«Das Comité ist so etwas wie eine Pissoirwand»

Der jüngste Wirbel um die Fasnachtsclique Olympia ist kein Einzelfall: Cliquen, die ihre Aufmüpfigkeit gegen das Fasnachts-Comité zum Sujet machen, haben eine lange Tradition.

«Highway to hell» – letztes Jahr mischten die Bebbi den Cortège ohne Instrumente auf.

Der Trauerzug befördert einen Sarg mit der Aufschrift «Sodeli, d’Kuttlebutzer». Just am Marktplatz kommts zu einem ohrenbetäubenden Knall. «Sprengmeister» Jean Tinguely stellt einen Mörser auf, zielt auf das nichts ahnende Fasnachtscomité und jagt es in die Luft.

Nun ja, zumindest symbolisch: Die graue Eminenz wird in eine pechschwarze Rauchwolke eingehüllt und mit Russ eingedeckt. Nach dieser überraschenden Attacke wird das Comité auch noch mit Todesanzeigen bedacht.

So schildert der Augenzeuge Alwin Seiler, der dann später auch zu den Kuttlebutzern stiess, die legendäre Szene von 1974. Mit ihrem skandalösen «Bumm» ging diese schräge Truppe in die Fasnachtsannalen ein.

Anecken – aus Liebe zur Fasnacht

Zweifelsohne beeinflusste die Clique, deren Anarcho-Schliff im Sinne Tinguelys unübersehbar war, den Fasnachtsgeist. Vielleicht lieferten die Kuttlebutzer gar die Blaupause für das jüngste Sonderzüglein der Fasnachtsgesellschaft Olympia 1908. Die Männerclique sprengt dieses Jahr die Comité-Fesseln – zwar ohne echte Explosion, aber mit eigener Blaggedde und einem Cortège-Boykott.

Den Eintrag im «Rädäbäng» gibt es dennoch. Wie der offizielle Fasnachtsführer verrät, sind die Olymper mit dem Sujet «Dernääbe» dabei. War ihr Ausstieg also doch nur ein Mediengag?

Mitnichten, wie der Olympia-Fasnachtschef Dario Conti auf Anfrage der TagesWoche kurz vor der Fasnacht betont: «Wir ziehen das durch.» Auf den «Rädäbang»-Eintrag habe die Clique aus taktischen Gründen nicht verzichten wollen – um das Comité nicht zu früh auf das Vorhaben aufmerksam zu machen.

Der Stein des Anstosses: Die Olymper wurden letztes Jahr nach ihrem «Einfädeln» in den Cortège  abgestraft, indem ihnen die Subventionen um 1000 Franken gekürzt wurden. Sie hätten die anderen Formationen blockiert, so der Vorwurf. «Dabei sind wir wie jedes Jahr vor dem Volkshaus so eingestanden», hält Dario Conti entgegen. Mit der Jungen und Alten Garde plus Chaise, also 200 Mann, sei das gar nicht anders möglich.

Schon 1909 beklagten Aktive «den Tod der alten Fasnacht», weil sie den echten Fasnachtsgeist vermissten.

Mit der eigenen Blaggedde wollen die Olymper die etwa 11’000 Franken wettmachen, die ihnen entgehen, weil sie dieses Jahr auf Cortège-Subventionen verzichten.

Damit ernteten die Olymper auch Kritik: Ist es konsequent, über die Kommerzialisierung der Fasnacht zu klagen und dabei selbst ein «Geschäft» zu eröffnen?

Laut Dario Conti wird dies auch innerhalb der Clique diskutiert. Unter Umständen komme ein allfälliger Überschuss der Jungen Garde zugute.

Alleingänge im Stil der Kuttlebutzer und Olymper gibt es immer wieder. Das bestätigt Felix Rudolf von Rohr, der bis 2010 als Comité-Obmann amtete. «Oft werden dabei die Kuttlebutzer mit ihrem tollen Spektakel von 1974 durch die Brille der Vergangenheit etwas gar hochstilisiert und ansatzweise kopiert, wenn einem keine aktuellen Sujets einfallen», sagt er.

Und mit einem Schmunzeln fügt von Rohr bei: «Das Comité ist halt so etwas wie die Pissoirwand.» Jeder könne hier «drasaiche», quasi als Ventil für alle Fasnächtler-Sorgen. «Diese Aufgabe habe ich aber gerne wahrgenommen», so der ehemalige Comité-Obmann.

Die Comité-Clique, die allen im Wege stand

Klagen über die Organisation der Fasnacht ist nichts Neues. Wie der Ethnologe Dominik Wunderlin schreibt, beklagten sich Kostümierte bereits 1909, also noch vor der offiziellen Geburtsstunde des heutigen Comités, über den «Tod der alten Fasnacht». Schon damals wurde offenbar der Fasnachtsgeist vermisst.

Die Reglementierung der «drey scheenschte Dääg» als Sujet war im Laufe der letzten Jahrzehnte ein wiederkehrendes Phänomen, wie die folgenden Beispiele zeigen.

