Zwei nur halb genutzte Strassenröhren am Gotthard seien «die sinnvollste Lösung», sagte Verkehrsministerin Doris Leuthard am 27. Juni vor den Medien. Vor der zuständigen Kommission des Nationalrats hatte sie zuvor noch erklärt, das wäre «scheinheilig» und «ein bisschen Seldwyla».
In der Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen (KVF) des Nationalrats kam es am letzten Montag zu einer kurzen Gotthard-Debatte: Vorab grüne und linke aber auch bürgerliche Abgeordnete wunderten und ärgerten sich nämlich, dass der Bundesrat nun plötzlich doch eine zweite Strassen-Röhre bauen wolle. Sie verwiesen auf Protokolle von den Debatten über den Verlagerungsbericht und die Sanierung des Gotthard-Strassentunnels, welche die KVF am 16. und 17. Januar dieses Jahres geführt hatte. Denn: Damals habe die CVP-Bundesrätin noch ganz anders geredet.
«Wir bauen ja kaum zwei Tunnels und lassen je eine Spur leer», hatte Leuthard gemäss dem entsprechenden Protokollauszug, der der TagesWoche vorliegt, damals versichert (siehe Ausriss). Denn: Das wäre «m.E. (meines Erachtens, die Red.) scheinheilig.» Man könne nämlich «verfassungskonform nur eine zweite Röhre bauen» und die alte Röhre behalten, «wenn man beide einspurig betreibt, und das ist ein bisschen Seldwyla», stellte die Verkehrsministerin fest.
Ausschnitt aus dem Protokoll, als sich Bundesrätin Leuthard noch anders XXXX.
Sie warnte zudem vor den Kosten: Zwei doppelspurige Tunnels, die dann nur einspurig genutzt würden, wären «nicht sinnvoll investiertes Geld». Und sie warnte auch vor rechtlichen Problemen: «Kongruent aus Sicht der Kapazitätsproblematik» wäre es, zwar einen neuen Tunnel zu bauen, den alten dann aber nicht zu sanieren. Denn: «Sonst geraten wir in die Situation, mindestens eine Gesetzesänderung vornehmen zu müssen, wenn nicht sogar eine Verfassungsabstimmung wegen des Alpenschutzes.»
«Hauptproblem» Alpenschutz
Dieser Schutz der Alpen ist in Artikel 84 der Bundesverfassung so festgehalten: «Der Bund schützt das Alpengebiet vor den negativen Auswirkungen des Transitverkehrs.» Insbesondere vor dem Güterverkehr: «Der alpenquerende Gütertransitverkehr von Grenze zu Grenze erfolgt auf der Schiene.» Und konkret: «Die Transitstrassen-Kapazität im Alpengebiet darf nicht erhöht werden.»
Das sei das Hauptproblem, hatte Leuthard in der KVF-Debatte im Januar erklärt. Wörtlich: «Aber ich möchte nochmals betonen, Hauptproblem ist und bleibt am Schluss der Alpenschutz.» Als sie dann am 27. Juni ihr Projekt für eine zweite Röhre in Bern vorstellte, bezeichnete sie den Alpenschutz nicht mehr als Problem, sondern als wichtiges Anliegen des Bundesrates. Und ihr Projekt war nun genau das, was sie Anfang Jahr in der KVF noch als scheinheilige Seldwylerei abgetan hatte – mitsamt den flankierenden juristischen Massnahmen in Form eines Gesetzes, das die Nutzung beider Doppelspurtunnel auf nur je eine Spur beschränken solle.
Doppelte Betriebskosten verschwiegen
Kritiker dieses Konzepts argumentieren inzwischen auch mit den Betriebs- und Unterhaltskosten: Diese würden bei zwei nur halb genutzten Röhren fast doppelt so hoch wie jetzt – ohne jeglichen Mehrwert. Genaue Zahlen habe Leuthard jedoch bisher nicht vorrechnen können.
Interessant ist in dem bisher geheim gehaltenen KVF-Protokoll auch jene Variante, die Leuthard nebenbei erwähnt: Einen neuen Tunnel bauen, danach nur diesen brauchen – «und den alten nicht sanieren.»
Das würde effektiv die Kapazität gleich belassen und so dem Alpenschutz nach Artikel 84 entsprechen. Und es käme schon nur bei den Baukosten rund eine Milliarde günstiger – also auf knapp zwei Milliarden. Verkehrspolitiker im Bundeshaus betonen, Leuthards Vorschlag mit zwei nur halb genutzten Röhren habe noch längst keine gesicherten Mehrheiten, weder in den Kommissionen, noch in den Räten – und im Volk schon gar nicht.
UVEK erachtet die neue Lösung als «effizienter und nachhaltiger»
Das Departement Leuthard (UVEK) erklärt auf Nachfrage den Meinungsumschwung so: Wohl sei der Bundesrat noch 2010 der Meinung gewesen, dass «eine Sanierung ohne Bau einer zweiten Röhre» machbar wäre. Nach vertiefter Studie der Probleme sei man dann aber doch zum Schluss gekommen, die jetzt vorgeschlagene Lösung wäre «effizienter und nachhaltiger». Zudem würden damit «die volkswirtschaftlich negativen Folgen am kleinsten gehalten.»