Vor vier Jahren war Lorenz Nägelin bei den Regierungsratswahlen chancenlos. Im Herbst 2016 versucht es der Basler SVP-Politiker der ersten Stunde erneut und rechnet sich nach der Aufnahme ins bürgerliche Kandidatenquartett bessere Chancen aus, «die grosse Bevölkerungsgruppe» der SVP-Wähler endlich auch in der Exekutive vertreten zu können.
Dem Klischeebild eines typischen SVP-Politikers entspricht Lorenz Nägelin nicht wirklich. An einem Buurezmorge würde der smart wirkende 49-Jährige wohl als Fremdkörper auffallen, und in seiner ruhigen und zurückhaltenden Ausdrucksweise hat er auch nichts mit den prominenten Polteri aus der Mutterpartei gemein.
Aber auch im Boot des bürgerlichen Kandidatenquartetts wirkt er, obwohl er stets an der Seite der Mitstreiter steht (oder auch mal in den Rhein springt), ein bisschen als knapp geduldeter Aussenseiter. Es ist grundsätzlich schwierig, den Präsidenten der SVP-Fraktion im Grossen Rat erfassen zu können.
Lorenz Nägelin möchte der erste Basler SVP-Regierungsrat werden. Das wollte er bereits vor vier Jahren – damals in einem Zweierticket mit seinem Grossratskollegen Patrick Hafner. Nägelin landete bei den Regierungsratswahlen aber abgeschlagen auf dem zehnten Platz, und auch bei der gleichzeitigen Wahl des Regierungspräsidenten schied er mit einem desolaten Resultat aus. Anders als im Grossen Rat blieb die Exekutive bislang SVP-freie Zone, wie dies der abtretende Erziehungsdirektor Christoph Eymann einst formuliert hatte.
Umstrittener Joker für eine bürgerliche Mehrheit
Nägelin bleibt aber dabei: «Es kann doch nicht sein, dass eine grosse Bevölkerungsschicht in der Regierung nicht vertreten ist», sagt er. Gemeint sind die Wählerinnen und Wähler, die die SVP im Grossen Rat zur stärksten bürgerlichen Fraktion erhoben. Das sei für ihn der Antrieb gewesen, noch einmal zur Wahl anzutreten. Und das parteiübergeordnete Bestreben, in der Exekutive wieder eine bürgerliche Mehrheit zu installieren.
Anders als vor vier Jahren muss die SVP 2016 allerdings nicht mehr im Alleingang zu den Wahlen antreten. Nach dem wahlarithmetisch erfolgreichen Baselbieter Vorbild haben sich die traditionellen bürgerlichen Parteien der Stadt dazu durchgerungen, die bislang strikt gemiedene SVP in ihren Reihen aufzunehmen.
Arbeit in einem sozialen Beruf
Ist das der Grund, dass Nägelin auf den ersten Blick wie eine SVP-Light-Variante daherkommt? Hat er sich im Bewusstsein, dass es SVP-Positionen in Basel bei Abstimmungen und Majorzwahlen sehr schwer haben, in ein liberales Mäntelchen gehüllt? Nägelin verneint. Er sei sich selber treu geblieben. «Ich bin ein bürgerlicher, liberal denkender Politiker», sagt er.
«Bei der jetzigen Basler Regierung ging vor allem der untere Mittelstand vergessen.» SVP-Regierungsratskandidat Lorenz Nägelin zu den Gründen, warum man ihn wählen sollte. (Bild: Hans-Jörg Walter)
«Was mich vielleicht von anderen SVP-Politikern unterscheidet, ist die Tatsache, dass ich in einem sozialen Beruf arbeite», sagt er. Nägelin ist Kadermitglied bei der Rettung Basel-Stadt und Mitglied der Abteilungsleitung der Sanität. «Ich bin gleichzeitig immer noch aktiv bei Einsätzen an der Front und als Einsatzleiter bei Grossereignissen», sagt der diplomierte Pflegefachmann, der sich später zum Rettungssanitäter und zum Eidgenössisch diplomierten Betriebswirtschafter weiterbilden liess. «Zudem stehe ich als Mitglied des Korps für humanitäre Hilfe des Bundes jederzeit zur Verfügung, in Katastrophengebieten humanitäre Hilfe zu leisten.»
Und er verfüge über eine breite Führungserfahrung im Beruf, in der Politik und im Militär, sagt er weiter. In der Armee besitzt er den hohen Rang eines Oberstleutnants im Stab des Oberfeldarztes, früher war er Kommandant und Militärrichter. 2001 wurde er in den Grossen Rat gewählt. Damit gehörte er zu den ersten SVP-Vertretern im Kantonsparlament. Seit 2007 ist er Fraktionspräsident und Mitglied des Basler Parteivorstands.