Die Kerzedrepf machten 1981 die Jugendunruhen von 1980 zum Sujet, was ihnen prompt Subventionskürzungen einbrachte. Ihr schwarzer Zug (heutzutage notabene gang und gäbe) sei «zu unfasnächtlich» gewesen, so die Begründung. Auch ihr Sujet «1983 Joor Chrischtehait – mer gratuliere» kam beim Comité gar nicht gut an, da die Kirche ihr Fett abbekam.
Das gab schliesslich den Ausschlag zur Abkehr von der Comité-Fasnacht. Als Retourkutsche mischten sie sich trotzdem als graue Filzhutträger in den Cortège. Ihr Sujet: «Mir sinn s Comité und schtöön im Wäg oder: drey Daag Bummel.»

Urknall der Subversion: Tinguelys «Bumm» gegen das Comité 1974.

So manche Fasnächtler untergruben auch später das Regelkorsett. 2002 traten etwa die «Aagfrässene» als Revoluzzer auf. Sie machten zu ihrem Jubiläum den Cortège zu einem Fasnachtsdienstag und zwängten sich als Che Guevaras mit einem «Carnaval libre» quer durch die Route.

Für Aufsehen sorgten vor fünf Jahren die Basler Bebbi, die es mit einer Punkband krachen liessen. Nach mehreren Lärmbeschwerden strich ihnen das Comité einen Teil der Subventionen. Der Betrag wurde allerdings an Amnesty International gespendet. So zog das Comité das Sujet, die Verhaftung der Pussy-Riot-Aktivistinnen, weiter – eine Idee, die auch den Basler Bebbi gefiel.

Mit Inhalten provozieren

Zurück zum jüngsten Ausscheren der Olympia: Wie ernst sind solche Trotzreaktionen überhaupt gemeint? Für Thierry Moosbrugger, Tambour bei den Alte Stainlemer sind das «Pseudorebellionen, die ein solches Sujet birgt». Es gehe den Olympern nicht um einen realen Sturz des Comités oder eine Abkehr von der organisierten Fasnacht. «Sie bedienen sich einfach der Mechanismen der aktuellen Medienwelt, um – ein wenig selbstdarstellerisch – ihr Sujet zu propagieren», sagt Moosbrugger.

Dabei ist gerade seine Clique für besonders pikante Sujets bekannt. Für Aufsehen sorgte 2003 die «Draumhochzyt», als die Stainlemer provokativ den Nahostkonflikt thematisierten. Eine Privatperson, der ein Laternenvers zu weit ging, drohte gar mit einer Strafklage.

Die Stainlemer nehmen Comité-Sanktionen in Kauf: «Wenn wir ein tolles Sujet wollen, dann ist es uns das wert.»

So weit kam es dann aber nicht. Das Comité kürzte den Stainlemern die Subventionen, um den ganzen Papierkrieg rund um diese Beschwerde zu berappen.

Auch wenn die Stainlemer in Sachen Sujets mit den Basler Bebbi heutzutage als «Enfants terribles» unter den Cliquen gelten, packen sie die Sache woanders an: Man wolle nicht bei organisatorischen Fragen, sondern beim Sujet selbst bissig bleiben, erklärt Thierry Moosbrugger. Dabei halte man sich an den Cortège, weil genau dort die Möglichkeit besteht, die weltpolitischen Themen voll zur Geltung kommen zu lassen.

Dass die Stainlemer immer mal aufs Trommeln und Pfeifen verzichten und stattdessen eine freie Performance liefern, sei vom Comité noch nie sanktioniert worden.

Thierry Moosbrugger erinnert sich, dass es mal beim Sujet Organtransplantation Abzüge gab: Im Vortrab lief ein überdimensionaler Penis mit – was dem Comité offenbar zu weit ging. Die Stainlemer nehmen aber solche Kürzungen in Kauf: «Wenn wir ein tolles Sujet wollen, dann ist es uns das wert.»

Komplizierte Subventionspraxis

Eine andere Meinung zum Olympia-Sonderzug vertritt Thomas Kissling, Obmann der Spezi-Clique. Letztes Jahr spielte auch diese ein aufmüpfiges Sujet aus. Sie zelebrierte den fasnächtlichen Brexit, also den «Spexit», lief aber im Cortège mit.

Dennoch wollte die Clique ein Zeichen setzen: «Die Vorschriften, wie man sich als Clique zu verhalten hat, werden immer extremer», findet Thomas Kissling. Daher hat er Verständnis für die Olympia. Bei den Spezi stand jedoch so ein Ausscheren nie zur Debatte. «Schliesslich kann man ja nicht ins Comité eintreten – demzufolge auch nicht austreten», sagt Kissling. «Daher gibt es auch kein Anrecht auf Subventionen», räumt er ein.

