Mehr Mitsprache für einheimische Ausländer

Anfang März entscheidet das Baselbiet über das Stimmrecht für Ausländerinnen und Ausländer. Sie werden die Vorlage ablehnen, doch das ist kein Grund, die Forderung nach mehr Mitbestimmung für die ausländische Wohnbevölkerung wieder und wieder vorzubringen.

Gekommen um zu bleiben – und vielleicht irgendwann auch mitreden zu dürfen: Italiener in den 60er-Jahren.

Regula Meschberger von der SP Birsfelden war freudig überrascht, als sie im Januar 2018 erfuhr, dass die mehrheitlich bürgerliche Regierung ihres Kantons bereit war, ihre Motion vom Oktober 2017 anzunehmen.

Dieser Vorstoss will den Baselbieter Gemeinden das Recht einräumen, selber zu entscheiden, ob sie den einheimischen Ausländerinnen und Ausländern (wenn sie etwa die Niederlassungsbewilligung nach einer bestimmten Aufenthaltsdauer in der betreffenden Gemeinde erhalten haben) das kommunale Stimm- und Wahlrecht geben will.

Die Welschen sind weiter

Und zwar nicht nur das aktive, sondern vielleicht auch das passive Wahlrecht, denn das ist vielerorts besonders gefragt – nicht so sehr von ausländischen Mitbürgern als von Gemeinden, die Mühe haben, ausreichend Leute für den Gemeinderat zu gewinnen.

Das Ausländer-Stimmrecht hat es schwer in der Schweiz, das heisst in der deutschen Schweiz. Die Diskrepanz ist eklatant: In der französischen Schweiz gibt es deutlich mehr Gemeinden mit kommunalem Ausländer-Stimmrecht als in der deutschen Schweiz, obwohl es viel mehr deutschschweizerische Gemeinden gibt.

Selbst im urbanen Basler Stadtkanton ist im September 2010 eine entsprechende Vorlage in einer Volksabstimmung entgegen der Empfehlung des Grossen Rats klar abgelehnt worden. Der hohe Ausländer-Anteil der städtischen Gesellschaft hätte ein Argument für die Einführung sein können, weil die Zahl der Ausgeschlossenen störend gross ist.

Es ist allerdings gerade die hohe Zahl (über 35 Prozent der Wohnbevölkerung minus die erst in jüngerer Zeit hier Lebenden), die womöglich abgeschreckt hat, weil deren Votum im Falle einer Annahme tatsächlich ins Gewicht gefallen wäre.

Es geht um den Ausbau der Demokratie, um den Einbezug derjenigen, die von Entscheiden direkt betroffen sind.

In Appenzeller Gemeinden ist das anders, wenn es dort bloss um wenige Dutzend Menschen ohne Schweizer Pass. Dort kennt man die «Fremden», und diese sind, vor allem wenn es Holländer oder Deutsche sind, nicht «fremder» als zugezogene Zürcher oder Aargauer, die selbstverständlich über ein Stimmrecht verfügen.

Ausgerechnet die Ausserrhoder, die im Schatten ihrer Innerrhoder Brüder und Schwestern als stockkonservativ gelten, stellten sich 1995 in der deutschen Schweiz an die Spitze der Einführung des Ausländer-Stimmrechts. Sie brachten dies im Zug einer Totalrevision ihrer Kantonsverfassung zustande. Und 1999 machte die appenzellische Gemeinde Wald (Postleitzahl 9044, knapp 900 Einwohner) internationale Schlagzeilen, weil sie als erste Deutschschweizer Gemeinde das kommunale Ausländer-Stimmrecht einführte, dies im Stimmenverhältnis 184:74 und ebenfalls im Rahmen einer Gesamtrevision.

Basel-Stadt verpasste 2005 diese Chance, weil die ausschlaggebende CVP in der zweiten Lesung die Verfassungsreform entgegen ihrer früheren Haltung nicht länger mit der Befrachtung durch das Ausländer-Stimmrecht aufs Spiel setzen wollte.

Warum diese Frage erneut aufgreifen und immer wieder vorbringen? Es geht um den Ausbau der Demokratie, um den möglichst weitgehenden Einbezug derjenigen, die von Entscheiden direkt betroffen sind und im Übrigen auch Steuern bezahlen. Schon in der Schule haben wir gelernt, dass die Amerikaner der ersten Stunde unter Berufung auf ihre Abgaben politische Vertretung gefordert haben: «No taxation without representation.»

Es gibt in dieser Debatte auffallende Übereinstimmungen mit dem lange verweigerten Frauenstimmrecht.

Dieser Einbezug ist nicht einfach ein Gnadenakt, er ist auch Nutzbarmachung von Teilhabe, von Betroffenheit, von spezifischen Erfahrungen und von Interesse am Gemeinwohl. Es gibt in dieser Debatte auffallende Übereinstimmungen mit dem lange verweigerten Frauenstimmrecht, das auch nur zustande kam, weil der anfänglich selbstverständliche Ausschluss schliesslich dem wiederum selbstverständlichen Einbezug Platz machen musste.

