Libertarier dieser Erde, vereinigt euch!

Obwohl das republikanische Kandidaten-Rennen in den USA vorbei ist, werben junge Schweizer immer noch für den Libertarier Ron Paul. Jetzt überlegen sie sich gar, eine Partei zu gründen.

Ein alter Mann, begeistert gefeiert von den Jungen. Ron Paul, republikanischer Präsidentschaftskandidat. (Bild: Mark Makela)

Obwohl das republikanische Kandidaten-Rennen in den USA vorbei ist, werben junge Schweizer immer noch für den Libertarier Ron Paul. Jetzt überlegen sie sich gar, eine Partei zu gründen.

In Zeiten wie diesen erstaunt ja prinzipiell nur noch sehr wenig. In Frankreich wählen 6,4 Millionen eine rechtsextreme Partei, in Deutschland stehen die Piraten (auch sie mit dem Hang zum Extremen) in den Umfragen immer noch bei 13 Prozent, in Griechenland wollen frustrierte Fussball-Fans eine Panathinaikos-Athen-Partei gründen, und in Amerika, diesem Urland aller Spinnereien, spendet ein hochintelligenter, bestens ausgebildeter und stinkreicher Mann namens Peter Thiel eine halbe Million US-Dollar für die Erforschung von «Seasteading». Bevor die umliegenden Planeten besiedelt werden können (auch so eine libertäre Idee), wollen Thiel und seine Mitstreiter die Möglichkeit von alternativen Gesellschaften auf See erforschen.

Auf ausgedienten Öl-Plattformen oder Kreuzfahrtschiffen sollen neue Lebensformen getestet werden; Kommunen ohne staatlichen Überbau und ohne demokratische Systeme. Denn Freiheit und Demokratie, das schrieb Thiel einmal in einem vielbeachteten Aufsatz, seien nicht mehr länger kompatibel.
Peter Thiel, reich geworden als Co-Gründer von PayPal und früher Investor von Facebook, hat den Hang, grosse Summen in eher abwegige Unterfangen zu stecken. Insgesamt 2,6 Millionen Dollar hat Thiel an die Präsidentschaftskampagne von Ron Paul gezahlt und ist damit der grösste Sponsor des Republikaners. Die beiden sind Brüder im Geiste, Libertarier, und sie haben sich ein unbescheidenes Ziel gesetzt: die Weltrevolution.

Zeitlose Ideen

Auch in der Schweiz arbeitet eine kleine, aber sehr engagierte Gruppe mit an den grossen Plänen. Sie nennt sich «Switzerland for Ron Paul 2012» und drei ihrer Mitglieder stehen an diesem Sonntag vor einem Tisch in der Lorzenhalle in Cham, büscheln Papiere und rücken ein Banner zurecht. Sie haben sich etwas verspätet, ein Transportproblem, und rundherum ist die «Expat Expo» schon seit einer Stunde in vollem Gange. Ein Fliegenfischer verkauft leidenschaftlich Köder («very fragile!»), diverse Universitäten und International Schools verteilen Broschüren, ein Autohändler preist seine Firma als erste Adresse für jeden Expat und eine «Peace Bakery» verkauft lustig verzierte Muffins.

In der ganzen Schweiz finden solche Messen für englischsprachige Temporär-Auswanderer statt, und an jeder ist ein Stand der Ron-Paul-Gruppe aufgebaut, wo die Anhänger des älteren Herrn aus Texas Flugblätter verteilen, die Möglichkeit von Spenden erklären und Wein ausschenken. Auch jetzt noch, Ende April, da das Rennen um die republikanische Präsidentschaftskandidatur längst entschieden ist und sich die Medien hier und in den Staaten nach den turbulenten «Primaries» auf die «General Election» zwischen Barack Obama und seinem Herausforderer Mitt Romney einstellen.

Es gehe eben um mehr als um diese Präsidentschaftskandidatur, sagt Frederic Steinfels, einer der drei Ron-Paul-Fans in Cham. Es gehe um die Idee. Kein Wunder also, dauert es im Gespräch mit Steinfels nicht lange und man kommt von Ron Paul zu Peter Thiel und seinen Ozean-Nationen. Man muss eben gross denken bei dieser Bewegung. Radikalliberal. Libertär!