Trotzdem findet er das Verhalten des Comités seltsam. Dieses verpasste den Spezi letztes Jahr einen Subventionsabzug, weil die Clique Nebeltöpfe mit sich geführt hatte, die fälschlicherweise für Pyros gehalten wurden. «Das Comité warf uns vor, Teilnehmer und Passanten gestört zu haben – darüber haben wir uns zynischerweise amüsiert», sagt der Spezi-Obmann.
Um die Wirren um die Subventionspraxis zu verstehen, muss man weit zurückgehen. Der Ursprung des Comités geht unter anderem darauf zurück, dass zu Beginn des 20. Jahrhunderts beim sogenannten «Kollektieren», also bei Sammeln von Unterstützungsgeldern, Wildwuchs herrschte. Anstelle von Betteltouren der einzelnen Cliquen kam es zu einem einheitlichen Finanzierungssystem durch den Blaggeddenverkauf.
Heute werden aus dem Erlös über einen komplexen Subventionsschlüssel Gelder an alle Fasnächtler verteilt, die überhaupt greifbar sind, also an all diejenigen, die am Cortège mitmarschieren.

Niemand weiss, wie viel Geld das Comité einnimmt und wie viel davon schliesslich an die Cliquen fliesst.

Vor Ostern geht das Comité über die Bücher. Drei Viertel der Subventionen richten sich danach, wie viele Kostümierte einstehen. Das restliche Viertel wird durch die Bewertung des Zuges bestimmt.

Stammvereine müssen beim Cortège an beiden Tagen sechs Comitéstandorte und den Kontrollposten an der Schifflände passieren, um die volle Subvention zu erhalten. Abzüge gibts zum Beispiel dann, wenn Fasnächtler Schleichwerbung betreiben, zu wenig Standorte anlaufen oder eben – wie die Olymper – in die Route einfädeln.

Besonders viel Wert auf Transparenz wird nicht gelegt: Niemand weiss, wie viel Geld das Comité einnimmt und wie viel davon schliesslich an die Cliquen fliesst.

Die Gegenplakette der Olymper wird für 8 Franken verkauft.

Ob bei Punkbands oder Feuerwerk: Wenn es von irgendwoher zu Beschwerden kommt, sieht sich das Comité in der Rolle des Überbringers der schlechten Nachricht.

«Wir sind keine Zensurbehörde», betont Comité-Obmann Christoph Bürgin. Ihm ist aber bewusst, dass er durchaus mit diesem Image zu kämpfen hat. Die Rolle der «Fasnachtsregierung», die auf das Comité projiziert wird, nimmt er aber gelassen.

Ist aber wirklich alles zu sehr durchreglementiert, wie das Cliquen wie die Olympia kritisieren?

Quatsch, findet Christoph Bürgin: «Die Fasnacht dauert 72 Stunden, wir organisieren nur neuneinhalb Stunden davon.» Es gehe einzig um den reibungslosen Cortège-Ablauf und die Laternen- sowie Wagen-Ausstellungen. Mit dem Morgestraich, den Schnitzelbänken und dem Gugge-Sternmarsch habe das Comité gar nichts zu tun. «Letzten Endes diskutieren wir hier zum Glück über ein Luxusproblemchen», sagt Bürgin.

Ähnlich denkt sein Vorgänger, Felix Rudolf von Rohr, über  diese «Konflikte». Immer wieder werde das Mantra «Wir müssen giftiger sein» wiederholt. «Schaut man sich aber das Wähenblech des neuen Olympia-Vereinsabzeichens an, dann hat jedes Kindergarten-Umzüglein mehr Biss», scherzt er über die Extra-Plakette.

«Die innere Revolte erhält die Fasnacht lebendig – damit sie nicht irgendwann zu einer netten Show wird.»

Olga Cieslarová, Schluuchgugge Prag

Anders sieht das eine neutrale Beobachterin von ausserhalb. Olga Cieslarová, Mitbegründerin der tschechischen Schluuchgugge Prag, ist als Stammgast die Spannung zwischen närrischer Anarchie und präziser Organisation längst aufgefallen. Sie befasst sich nicht nur als Aktive, sondern auch in ihrer Doktorarbeit mit der Basler Fasnacht.

Sie kann den Sujets, wie sie nun die Olymper ausspielen, durchaus Positives abgewinnen. Schliesslich sei die Fasnacht schon an sich eine Revolte gegen den Alltag. Umso mehr sei die «wilde Fasnacht» bereichernd.

«Die innere Revolte erhält die Fasnacht lebendig – damit sie nicht irgendwann zu einer netten Show wird», sagt Olga Cieslarová. Kritik an der Struktur sei daher durchaus gesund. «Das ist spannend, da es die Frage nach dem Sinn der Fasnacht aufwirft.»

Dass bei dieser Debatte letztendlich nicht alles so heiss gegessen, wie es gekocht wird, zeigten damals selbst die Kuttlebutzer. Nach ihrem «Bumm» versöhnten sich die Fasnachtsrebellen mit dem Comité. Sie schickten ihm das Jahr darauf ein ironisch gemeintes «Aufgabenbüchlein», um wieder mit ihm die Friedenspfeife zu rauchen.

Somit darf man auch gespannt sein, wie die Geschichte mit der Olympia-Revolution nächste Woche ausgehen wird.

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