Georg Kreis muss als verbildeter Akademiker ein wenig über das Wünschen nachdenken. Doch dann führt ihn die Reflexion zu einem klar formulierten Wunsch.
Ja, ich habe einen Wunsch. Ich habe sogar mehrere, ja unzählige Wünsche. Die meisten, wahrscheinlich sogar alle, bestehen nur latent und melden sich erst, wenn ich danach gefragt werde. Dann merke ich, dass Wunschlosigkeit vielleicht gar nicht gut, also keine Tugend ist. Dass man also Wünsche haben sollte.
Was ich mir wünsche, möchte ich aber nicht schon jetzt verraten, weil die meisten sogleich zu lesen aufhören würden. Zudem möchte ich noch etwas nachdenken können, damit ich sicher bin, das Richtige zu wünschen und die Chance auch richtig zu nutzen.
Ich wünsche mir etwas Ausgefallenes. Dies aber nicht aus Originalitätswahn, sondern um das Erfüllungspotenzial zu maximieren. Das heisst: Ich gehe davon aus, dass sich meine Mitmenschen wahrscheinlich Dinge wünschen, die ich ebenfalls auf meine Wunschliste zu setzen geneigt bin und von denen ich automatisch profitiere, wenn sie für die anderen in Erfüllung gehen. Zum Beispiel: Frieden auf Erden.
Wünsche müssen eine Adresse haben. Und demzufolge sollten Wünschende vielleicht die Möglichkeiten der erfüllenden Seite in ihre Überlegungen einbeziehen.
Ich frage mich: Muss der Wunsch, den zu haben ich mich entschliesse, ein heisser Wunsch sein, dessen Erfüllung ich mir ganz fest und seit Langem ersehne? Kommen also die ewigen Lauheiten für einmal nicht infrage? Muss ich das Vorgebrachte also intensiv wünschen, kommen also die ewigen Halbschwangerschaften nicht in Frage? Einigermassen bibelfest, erinnere ich mich an einen Spruch aus der Offenbarung 3:16. Zum Jahreswechsel meine ich, ihn auch als säkularisierter Christ zitieren zu dürfen: Dass man, wenn man lau ist, weder kalt noch warm, aus dem Munde Gottes ausgespien werde!
Als verbildeter Akademiker kann ich mein Wünschen nicht mit dem ganzen Enthusiasmus bekunden, den eine solche Chance erfordert. Ich muss zunächst – wenigsten ganz kurz – doch über die Konstellation des Wünschens nachdenken. Im Vordergrund dürfte die angebotene Möglichkeit stehen, aus seinem Inneren etwas herauszustülpen und hinzulegen.
Weihnachten ist zwar vorbei, dennoch kann man daran erinnern, dass früher einmal Wünsche ans Christkind adressiert und auf die Fensterbank gelegt wurden. Das heisst: Wünsche müssen eine Adresse haben. Und demzufolge sollten Wünschende vielleicht die Möglichkeiten der erfüllenden Seite in ihre Überlegungen einbeziehen. Andernfalls bleibt es bei dem, was wir als «fromme» Wünsche bezeichnen. An wen soll ich meinen Wunsch richten?
Wünsche müsste man eigentlich nicht rechtfertigen, nicht einmal begründen. Man darf sie einfach haben.
Jetzt hab ich herausgefunden, was ich mir wünschen will. Herausgefunden während des Frühstücks beim Durchblättern der vielen Zeitungen, die wie das mich ebenfalls nährende Brot auf dem Tisch lagen. Ich wünsche mir, das heisst uns, einen EU-Beitritt der Schweiz. Und zwar möglichst schnell, subito, also im Jahr 2016, oder, wenn wir halt noch eine Weile warten müssen, wenigstens bis etwa im Jahr 2040/2050. Das ist freiich kein Wunsch vom Typus: ein Weekend in einem Wellness-Resort mit Sieben-Gang-Menü und Gratis-Welcome-Drink.
Wünsche gehen in der Regel davon aus, dass man ohne eigenes Zutun etwas geschenkt bekommt. Es gibt aber auch die Wunschvariante, dass man die Erfüllung selber zustande bekommen könne. Wie zum Beispiel perfekt Englisch sprechen oder einmal den New Yorker Marathon laufen. EU-Beitritt der Schweiz: Das ist kein Wunsch, den das Christkindli erfüllen kann. Da müssten wir schon selber dafür sorgen, dass er in Erfüllung geht.