Wenig, wenig, wenig

In groben Zügen heisst das in den Worten von Ron Paul: So wenig Staat wie möglich. So wenig Steuern wie möglich («Steuern sind Diebstahl»). So wenig Geldpolitik wie möglich (Paul will die US-Notenbank abschaffen). So wenig internationale Verträge und internationale Einsätze wie möglich (als Einziger der republikanischen Kandidaten spricht sich Paul gegen die Interventionen in Afghanistan und Irak und eine mögliche in Iran aus). Und über allem:

So viel individuelle Freiheit wie nur irgend möglich.

Diese Botschaft kommt besser an, als es in den Medien der USA manchmal dargestellt wird: Paul ist ziemlich beliebt. In den Staaten und anderswo. Nicht nur in der Schweiz hat Ron Paul überdurchschnittlich viele Fans, in ganz Europa sind es vor allem junge – eher bürgerlich orientierte – Menschen, die sich für Ron Paul engagieren. Steinfels zum Beispiel ist ein FDPler, Mitglied der Piraten, aber grundsätzlich mit den Parteien in der Schweiz unzufrieden: «Keine ist wirklich liberal.» Er könne sich durchaus vorstellen, dass es in der Schweiz das Poten­zial für eine libertäre Partei oder zumindest einen überparteilichen Interessensverband gebe. Schon nach dem Besuch der «Expat Expo» in Lugano wurde diese Möglichkeit diskutiert. «Die grosse Lehre aus diesem Anlass ist: Es ist Zeit für eine Libertäre Partei», hiess es auf dem Blog der Gruppe.

Schwärmende Jung-SVPler

Für Anian Liebrand, der heute auch am Stand in Cham steht, ist die neue Partei nicht unbedingt eine Option. Er hat seine politische Heimat bereits gefunden, ist Präsident der Jungen SVP im Kanton Luzern. Liebrand will die Ideen seines politischen Vorbilds in der eigenen Partei verwirklichen und kommt etwas ins Schwärmen, wenn er über Ron Paul spricht. «Das sind einfach zeitlose Botschaften, die auf der ganzen Welt Gültigkeit haben.» Mehr Eigenverantwortung, weniger Opportunismus und so gut wie keinen Staat. «Es ist an der Zeit, dass wir unsere direkte Demokratie wieder selbstbestimmt und selbstbewusst leben», sagt Liebrand, der sich seit vier Jahren, seit der letzten Präsidentschaftskandidatur von Ron Paul für den Libertarier interessiert und engagiert.

Reimann, der Fan

Auf nationaler Ebene hat Ron Paul in SVP-Nationalrat Lukas Reimann seinen grössten Fan. Vor allem Pauls Geldpolitik hat es ihm angetan: «Er ist der Einzige, der das anspricht. Nur weil man immer mehr Geld druckt, hat man nicht mehr Wohlstand oder mehr Kartoffeln auf der Welt.» Die Bewunderung von Paul hat bei Reimann ganz konkrete Auswirkungen: Analog zu Paul in den Staaten verlangt der St. Galler Nationalrat in einer Interpellation vom Bundesrat die physische Überprüfung aller Schweizer Goldreserven. Reimann vermutet, dass das in den Bilanzen aufgeführte Gold gar nicht mehr vorhanden ist. Auch Ron Paul hat schon mehrmals öffentlich gemutmasst, dass die Bunker von Fort Knox nicht nur gut bewacht, sondern auch ziemlich leer seien.

Aber das ist nur ein Aspekt, auch Reimann geht es um das grosse Ganze. «Es ist seine Freiheitsidee, die so faszinierend ist.» Dafür müsse man nicht auf einer Insel leben, sagt Reimann, die Idee werde sich auch zu Lande durchsetzen. In Zeiten der grossen Krisen hätten die Menschen bisher in der Geschichte immer eher den sozialistischen Lösungsansatz gewählt. Mehr Staat, mehr Regulierung.

«Dieses Mal», sagt Lukas Reimann, «dieses Mal geht es in eine andere Richtung. Und die Leute werden sagen: Gebt uns die Freiheit zurück. Lasst uns selber machen.»

Quellen

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 27.04.12

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