Keine explizit rechte Politik in Basel
Zurück aber zur Politik: Er könne mit dem oft benutzten Links-Rechts-Schema nicht viel anfangen, sagt Nägelin. Er wolle ein Regierungsrat für die ganze Kantonsbevölkerung sein und Sachpolitik betreiben.
Das sind Allgemeinplätze, wie man sie von allen Kandidatinnen und Kandidaten hört. Ein Blick in seine Tätigkeit als Grossrat lässt Nägelin aber tatsächlich nicht als SVP-Hardliner erscheinen. Auf der einen Seite zieht sich zwar die Forderung nach mehr Sicherheit sowie Ruhe und Ordnung durch seine Vorstösse und Wortmeldungen. In einer aktuellen Anfrage im Grossen Rat kritisiert er zum Beispiel, dass sich der Vorplatz des Bahnhofs SBB zum Tummelplatz für Randständige entwickelt habe.
Einsatz für Staatsangestellte
Hier entspricht er dem Bild des SVP-Politikers. Auf der anderen Seite regte er in einem Vorstoss die «Überprüfung der belastenden Schichtarbeit im Alter» an – ein Anliegen, das auch von der BastA!-Regierungsratskandidatin Heidi Mück und anderen Grossratsmitgliedern der links-grünen Seite mitgetragen wurde.
Mück beschreibt Nägelin als «eine nette, umgängliche Person». Politisch habe er aber kaum Spuren hinterlassen beziehungsweise kaum relevante Vorstösse gemacht, sagt sie. «Grundsätzlich trägt er jedoch die SVP-Politik mit – ausser vielleicht beim Thema Staatsangestellte, aber da ist er ja auch persönlich betroffen.»
Abschottungspolitik der Mutterpartei als Hypothek
Was die nationale Politik angeht, bewegt sich Nägelin tatsächlich klar auf rechtsbürgerlichen Linie der Mutterpartei. «Die EWR-Abstimmung hat mich zur SVP gebracht», sagt er. «Heute ist man doch froh, dass die Abstimmung so ausgegangen ist», ergänzt er.
Die Abschottungspolitik der nationalen SVP könnte sich für Nägelin in Basel, wo sich auch bürgerliche Politiker gerne weltoffen geben, als Hypothek erweisen. So befürwortet er zum Beispiel die eben erst eingereichte Initiative «Schweizer Recht vor fremden Richtern». Hier öffnet sich ein tiefer Graben zu seinen bürgerlichen Mitstreitern und zu Wirtschaftsverbänden, die die Vorlage heftig kritisieren. Nägelin versucht zu beschwichtigen: «Es ist doch nicht Abschottung, wenn wir uns gegen fremde Richter im Land wehren und unsere Freiheit mit der direkten Demokratie behalten wollen», sagt er.
Für die Masseneinwanderungs-Initiative
Schwer dürfte auch die Tatsache ins Gewicht fallen, dass er die MasseneinwanderungsInitiative der SVP unterstützt hat. «Ich habe mit der Mehrheit gestimmt», sagt Nägelin dazu. Die Aussage, dass er damit eine Vorlage unterstützt hat, die den Wirtschaftsstandort Basel arg in Bedrängnis bringt, lässt er nicht gelten. «Der Wirtschaftsstandort Basel wird keinen Schaden erleiden, hochqualifizierte Arbeitskräfte werden weiterhin Zugang haben», sagt Nägelin.
Entsprechend fühle er sich auch durch die auffallend scharf geäusserte Kritik von hohen Wirtschaftsvertretern an den Folgen der Initiative, namentlich von Roche-CEO Severin Schwan, nicht persönlich betroffen, sagt er weiter. «Schwan kritisierte nicht den Volksentscheid, sondern den Bundesrat und dessen Verzögerung der Umsetzung.» Er selber würde sich als Basler Regierungsrat für eine Lösung stark machen, vor der die Wirtschaft in Basel keine Angst haben müsste.
Vorwärtsschauen
So sehr Nägelin die als wirtschaftsfeindlich angeprangerten Folgen der SVP-Politik kleinzureden versucht, spürt man, dass ihm die Verbindung seiner Person mit den umstrittenen Initiativen nicht behagt. Er sei nicht der Typ Mensch, der sich auf Vergangenes fokussiere, sagt er. «Die Annahme der Initiative drückte ein verbreitetes Unbehagen gegen die Einwanderungsströme aus, jetzt müssen wir vorwärtsschauen.»
