Der Basler Verein Workfair 50+ fordert von Politik und Wirtschaft konkrete Massnahmen gegen die Zunahme der Erwerbslosigkeit bei erfahrenen Arbeitnehmern. Der Zuspruch ist gross – nun präsentiert Workfair 50+ ein Politiker-Ranking.
Den Verein Workfair 50+ gibt es erst seit wenigen Monaten. «Und schon haben wir über 60 Mitglieder und ein beachtliches Echo bei Wirtschaft und Politik», sagt Michel Wiederkehr, Vorstandsmitglied im Verein und Basler BDP-Grossratskandidat. Wiederkehr steht neben Vereinsgründer Pascal Pfister, Grossrat der Basler SP. «Das Thema betrifft alle», sagt Pfister.
Das Thema: Die Situation von Menschen um und über 50 in der Arbeitswelt respektive von Menschen, die keine Arbeit mehr haben oder von Erwerbslosigkeit bedroht sind. Dass das Thema viele betrifft, lässt sich kaum von der Hand weisen: Zwischen 2001 und 2015 nahm die Zahl der Sozialhilfe-Fälle bei den 51–65-Jährigen im Kanton Basel-Stadt um 135 Prozent zu. Zum Vergleich: Die Zahl der Sozialhilfefälle in der Altersgruppe der 26–35-Jährigen nahm in derselben Zeitspanne um 21 Prozent zu.
«Es sollte allen klar sein, dass man etwas tun muss.»
Nun setzen sich linke und bürgerliche Politiker gemeinsam für Betroffene ein. Ein Widerspruch? «Das Thema ist thematisch viel zu wichtig, als dass man sich darüber wegen sonstiger politischer Differenzen nicht zusammentun sollte», sagt Michel Wiederkehr. «Auch wenn wir uns nicht in allen Einzelheiten einig sind: Es sollte allen klar sein, dass man da etwas tun muss.» Das gelte für linke, für Bürgerliche, auch für Leute, die sich gar nicht für Politik interessieren.
Fünf Vorstösse seien in den vergangenen vier Jahren im Grossen Rat zum Thema gemacht worden, sagt Pascal Pfister. Und weiter: «Im Grossen Rat haben wir keine linke Mehrheit. Ohne Stimmen aus dem bürgerlichen Lager ginge es da nicht vorwärts. Bisher hat es immer gereicht.»
Doch Workfair 50+ möchte mehr. Derzeit sei man noch mit Aufbauarbeit beschäftigt – geplant seien für den Verein die vier Standbeine Öffentlichkeitsarbeit, Lobbying, Umsetzung konkreter Projekte sowie die Beratung Betroffener, so Pfister.
Basler Politiker bewertet
Damit sich die Bevölkerung ein Bild machen kann, hat der Verein ein «kleines Ranking» zum Thema durchgeführt. Je nach Abstimmungsverhalten zu den fünf Vorstössen verteilten die Vereinsmitglieder unter Zuzug einer unabhängigen Jury Punkte. Ausserdem sammelten sie Aussagen zum Thema 50+ der Politikerinnen und Politiker – auch diese wurden für das Ranking berücksichtigt.
Parlamentarier quer durch das politische Spektrum kommen in der Rangliste vor. Die Rangliste sei gar nicht so wichtig, sagt Pfister: «Im Zentrum stehen die Aussagen. Die Leute sollen sich selbst ein Bild machen, wer für ihr Anliegen eintritt.»
«Im Fall eines Stellenverlustes folgt rasch der komplette Verlust des Vermögens.»
Das Problem betreffe zwar nicht nur die Region Basel, sondern die ganze Schweiz – und sei darum auch nur national lösbar, sagt Michel Wiederkehr. Trotzdem könne man auch regional etwas erreichen, und irgendwo müsse man ja anfangen. «Es sind konstruktive, parteiübergreifende Lösungen gefragt.»
«Es kann jeden treffen», sagt Pascal Pfister: «Im Fall eines Stellenverlustes folgt rasch der komplette Verlust des Vermögens. Die Leute fallen zwischen Stuhl und Bank.»
Auch er habe einen Bekannten, knapp über 50, der nach einem Stellenverlust – «aus heiterem Himmel» – keine Stelle mehr gefunden habe, erzählt Wiederkehr. «Dann folgte der soziale Abstieg.» Pascal Pfister fügt an: «Das ist eine soziale Zeitbombe, wenn man nichts macht. Und dessen müssen sich die Politik und die Wirtschaft von links bis rechts bewusst sein und handeln. Soziale Probleme muss man lösen, bevor es knallt.»
