Marina Silva – Ikone des neuen Christentums und bald Präsidentin?

Sie ist schwarz, aus armen Verhältnissen und eine Frau: Marina Silva ist die Favoritin im Rennen um die brasilianische Präsidentschaft. Dass sie einer Freikirche angehört, schadet ihr nicht – im Gegenteil.

Presidential candidate Marina Silva of Brazilian Socialist Party (PSB) speaks to the doctors at the Faculity of Medicine during her electoral campaign in Sao Paulo September 3, 2014. Brazil will be be holding its general elections on October 5, 2014, to e (Bild: NACHO DOCE)

Sie ist schwarz, aus armen Verhältnissen und eine Frau: Marina Silva ist die Favoritin im Rennen um die brasilianische Präsidentschaft. Dass sie einer Freikirche angehört, schadet ihr nicht – im Gegenteil.

Marina Silva hat gute Chancen, die nächste Präsidentin Brasiliens zu werden. Viele Bewunderer der Regenwaldaktivistin müssen aber zur Kenntnis nehmen, dass die Ikone der globalen Umweltbewegung (und vieler Feministinnen) jetzt auch zur Vorzeigestar einer Bewegung geworden ist, welche den Umweltbewegten weniger ins Weltbild passt: das neue Christentum, angeführt von der neo-protestantischen Pfingstbewegung. Silva ist eine «wiedergeborene» Christin, Mitglied der Assembleia de Deus, der grössten Pfingstkirche Brasiliens.

Eine Evangelikale als Präsidentin eines der wichtigsten Länder des globalen Südens ist ein symbolträchtiger Meilenstein für das neue Christentum. Von der «aufgeklärten» Welt bisher kaum wahrgenommen oder bestenfalls als exotisch belächelt, ist die Pfingstbewegung in den Entwicklungs- und Schwellenländern in den letzten Jahren geradezu exponentiell gewachsen.

Konservative Schätzungen gehen von mehr als 600 Millionen Anhängern der neo-protestantischen Kirchen aus. Tendenz weiter steigend. Grösster Wachstumsmarkt ist heute Asien und vor allem China. Schätzungen gehen von 160 Millionen Christen in China im Jahr 2025 aus. Die allermeisten davon sind Anhänger evangelikaler (Haus-)Kirchen.



Presidential candidate Marina Silva of Brazilian Socialist Party (PSB) speaks with journalists after an interview with the Estado of Sao Paulo newspaper, in Sao Paulo September 2, 2014. Brazil will be be holding its general elections on October 5, 2014, t

Sie gilt als Kronfavoritin als nächste Präsidentin von Brasilien: Marina Silva. (Bild: NACHO DOCE)

Wenn die Präsidentin Brasiliens, der 7. grössten Volkswirtschaft der Welt und Vorbildland der Dritten Welt, eine Evangelikale ist, dann ist das neue Christentum definitiv auf der politischen Landkarte dieser Welt angekommen: als ernstzunehmender Machtfaktor. Es ist nicht die Frage, ob wir das gut oder schlecht finden, es ist schlicht ein Faktum – selbst, wenn Marina Silva im Oktober doch nicht gewählt werden sollte. Und es gibt auch für uns exotische Säkularisten (oder gar Atheisten) keinen Grund, diese Entwicklung irgendwie negativ zu dramatisieren.

Die Evangelikalen sind keine Bedrohung für die Welt. Sie sind keine zentral organisierte Macht, welche jetzt das Rad der Zeit hinter die Aufklärung zurückdrehen möchte. Sie sind auch nicht die Anti-These zum Islamismus. Das neue Christentum ist konservativ, ja. Und es gibt empörende Beispiele von korrupten Kirchenfürsten, welche die Orientierung suchenden Armen schamlos ausbeuten.

Aber im Grunde vertreten – und verbreiten – die Pfingstkirchen «unsere» westlichen Werte. Unablässig predigen sie die alte protestantische Arbeitsethik, Individualismus und Selbstverantwortung. Vor allem aber ist die Bewegung inzwischen so gross und vielfältig, dass sie nicht statisch sein kann. Sie steht mitten in einem Entwicklungsprozess. «Die Evangelikalen verändern die Gesellschaft», sagt Professorin Maria Campos das Dores von der Bundesuniversität in Rio de Janeiro, «aber die Gesellschaft verändert auch die neuen Kirchen.»

Silva korrigierte ihre Positionen zu konservativeren Standpunkten

Marina Silva scheint eine typische Vertreterin des neuen Christentums zu sein. Sie vertritt nicht nur im Bereich Umweltschutz Positionen, die auch viele «aufgeklärte» Westler als «progressiv» bezeichnen würden. Gleichzeitig ist sie sehr fromm, bibelgläubig und in wichtigen gesellschaftlichen Fragen konservativ. Jahrelang hat sie zum Beispiel bei den für evangelikale Populisten so zentralen Fragen wie Homosexualität und Abtreibung herumlaviert.

Und noch in ihrem ersten politischen Programm als Präsidentschaftskandidatin hatte sie versucht, sich dazu nicht richtig festzulegen. Jetzt aber hat sie auf Druck der mächtigen evangelikalen Kirchenfürsten die Positionen klar konservativ korrigiert. Dies ist ein weiterer typischer Zug der Neo-Protestanten: sie sind sehr anpassungsfähig und immer populistisch.

Und Silva ist eben keine Heilige, sondern eine ganz normale brasilianische Politikern. Aber auch die perfekte Ikone für das globale neue Christentum: Frau, schwarz, aus armen Verhältnissen stammend, gläubig, aber gleichzeitig erfolgreich und modern.

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