Nicht zurückblicken möchte Nägelin auch, wenn man ihn auf den Arbeitskonflikt mit seinem heutigen Chef und in Zukunft möglichen Regierungsratskollegen Baschi Dürr anspricht. Wegen seiner Kritik an Rettungschef Dominik Walliser wollte Dürr Nägelin, der als Teamleiter bei der Sanität arbeitete, versetzen. Nägelin wehrte sich rechtlich dagegen und bekam schliesslich recht. Dazwischen lagen aber fast zwei Jahre, während denen er freigestellt war.
«Das war eine schwierige Zeit, die Sache ist aber gegessen», sagt Nägelin heute. Weiter will er sich nicht mehr dazu äussern.
Für den benachteiligten Mittelstand und die KMU
Also der Blick nach vorne: Die Antwort auf die Frage, was er denn als Mitglied einer bürgerlichen Regierungsmehrheit grundsätzlich anders machen würde, klingt bei Nägelin ähnlich wie bei seinen Mitkandidaten aus der FDP, LDP und CVP. Es gelte, die Steuern zu senken – «besonders für den unteren Mittelstand, der von der rot-grünen Regierungsmehrheit vergessen wurde». Die Basler Politik müsse KMU-freundlicher werden – besonders was die Überregulierung angehe. «Es kann doch nicht sein, dass der Staat wie beim Beispiel East-West-Hotel einem Wirt verbietet, Holzbänke aufzustellen», nennt er als Beispiel.
Als weitere Stichworte nennt er Sicherheit, Wohnungsmarkt, Parkraumbewirtschaftung, Eigenmietwert und die verkehrsfreie Innenstadt. «Ich bin für eine verkehrsfreie Innenstadt, aber gegen die restriktive und damit KMU-feindliche Durchsetzung», sagt er. Und wie bei seinen bürgerlichen Mitkandidaten bekommt man das Gefühl nicht los, dass es die heutige Regierung den Herausforderern nicht leicht macht, entscheidende Angriffspunkte und damit auch einschlagende Argumente für einen Richtungswechsel zu finden.
Zum einen sicher eine gewisse Unruhe, die in diesem Kanton herrscht, dass es namentlich immer wieder zu Überfällen auf der Strasse kommt. Dann der angespannte Arbeits- und Wohnungsmarkt. Und schliesslich die Parkplatzsituation, die vor allem das Leben der KMU erschwert, die auch unter dem tiefen Euro-Kurs zu leiden haben.
Wieso sollte man ausgerechnet Sie wählen?
Ich bringe breite Führungserfahrung mit, bin nahe beim Bürger und eine grosse Bevölkerungsschicht ist nicht in der Regierung vertreten, nämlich die Wählerschaft der SVP, der stärksten bürgerlichen Kraft im Grossen Rat. Mit meiner Wahl würde die Regierung wieder eine bürgerliche Mehrheit erlangen, was dem Kanton und speziell den KMU und dem Mittelstand guttun würde. Ich würde dazu beitragen, dass die KMU von der Überregulierung und der Mittelstand von der steuerlichen Überbelastung befreit würden.
Welches Buch liegt auf Ihrem Nachttisch?
«Für Eile fehlt mir die Zeit» von Horst Evers.
Steckbrief:
Geboren: 1967 in Basel.
Politische Laufbahn: Im Grossen Rat seit 2001, seit 2007 Fraktionspräsident und Mitglied im Parteivorstand, Vizepräsident der Gesundheits- und Sozialkommission, Mitglied der Petitionskommission und der Interparlamentarischen Geschäftsprüfungskommission des Universitäts-Kinderspitals beider Basel.
Beruflicher Werdegang: Ausbildung zum dipl. Pflegefachmann und dipl. Rettungssanitäter, Nachdiplomstudium zum eidg. dipl. Betriebswirtschafter, Pharmareferent und wissenschaftlicher Mitarbeiter Pharma in Zürich und Darmstadt. Stelle als Kadermitglied in der Rettung Basel-Stadt. Militärischer Rang als Oberstleutnant im Stab des Oberfeldarztes. Mitglied der Zunft Zum Goldenen Sternen, aktiv in der Rettungskette Schweiz, im Korps für Humanitäre Hilfe, der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit im Eidg. Departement für auswärtige Angelegenheiten.
Familiäres: In partnerschaftlicher Beziehung zu einer Frau mit einem 13-jährigen Sohn. Lebt auf dem Bruderholz.
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Die TagesWoche porträtiert während dem Wahlkampf alle bisherigen Regierungsräte und neuen Kandidaten. Bereits erschienen: Eva Herzog, Conradin Cramer, Lukas Engelberger, Christoph Brutschin
Demnächst im Porträt: Heidi Mück (BastA!).