Libyen steht vor dem völligen Zerfall

Gleich zwei Regierungen beanspruchen in Libyen derzeit die exekutive Gewalt. Wirklich arbeiten kann keine.

Kampfzone Benghazi: Extremistische Milizen und die libyschen Streitkräfte liefern sich blutige Kämpfe. (Bild: STRINGER)

Gleich zwei Regierungen beanspruchen in Libyen derzeit die exekutive Gewalt. Wirklich arbeiten kann keine. Dafür zieht die «Operation Würde» des abtrünnigen Generals Haftar immer weitere Kreise. Bewaffnete Auseinandersetzungen mit der islamistischen Ansar al-Sharia haben in Benghazi am Montag wieder viele Tote gefordert.

Als Schlangengrube hat der Karikaturist der panarabischen Zeitung «al-Hayat» am Wochenende Libyen gezeichnet. Neben giftigen Wortgefechten werden die Differenzen unter den verschiedenen Lagern aber immer öfter mit Waffengewalt ausgetragen. Der Libyen-Gesandte Frankreichs, Denis Gauer, bezeichnete die Lage als kompliziert und potentiell gefährlich für Libyen und seine Nachbarn.

Gauer traf sich mit zwei «Regierungschefs». Abdullah al-Thini hat diesen Posten seit März und will mit seinem Kabinett solange weiterarbeiten, bis das Verfassungsgericht entschieden hat, ob die Wahl seines Nachfolgers Ahmed al-Maitik rechtmässig war oder nicht. Er erwartet eine Antwort in zwei Wochen.

Konkurrierende Kabinette ohne Geld

Das Parlament hatte Maitik, einem 42-jährigen Geschäftsmann aus Misrata, trotz massiver Kritik vor einer Woche das Vertrauen ausgesprochen, und dieser hat in einem Hotel bereits eine erste Kabinettsitzung abgehalten. Mehrere Ministerposten konnte er allerdings noch nicht besetzen. Keines der konkurrierenden Kabinette ist in der Lage, die Regierungsgeschäfte ordnungsgemäss zu führen, denn das Parlament hat immer noch kein Budget für das laufende Jahr verabschiedet.



Libya's new Prime Minister Ahmed Maiteeq talks during an interview with Reuters journalists in Tripoli May 26, 2014. Libya's new premier said on Monday his government will focus on fighting militants, securing borders and strengthening the military with t

Er ist der neue Premierminister von Libyen, aber wirkliche Macht hat er nicht: Ahmed al-Maitik. (Bild: AHMED JADALLAH)

Maitik ist in einer höchst umstrittenen Wahl von der islamistischen Mehrheit des Parlamentes auf diesen Posten befördert worden. Der Letzte einer Reihe von Winkelzügen, mit denen die Muslimbrüder und andere mit ihnen verbündete islamistische Gruppierung wie der extremistische Wafa-Block, mehrere Institutionen unter ihre Kontrolle gebracht hatten, war schliesslich auch der Auslöser für die «Operation Würde».

Begünstigt durch machtlose Regierungen erhält Ex-General Khalifa al-Haftar massive Unterstützung für seinen im Mai in Benghazi lancierten Feldzug gegen islamistische Extremisten. Mit seinem «Kampf gegen den Terror», seinem Bestreben, eine starke nationale Armee zu formen sowie seiner Forderung, dass das Parlament sich auflösen und Maitik verzichten soll, identifizieren sich vor allem liberale säkulare politische Kräfte.

Blutiger Gegenschlag




Der ex-General Khalifa al-Haftar klingt so, als ob er für das Amt des Präsidenten kandidieren will. (Bild: ESAM OMRAN AL-FETORI)

Allerdings gibt es auch grosse Vorbehalte gegen die Person Haftars und die unklaren politischen Ambitionen des neuen starken Mannes. Er hat bereits mit Worten, die an Ägyptens Sisi mahnen, durchblicken lassen, dass er als Präsident kandidieren könnte, sollte das Volk das wollen.

Kritisiert wird auch sein einseitiges Augenmerk auf islamistische Milizen. Es gibt viele andere bewaffnete Gruppierungen, die genauso ein Problem für die Sicherheit Libyens darstellen.

Hinter Haftar haben sich verschiedene Milizen, aber auch Teile der regulären Streitkräfte – er behauptet 75 Prozent – gestellt. Er kann sich auch auf mehrere der grossen Stämme stützen.

Dabei zeigt sich eine grosse Kluft zwischen West und Ost. Im Osten, wo die Islamisten ihre Hochburgen haben, ist der Zulauf für Haftar weit stärker. Auch die Föderalisten haben sich auf seine Seite und gegen Maitik gestellt. Sie drohen die Übereinkunft mit der Regierung Thini über die schrittweise Wiedereröffnung der Ölhäfen platzen zu lassen.




Eine Demonstration für die «Operation Würde». Es zeigt, dass Haftar nicht alleine steht. (Bild: Esam Omran al-Fetori)

Ansar al-Sharia, das Hauptangriffsziel von Haftars Kräften, hat am Montag zu einem blutigen Gegenschlag ausgeholt. Mit schweren Waffen hat sie eine Basis einer Eliteeinheit in Benghazi angegriffen, die sich hinter Hafter gestellt hatte. Es folgten kriegerische Auseinandersetzungen in mehreren Stadtteilen, bei denen Zivilisten zwischen die Fronten gerieten. Mindestens 18 Personen wurden getötet, über 60 verletzt. Bereits in den letzten Tagen hatte die islamistische Miliz gedroht, sich mit al-Qaida-Kämpfern aus andern Ländern zu verstärken.



Mohamed Zahawi, head of the Benghazi brigade of Ansar al-Sharia, delivers a statement in Benghazi May 27, 2014. Zahawi warned the United States on Tuesday against interfering in the country's crisis or face worse than their conflicts in Somalia, Iraq, or

Der Mann an der Spitze der extremistischen Gruppe «Ansar al-Sharia»: Mohamed Zahawi. (Bild: ESAM OMRAN AL-FETORI)

Wahlen als Ausweg?

Lange hatte in Libyen ein labiles Gleichgewicht zwischen den stärksten Milizen Bestand. Mit Haftars Auftreten ist diese Balance gestört worden und die Gefahr eines Bürgerkrieges hat sich massiv erhöht. Das zeigen die neuen Kämpfe in Benghazi, aber auch in Tripolis wurden in den letzten Tagen Einheiten angegriffen, die sich für Haftar stark machen.

Mehrere Länder, darunter die USA und Jordanien, haben deshalb in den letzten Tagen ihre Angehörigen aufgefordert, Libyen zu verlassen. Unter den politischen Institutionen geniesst einzig noch die im Februar gewählte Verfassungskommission Glaubwürdigkeit. Sie steht in einem Wettlauf mit der Dynamik der bewaffneten Kräfte. Ob in diesem Klima der Versuch gelingt, am 25. Juni über die Neuwahl des Parlamentes die Krise zu entschärfen, ist im Moment völlig offen.

Quellen

3.6.14, 22:52 Uhr: Bildlegende korrigiert – es handelt sich natürlich um Streitkräfte, wie Leser Jürg Lienhard richtig bemerkt hat.

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