Dieser Prozess braucht offenbar Zeit. Bereits 1994 hätte man in Basel-Stadt die Gelegenheit gehabt, diese Verbesserung einzuführen. Die Vorlage wurde haushoch verworfen, eine zweite Initiative 2004 zurückgezogen und eine dritte Initiative, wie erwähnt, wiederum bachab geschickt. Diese Forderung darf und wird – wie beim Frauenstimmrecht – immer wieder kommen, bis die nötige Einsicht für ihre Berechtigung genügend gewachsen ist.

Von alleine läuft das aber nicht. Seit Jahrzehnten könnte man in der viel- und kleinkammerigen Schweiz nachschauen, wie in politischen Nachbargehäusen – anderen Kantonen und anderen Gemeinden – das Ausländer-Stimmrecht funktioniert, und dabei feststellen, dass die Schweiz deswegen erstens nicht untergeht und zweitens mehr Gerechtigkeit verwirklicht wird. Doch statt davon zu profitieren, dass der Föderalismus es möglich macht, die realen Erfahrungen in anderen politischen Kleinteilen zu studieren, ziehen es die Gegner des Ausländer-Stimmrechts vor, dogmatisch zu argumentieren.

«Stein für Stein, Ziegel für Ziegel»

Bis 2015 war die Reformbereitschaft diesbezüglich bereits so weit gewachsen, dass 600 von rund 2300 Gemeinden mit insgesamt mehr als einer Million Einwohnern in sechs Kantonen (JU, AR, VD, GE, FR, NE) das Ausländer-Stimmrecht haben. Es fällt auf, dass auch hier wie beim Frauenstimmrecht die französische Schweiz vorangeht.

Der wirtschaftsnahe Thinktank Avenir Suisse begrüsst diesen Weg in die  Zukunft. Zugleich will er aber niemanden verängstigen: Es sollten kleine Schrittchen mit Geduld unternommen werden, wie der ganzen Schweizer Geschichte: «Stein für Stein, Ziegel für Ziegel.»

Die dogmatische Argumentation wehrt das Splitting der Bürgerrechte ab und findet, wer politisch partizipieren wolle, dem stehe der Weg der Einbürgerung offen. Das ist nicht falsch, trägt aber der Realität nicht Rechnung, dass man keine neue Staatsbürgerschaft annehmen und sich trotzdem in voller Loyalität an seinem Wohnort einbringen will.

Das kommunale Ausländer-Stimmrecht dürfte ein Appetizer sein, der so etwas wie Lust, sich einzubürgern weckt.

Die Freunde der Einbürgerung sollten wissen, dass im Moment über 800’000 Menschen die Möglichkeit hätten, sich der da und dort noch immer unerfreulichen Prozedur der Einbürgerung zu unterziehen, davon aber keinen Gebrauch machen. Das kommunale Ausländer-Stimmrecht dürfte ein Appetizer sein, der so etwas wie Lust auf mehr weckt.

Neben den dogmatischen Abwehrhaltungen spielt die Befürchtung eine  Rolle, dass damit bestimmte Parteien – natürlich die linken – unerwünschten Zuwachs erhalten könnten. Auch diesbezüglich darf man sich an die Debatten um die Einführung des Frauenstimmrechts erinnert fühlen. Wer profitiert: die Konservativen oder die Progressiven, die Ausgabenfreudigen oder die Sparer, die Stimmfleissigen oder die Stimmfaulen?

Dazu gibt es verschiedene Studien. In Zeiten, da es vor allem um die italienische Arbeiterschaft gegangen wäre, hätte gewiss die Linke profitiert. Mit der Zuwanderung von zahlreichen Menschen aus Mittel- und Osteuropa dürfte die politische Rechte aufholen. Und mit der Zeit könnte man mit einer Normalisierung rechnen, in der neben Herkunft andere Eckwerte wie Bildung, Alter, Geschlecht und – last but not least – die individuelle Lebenseinstellung bestimmend sind.

Das Baselbiet wird Nein sagen

Am 4. März müssen die Baselbieter Bürgerinnen und Bürger über die Frage entscheiden, weil eine Initiative von Juso und Jungen Grünen den niedergelassenen Ausländerinnen und Ausländern das kantonale Stimmrecht einräumen möchte. Diese Vorlage wird keine Chancen haben. Schon der Landrat hat sie (wie die gleichzeitig vorgelegte Initiative für das Stimmrecht 16) abgelehnt.

Regula Meschbergers Vorschlag ist ein indirekter Gegenvorschlag dazu. Wie er beim Landrat ankommt und ob im Baselbieter ein weiterer «Stein» oder «Ziegel» gelegt wird, wird sich an der nächsten Landratssitzung offenbaren. Es geht im Grunde einzig darum, die Gemeinden, deren «Urfreiheit» bis zur äusseren Rechten stets gepriesen wird, selbst entscheiden zu lassen, wie sie sich organisieren wollen.

Die Einführungen des Frauenstimmrechts in Basel-Stadt 1966 und in Basel-Landschaft 1968 wurden unter anderem durch das Argument beflügelt, dass man als Pionierkanton «weit vorne» sei. Im Falle des Ausländer-Stimmrechts hat die deutsche Schweiz wie auch beim Frauenstimmrecht diese Chance bereits verpasst. Es bleibt aber, da die deutsche Schweiz alles in allem beim Einbezug der Ausländer nach wie vor träge ist, noch immer die Chance, wenigsten in diesem Landesteil deutlich vorne zu liegen.

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