Macht Hollande Dampf, schwitzt auch die Schweiz

Steuerabkommen, Holdingsteuern – unter dem sozialistischen Präsidenten François Hollande dürften die Beziehungen Schweiz-Frankreich schwieriger werden. Ein Kommentar.

Schweizer Steueroasen für Holding-Firmen droht Ungemach. (Bild: Keystone)

Steuerabkommen, Holdingsteuern – unter dem sozialistischen Präsidenten François Hollande dürften die Beziehungen Schweiz-Frankreich schwieriger werden. Ein Kommentar.

Man kann den neuen französischen Staatspräsidenten sympathisch oder unsympathisch finden, sich über seine Wahl freuen oder Nicolas Sarkozy nachtrauern – das ist eigentlich unerheblich. Ziemlich sicher ist aber, dass für die Schweiz ungemütlichere Zeiten anbrechen werden. Unter François ­Hollande wird sich Frankreich nicht nur bemühen, die Wirtschaft anzukurbeln und neue Arbeitsplätze zu schaffen, sondern auch, neue Geldquellen zu erschliessen. Denn eine vom Staat geförderte Wachstumspolitik kostet Geld, und Geld ist in Frankreich rar.

Neuer Druck aufs Bankgeheimnis

Als erstes dürfte der Druck auf das schweizerische Bankgeheimnis wieder wachsen. Mit den Deutschen und den Briten – auch mit den Amerikanern natürlich – hat sich der Bundesrat auf Doppelbesteuerungsabkommen geeinigt, mit Italien soll es bald soweit sein. Sie bewahren das Bankgeheimnis der Form halber, macht aber die Schweizer Banken faktisch zu Steuereintreibern für andere Länder.

Ob sich Frankreich unter sozialistischer Führung auch auf einen solchen Deal einlässt oder innerhalb der EU wieder die Idee vorantreibt, von der Schweiz den automatischen Informa­tionsaustausch zu erzwingen, bleibt vorerst offen. Sicher aber ist, dass Hollande und seine Regierung entschiedener daran gehen werden, das Geld von französischen Steuerflüchtlingen einzutreiben als Sarkozy. Dieser hatte ja gerade in Steuerfragen ein grosses Herz für Reiche und Superreiche.

Macht Hollande mit seinen Ankündigungen ernst, die Steuern für Wohlhabende drastisch zu erhöhen, wird die Schweiz ohnehin stärker in den Fokus französischer Beobachter rücken. Es ist zu erwarten, dass sich dann viele reiche Franzosen in die Schweiz abzusetzen versuchen – was unser Land in Frankreich nicht unbedingt in sympathischerem Licht erscheinen lässt. ­Das könnte uns ja eigentlich egal sein – man muss nicht von allen geliebt werden. Unangenehm dürfte es aber werden, wenn aufkommende Antipathie die Schweiz-Politik der EU beeinflusst.

Der EU ist beispielsweise auch die schweizerische Praxis, Holding-Firmen zu besteuern, ein Dorn im Auge. Seit Längerem kritisiert die EU-Kommission, dass die Steuersätze für ­Dachgesellschaften von international tätigen Unternehmen in einzelnen Kantonen der Schweiz tiefer sind als jene für schweizerische Unternehmen. Das widerspricht – laut EU – den Verträgen, die sie mit der Schweiz abgeschlossen hat. Bislang hat das zu keinen ernsthaften Konflikten geführt, nur hin und wieder zu Drohgebärden.

Die allerletzten Cents

Mit dem Erstarken der Sozialisten in Frankreich und mit der absehbaren Machtübernahme der Linken in Deutschland könnte sich das ändern. Gewiss, Linke haben Frankreich und Deutschland auch schon regiert. Aber der Finanzbedarf war damals in beiden Ländern nicht so gross wie heute. Man sah noch keine Notwendigkeit, die allerletzten Cents zusammenzukratzen, um Ankurbelungsprogramme finanzieren zu können. Das ist jetzt anders: Die Beharrlichkeit, wie sie etwa Deutschland zeigt, Steuerhinterzieher in der Schweiz ausfindig zu machen, entspringt nicht einem Gerechtigkeitsempfinden sondern dem Zwang, Staatsausgaben zu finanzieren. Und wenn Frankreich neben der Jagd auf Steuerhinterzieher auch das Austrocknen von schweizerischen Steueroasen für international tätige Holding-Gesellschaften auf die Agenda setzt, wird es sehr schwierig für die Schweiz. Denn Deutschland und Frankreich sind nicht einfach zwei von 27 EU-Staaten, sondern sie geben in der EU den Takt an.

Nun können wir Schweizer uns auf Wilhelm Tell berufen oder auf den ­Reduit-Geist des Zweiten Weltkriegs und von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang unsere Unabhängigkeit und Freiheit lobpreisen. Das macht uns aber kein Stück freier und unabhängiger. Denn: Wir wirtschaften mit unseren Nachbarn, mit anderen EU-Staaten; und wer miteinander wirtschaftet, ist auch voneinander abhängig. Wir haben in aller Freiheit verschiedenen Bilateralen Abkommen mit der EU zugestimmt und damit auch akzeptiert, dass wir EU-Regeln und Gesetze übernehmen. Mehr als die Hälfte der schweizerischen Gesetze ist letztlich von der EU bestimmt.

Auch ohne EU- oder EWR-Mitglied zu sein, ist die Schweiz faktisch doch ein Teil der Europäischen Union. Denn der Bilaterale Weg, der den freien Zugang zum europäischen Markt ermöglicht, ist nur offen, solange die Eidgenossenschaft die Regeln respektiert. Mehr noch: Immer dringlicher fordert Brüssel, dass die Schweiz in den Bereichen, welche die Bilateralen Abkommen betrifft, europäisches Recht zu übernehmen habe. Und was die Besteuerung von Holding-Firmen betrifft, so hat Brüssel triftige Argumente, dass die schweizerische Auslegung und Praxis gemeinsam unterzeichnete Abkommen verletzt.

Je deutlicher Brüssel die Begehren stellt, desto stiller werden die Schweizer Politiker. Mit der EU-Politik will kaum jemand wirklich zu tun haben. Da kann man sich nur die Finger verbrennen. Wer eine Spur Verständnis für EU-Anliegen zeigt, droht als Landesverräter an den Pranger gestellt zu werden, der die Freiheit und Unabhängigkeit aufs Spiel setzt. Dabei müssten gerade jetzt – noch bevor Frankreich eine neue Offensive er­öffnet – aus Bern selbstbewusste Vorschläge kommen, wie die Zusammenarbeit zwischen der Schweiz und der EU weiterentwickelt und aussehen könnte.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 11.05.12

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