Ausgewählte Zitate von Basler Politikerinnen und Politikern aus dem Ranking von Workfair 50+:
«Für mich steht ausser Frage, dass bei Stellenbewerbungen den über Fünfzigjährigen die gleichen Chancen auf eine Anstellung eingeräumt werden müssen wie Jüngeren. Sie haben über lange Jahre mit ihren Beiträgen die Sozialwerke alimentiert, sie haben Erfahrung nicht nur beruflicher Art, und sie sind wichtig im Altersmix einer Belegschaft in einer immer älter werdenden Gesellschaft. Sie zu benachteiligen, gefährdet mittelfristig schlicht den sozialen Frieden unseres Gemeinwesens.»
Oswald Inglin, Grossrat CVP-EVP
«Als Unternehmer mit ca. 30 Mitarbeitenden ist eine gute Diversität erfolgsentscheidend – dazu gehört eine gute Durchmischung zwischen Alt und Jung, genauso wie zwischen den Geschlechtern. Für uns ist es selbstverständlich, das ganze Potenzial an Fachkräften nutzen.»
Aeneas Wanner, Grossrat GLP
«Die vermehrte Erwerbslosigkeit und die Verschlechterung der Arbeitssituation für über 50-Jährige ist für die Betroffenen eine sehr belastende Situation. Für die Gesellschaft ist dies ein Armutszeugnis! Die Erfahrungen und das Wissen dieser Generation sollten geachtet werden. Die Thematik muss ins Bewusstsein der Politik und Gesellschaft gerückt werden. Als Grossrätin würde ich mich dafür einsetzen, dass auf diese Problematik sensibilisiert wird, und eine Arbeitsmarktpolitik, bei welcher Menschen ü50 geachtet werden und Platz haben, unterstützen.»
Andrea Wüthrich, Grossratskandidatin, jgb«Die Geringschätzung, die Menschen 50+ von vielen Arbeitgebern erfahren, ist ein Affront. Wissen und Erfahrung sind weniger Wert als zu leistende Pensionskassenbeiträge. Absurd ist, dass dieselben, die Menschen 50+ auf die Strasse stellen, Rentenalter 67 fordern. Als Gewerkschafterin fordere ich Sicherheit im Beruf, z.B. Kündigungsschutz für ältere Mitarbeitende, und ein Alter in Würde, z.B. AHVplus.»
Toya Krummenacher, Grossrätin SP«Die Erwerbslosenquote bei den über 55-Jährigen liegt mit ca. 3% deutlich unter dem schweizerischen Durchschnittswert. Allerdings dauert die Jobsuche nach einer Kündigung wesentlich länger, je älter man wird. Von staatlichen Schutzmassnahmen für ältere Arbeitnehmer halte ich nichts. Das würde denjenigen nützen, die bereits eine Anstellung haben. Die Chancen einer Anstellung für Arbeitslose über 50 würde jedoch sinken. Hingegen längere Kündigungsfristen sowie doppelt so lange Taggeldzahlungen bringen allen Ü50-Arbeitnehmern einen Vorteil. Die Firmen, welche überdurchschnittlich viele Ältere beschäftigen, sollten nicht zusätzlich bestraft werden: Die höheren Kosten sollte die Gesellschaft tragen. Besser als Worte sind Taten: Letztes Jahr habe ich einen top-motivierten Ü50-Mitarbeiter eingestellt, dieses Jahr stellen wir in meinem Bereich einen Ü60-Mitarbeiter ein.»
Beat Braun-Gallacchi, Grossrat FDP«Arbeitnehmer Ü50 leisten mit ihrer langjährigen Erfahrung einen wertvollen Beitrag in jedem Unternehmen! Es ist ein grosser volkswirtschaftlicher Verlust, wenn Menschen Ü50 ohne Beschäftigung sind! Politiker und Arbeitgeber stehen in der Verantwortung, dafür Sorge zu tragen, dass diese Ressourcen nicht verloren gehen!»
Michel Rusterholtz, Grossrat BDP«Die Zukunftsängste meiner älteren ArbeitskollegInnen erlebe ich hautnah mit. Manche wechseln eine untragbare Stelle nicht mehr, aus Angst nichts mehr finden zu können. Andere die den Mut dazu aufzeigen wollen, erhalten keine Chancen, da für viele Firmen nur noch die Lohnkosten massgebend sind. Das ist ein akutes Problem, welche sich noch mehr zuspitzen wird. Deshalb müssen bessere Arbeitsverhältnisse für 50+ geschaffen werden und die Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt erleichtert werden. Denn dieses Wissen auf dem Arbeitsmarkt ist Gold wert.»
Aydin Ali, Grossratskandidat BastA!