Mehr Drama, bitte!

So, nun also stehen die Wahlen in den USA kurz bevor. Eigentlich schade nach der ganzen Show. Es war eine Lust zuzuschauen, wie Steffi Dobmeier, die USA-Kennerin und Chefin vom Dienst bei der Berliner Tageszeitung, in einem Gastbeitrag schreibt.

Politik als Show: Barack Obama und Mitt Romney nach dem dritten TV-Duell vor der Präsidentschaftswahl (Bild: JOE SKIPPER / Reuters)

So, nun also stehen die Wahlen in den USA kurz bevor. Eigentlich schade nach der ganzen Show. Es war eine Lust zuzuschauen, wie Steffi Dobmeier, die USA-Kennerin und Chefin vom Dienst bei der Berliner Tageszeitung, in einem Gastbeitrag schreibt.

Mit dem Präsidenten der USA haben wir hier in Europa herzlich ­wenig zu tun. Denkt man. Ab und zu kommt er zu einem Staats­besuch nach Europa, ganz selten aber nur – und meistens auch nur dann, wenn er etwas von Europa will. Oder Europa etwas von ihm. In die Schweiz kommt er schon gar nicht. Dann ­wären da noch die G-8-Treffen oder die Nato-Gipfel, die gelegentlich in ­einem europäischen Land statt­finden. Ansonsten: Sehr viel Wasser zwischen uns und den USA.

Obwohl der amerikanische Prä­sident also nichts zu unserer Politik beisteuert – ausser seine Administration plagt die Schweizer Banken –, lassen wir uns mitreis­sen. Vom Wahlkampf in den USA, der an Absurdität manchmal nicht zu übertreffen ist. Von den Parteitagen, auf denen die Kandidaten gefeiert werden wie Popstars auf ihrer Abschieds­tournee. Von den Fernsehdebatten, die ganz locker daherkommen, in Wahrheit aber bis auf den letzten Satz geprobt und einstudiert sind.

Wir schütteln die Köpfe über so viel Brimborium, über die mit viel Geld gekaufte Professionalität, über eine Inszenierung, die den Namen Po­litik kaum noch verdient – und sind doch genau davon fasziniert, ­gebannt und paralysiert.
Warum nur? Was finden wir so spannend an diesem medial vor­ge­führten Duell, das sich in den Ver­einigten Staaten Wahlkampf nennt?

Sehnsucht nach der Show

Ganz einfach: Insgeheim sehnen wir uns doch nach einer politischen Show, bei der man johlen, klatschen und buhen kann. In den USA besteht Politik ganz offensichtlich nicht aus drögen Parlamentssitzungen, Pressekonferenzen und Politikerstatements vor einem Strauss von Mikrofonen und Kameras, wie wir sie täglich er­leben. Nicht aus Verlautbarungen, die sich bald als hohles Gewäsch und meistens schon nach kurzer Zeit als falsch und/oder überholt heraus­stellen. Nein, in den USA hat Politik Glamour. Bitte sehr!

Denn was wir wirklich wollen, ist Drama – und ein bisschen mehr Intimität. Wir wollen wissen, wie und wer diese Politiker sind. Menschen wie aus einer Daily Soap, wunderbar inszeniert zu unserem Vergnügen, gern auch ein bisschen übertrieben, wie das im Fernsehen eben so ist. Ein klein wenig Eskapismus. Wir haben die Nase voll davon, dass wir nicht mehr begreifen, was Politiker hinter verschlossenen Türen verhandeln und beschliessen.

Wir wissen zwar schon, dass man Europa und die USA nicht vergleichen kann, schon gar nicht, wenn es um den Wahlkampf geht. Klamme Parteikassen hier, exorbitante Millionenspenden dort. Eine Vielzahl von Parteien und Splitterparteien hier, nur zwei Parteien dort. Ausgefeilte Parteiprogramme hier, ein perso­ni­fizierter Wahlkampf dort. Geschütz­tes und möglichst geheimgehaltenes Privatleben hier, knallbunte Homestorys dort. Kurz: Die USA sind und haben all das, was uns abgeht.

Man stelle sich nur Eveline ­Widmer-Schlumpf, die Schweizer Bundes­präsidentin, auf einer Parteitagsbühne in Florida vor oder in Char­lotte, North Carolina. Hinter ihr sieben kinoleinwandgrosse Bild­schirme mit Fotos aus ihrem Leben, Kindheit, Studienzeit, die frühen ­Politikerjahre. Unter ihr jubelnde Anhän­ger mit Plakaten, Trachten­hüten und dem festen Willen, alles aus den Lungen zu gröhlen.

Würde sich Widmer-Schlumpf wie Mitt Romney inszenieren? Oder würde sie ihren Ehemann auf die Bühne zerren, wie Barack Obama ­seine Frau samt Kindern? Hätte sie zur fetzigen Begleitung die Engadiner Ländlerfründa aufgeboten?

Oder Johann Schneider-Ammann? Würde er uns so gut unterhalten wie Barack und Mitt? Auch wenn Obama und Romney im Vergleich zu Bill Clinton nicht die geborenen Enter­tainer sind – aber Schneider-Ammann oder der Herr Didier Burkhalter? Nein, man mag es sich nicht wirklich vorstellen.

Gut, die Schweiz ist sowieso ein Sonderfall. Hier ist die Parlamentswahl wichtig. Und wenn es dann um einen neuen Bundesrat geht, machen das die National- und Ständeräte ­unter sich aus. Gibt es mehrere Kan­didaten für einen Posten, machen die Medien im Vorfeld etwas Wind, die Familienfotos zeigt die «Schweizer ­Illustrierte» und die Ländlerkapelle wird allenfalls nach der Wahl zur ­Untermalung der besinnlichen Feier aufgeboten.

Thank God, gibts die USA!

Die Frage, wer Bundespräsidentin oder Bundespräsident wird, lockt ­keinen Hund hinter ­irgendeinem Ofen hervor, das ist auf Jahre hinaus festgelegt. Mit Wahlkampf hat das nichts zu tun, und ­Massen lassen sich damit schon gar nicht mobilisieren. Das kann nur Christoph Blocher, wenn er ins ­Albisgüetli ruft.

Thank God, gibts die USA!
Denn da – da geht die Post noch ab. Alle vier Jahre wird da der Trubel an­geheizt, bis das Volk überzeugt ist, dass es noch wirklich was zu sagen hat. Das erzeugt Schwung und Überschwang und Euphorie, dass es eine wahre Lust ist zuzuschauen. Und bis es bei uns so weit ist, laben wir uns eben an der grossen Show der Amerikaner.

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 02.11.12

Nächster Artikel