Warum wünsche ich mir den schweizerischen EU-Beitritt? Wünsche müsste man eigentlich nicht rechtfertigen, nicht einmal begründen. Man darf sie einfach haben. Dieser Wunsch will jedenfalls nicht der EU einen Gefallen tun. Denn diese kann auch ohne Schweiz ganz gut oder schlecht weiterleben. Dieser Wunsch stellt auch nicht auf Export und Import ab, nicht auf den Strommarkt und die Finanzdienstleistungen.
Nein, ihm ist die Rechtsgemeinschaft und die Solidarität mit dem «übrigen» Europa wichtig. Dieser Wunsch soll neben der Regelung der vielen praktischen Probleme vor allem auch erreichen, dass wir uns mehr zu unserer direkten Umgebung in verbindlicher Weise zugehörig fühlen.
Es ist falsch, darauf zu warten, bis andere das Haus fertiggestellt haben, bis man entscheidet, ob man da einziehen möchte.
Ginge mein Wunsch in Erfüllung, wäre dann alles gut? Beileibe nicht. Eine EU-Mitgliedschaft soll man sich auch darum wünschen, weil man sich so an der Behebung der derzeitigen Mängel in der EU beteiligen könnte, allerdings nicht, um alles nach schweizerischen Vorstellungen umzukrempeln, sondern einfach um mitzuarbeiten und davon und dabei auch selber zu profitieren. Es ist falsch, darauf zu warten, bis andere das Haus fertiggestellt haben, bis man entscheidet, ob man da einziehen möchte. Es ist auch falsch, weil dieses Haus eine ewige Baustelle bleiben wird.
Spätestens im Jahr 2040/2050 werden wir, wie das 2002 mit der UNO der Fall war, der Meinung sein, dass wir diskriminiert würden, wenn wir nicht dabei sein dürfen. Dass wir unsere Interessen drinnen besser wahrnehmen können als draussen. Und und wir dabei völlig vergessen werden, dass wir einmal zutiefst vom Gegenteil überzeugt waren.
Auch im Kanton Zug, der engeren Heimat von Fast-Bundesrat Thomas Aeschi, gehört man heute selbstverständlich zur modernen Schweiz. Dort kann man sich nicht vorstellen (und sich erinnern), dass man vor 168 Jahren, also 1847, nicht Teil dieses Bundes sein wollte.
Der Partei, die uns die Durchsetzungsinitiative beschert hat, soll gezeigt werden, dass man mit der Schweiz nicht spielen kann, wie eine Katze mit einer angebissenen Maus.
Übrigens: Wenn ich vor 50 Jahren, 1966, zu solchem Wünschen eingeladen worden wäre, hätte ich die Einführung des Frauenstimmrechts gewünscht, das kurz darauf endlich gewährt wurde und heute eine derartige Selbstverständlichkeit ist, von der man sich nicht vorstellen kann, dass man einmal hatte dagegen sein können.
Wie viel Wünsche habe ich? Drei wie im Märchen? Der zweite gilt der Abstimmung vom 28. Februar 2016 über die Durchsetzungsinitiative, über die ich mich hier bereits ausgelassen habe. Es wäre, wie man etwas spät zu merken beginnt, für die Schweiz gar nicht gut, wenn diese angenommen würde. Dies würde die Rechtsstaatlichkeit der Schweiz beschädigen und schon jetzt eine zusätzliche Distanz zu Europa schaffen.
Zugegeben: Mit einem Nein sollte der Partei, die uns diese Initiative beschert hat, auch gezeigt werden, dass man entgegen ihrer Meinung mit der Schweiz doch nicht spielen kann wie eine Katze mit einer angebissenen Maus.
Den dritten Wunsch behalte ich mir für den Endkampf um die Personenfreizügigkeit und die Bilateralen I auf. Darum wünsche ich mir, dass ich dann wieder etwas wünschen darf und jener Wunsch dann tatsächlich auch in Erfüllung geht.