Malkurse statt politische Bildung: Wie ein Gesetz die NGOs bedroht

Seit Montag stehen viele ägyptische Menschenrechtsaktivisten mit einem Bein im Gefängnis. Ihre Organisationen haben die Registrierung unter einem rigiden Gesetz aus der Mubarak-Zeit verweigert, das letzte Woche auch vom UN-Menschenrechtsrat in Genf kritisiert worden war.

Egyptian President Abdel Fattah al-Sisi gives a speech outside the Supreme Council in Cairo October 25, 2014, in this handout courtesy of the Egyptian Presidency. REUTERS/The Egyptian Presidency/Handout via Reuters (EGYPT - Tags: POLITICS MILITARY) ATTENTION EDITORS - THIS PICTURE WAS PROVIDED BY A THIRD PARTY. REUTERS IS UNABLE TO INDEPENDENTLY VERIFY THE AUTHENTICITY, CONTENT, LOCATION OR DATE OF THIS IMAGE. NO SALES. NO ARCHIVES. FOR EDITORIAL USE ONLY. NOT FOR SALE FOR MARKETING OR ADVERTISING CAMPAIGNS. THIS PICTURE IS DISTRIBUTED EXACTLY AS RECEIVED BY REUTERS, AS A SERVICE TO CLIENTS (Bild: HANDOUT)

Seit Montag stehen viele ägyptische Menschenrechtsaktivisten mit einem Bein im Gefängnis. Ihre Organisationen haben die Registrierung unter einem rigiden Gesetz aus der Mubarak-Zeit verweigert, das letzte Woche auch vom UN-Menschenrechtsrat in Genf kritisiert worden war.

Das aktuelle Programm der Tahrir Lounge nahe beim gleichnamigen, historischen Platz in Kairo sorgt für ungläubiges Staunen. Es finden Kurse zum Malen mit Wasserfarben, Ledernähen, Body Shape, Wachsverarbeiten, Puppentheater oder Fotografie statt. Die Tahrir Lounge öffnete unmittelbar nach den Revolutionstagen im Februar 2011 ihre Tore.

Das ehrgeizige Projekt war das geistige Kind des Goethe Institutes. Die Lounge arbeitet aber autonom und wollte ursprünglich den politischen Wandel unterstützen. Die Räume standen allen jungen Aktivisten des Tahrir von Liberalen bis konservativen Salafisten offen. Alle hatten sich mit verschiedenen Aktivitäten der Bildung von politischem Bewusstsein verschrieben. Heute hält man sich von allem fern, was mit Politik nur im Entferntesten zu tun hat.

Abweichungen von Sisis-Linie sind nicht geduldet

Bald vier Jahre nach dem Sturz von ex-Präsident Hosni Mubarak geht in der ägyptischen Zivilgesellschaft wieder die Angst um. Die Meldungen von Nichtregierungsorganisationen (NGO), die ihre Arbeit einstellen, häufen sich. In den letzten Tagen war die Reihe am Carter Center, das Wahlen beobachtet hatte, und an al-Marwed al-Thaqafi (Culture Resource), einer regionalen NGO, die mit grossem Erfolg die unabhängige Kulturszene unterstützt hatte. Andere Initiativen wie die Tahrir Lounge haben ihr Profil geändert. Schuld sind ein restriktives NGO-Gesetz und das aufgeheizte Klima, das Abweichungen von der von Präsident Abdelfattah al-Sisi vorgegebenen Linie nicht zulässt.

Vergangene Woche musste sich die ägyptische Regierung in Genf der periodischen Überprüfung der Menschenrechtssituation durch den UN-Menschenrechtsrat stellen. Mit Angst vor Vergeltung und möglicher Verfolgung in dem feindlichen Klima, in dem sie arbeiten müssten, hatten sieben unabhängige ägyptische Menschenrechtsorganisationen begründet, weshalb sie nicht nach Genf gefahren waren.

Bei der letzten Überprüfung im Jahr 2010 in der Mubarak-Ära, hatte die Regierung Menschenrechtsorganisationen noch in die Vorbereitung einbezogen. Diesmal gab es keine Konsultationen mehr. Trotz des rosigen Bildes, das die Regierungsvertreter in Genf gestützt auf die neue Verfassung zeichnen wollten, müssen sie nun bis März 2015 Antworten auf 314 Empfehlungen – doppelt so viele wie vor vier Jahren – suchen.

Ausländische Gelder im Visier

Die Kritikpunkte betrafen kontroverse Themen wie das rigorose Demonstrationsgesetz, seit dessen Inkrafttreten Dutzende politische Aktivisten hohe Gefängnisstrafen erhielten, das umstrittene NGO-Gesetz aus der Mubarak-Zeit, die massenweise Verhängung von Todesurteilen, Einschränkungen der Ausdrucksfreiheit und die blutige Auflösung der Pro-Morsi Protestcamps mit hunderten Toten im vergangenen Sommer.

Schon die Mubarak-Regierung hatte versprochen, das NGO-Gesetz aus dem Jahr 2002 internationalen Standards anzupassen. Am Montag ist jetzt ein Ultimatum der neuen vom Militär gestützten Sisi-Regierung abgelaufen, das eine Registrierung genau unter diesem Gesetz verlangt hat. Behörden können ohne Gerichtsbeschluss NGOs schliessen, ihr Vermögen konfiszieren und ihre Organe auflösen und vor allem schränkt es die Möglichkeit ausländisches Geld anzunehmen massiv ein. Anträge für entsprechende Bewilligungen – etwa EU-Gelder einzusetzen – werden teilweise über ein Jahr lang nicht beantwortet. Für Zuwiderhandlungen sind eben die Strafen kräftig erhöht worden.

Behörden können ohne Gerichtsbeschluss NGOs schliessen, ihr Vermögen konfiszieren und ihre Organe auflösen.

Nach Meinung vieler Betroffener ist das Gesetz dazu da, die Zivilgesellschaft zu knebeln und deshalb auch nicht konform mit der neuen Verfassung. Betroffen sind vor allem NGOs, die sich mit der Lage der Menschenrechte befassen. Sie können ohne ausländische Unterstützung nur beschränkt arbeiten. Mehrere NGOs haben sich deshalb geweigert, dem Ultimatum Folge zu leisten und müssen nun mit harschen Strafen rechnen. Mohammed Zarie, Direktor eines Zentrums für die Rechte von Gefangenen, sprach in einer lokalen Zeitung von einer «Kriegserklärung» an die Organisationen der Zivilgesellschaft.

Neuer Maulkorb für die Medien

Derzeit sind es die Sicherheitsorgane, die mit dem Hinweis auf die nationale Sicherheit in Ägypten alles bestimmen. Kritische Stimmen gegen diese Entwicklung sind weitgehend verstummt, viele profilierte Kommentatoren abgetaucht. Der Satiriker Bassem Yousef gab ebenso auf wie der Schriftsteller Alaa al-Aswany, der seine wöchentliche Zeitungskolumne mit der Begründung einstellte, heute sei nur noch eine einzige Meinung erlaubt.

Es vergeht kaum ein Tag, ohne dass Gesetze oder Verordnungen erlassen werden, mit denen die Rechte der Bürger weiter eingeschränkt werden. Das neuste vom Verteidigungsministerium auf den Weg gebrachte Gesetz ist ein Maulkorb für die Medien, denen unter Strafe verboten werden soll, ohne schriftliche Bewilligung der Militärführung irgend eine Information über die Armee zu verbreiten.

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