahlergebnissen. Er sei stolz darauf, die Partei zu einem solchen Ergebnis geführt zu haben, sagt er. Sein neues Selbstbewusstsein ist auffällig. Bei früheren Auftritten wirkte er oft angespannt, etwas gequält. Sein Amt schien ihm Last, die mediale Aufmerksamkeit lästig.

Er habe gelernt, seine Meinung gegenüber den Medien klarer zu formulieren. «Eine der unangenehmsten Erfahrungen war sicher, von den Medien als Person frontal angegriffen zu werden», sagt Lüchinger. Hierbei hätten ihm jedoch sein Umfeld und eine ­gewisse Gelassenheit geholfen. Diese Gelassenheit also, die ihm immer wieder als Passivität ausgelegt wurde.

Nächsten Dienstag endet sein Präsidium. Für einige mag dies eine Erleichterung sein, Lüchinger selbst freut sich darauf, künftig wieder vermehrt Sachpolitik betreiben zu dürfen. «Als Parteipräsident konnte ich meine Bekanntheit steigern und mein Wissen über die Politik vergrössern», davon solle nun seine politische Arbeit im Grossen Rat profitieren.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 19.04.13

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