Mission: Augen auf vor dem autoritären Regime

Journalist Tomislav Kezarovski kritisierte Mazedoniens nationalkonservative Regierung und wanderte dafür in den Knast. Vor den Wahlen am Sonntag will er mit seiner Geschichte dem tief gespaltenen Land die Augen öffnen.

Die Verhaftung des regierungskritischen Journalisten Tomislav Kezarovski sorgte 2013 international für Proteste.

(Bild: Tomislav Georgiev)

Journalist Tomislav Kezarovski kritisierte Mazedoniens nationalkonservative Regierung und wanderte dafür in den Knast. Vor den Wahlen am Sonntag will er mit seiner Geschichte dem tief gespaltenen Land die Augen öffnen.

Tomislav Kezarovski spaziert in Freiheit an den zweistöckigen Häuschen auf dem alten Basar in Skopje vorbei. Er nimmt einen tiefen Atemzug. «Es ist schön hier», sagt er. «Das Leben im Gefängnis war wie in einer engen Schachtel.»

Der 51-Jährige spricht langsam und ruhig, wenn er erzählt, wie er aus offensichtlich fadenscheinigen Gründen ins Gefängnis geworfen wurde. Einige seiner Vorderzähne fehlen. Im Gefängnis wurde ihm der Besuch beim Zahnarzt untersagt. Offiziell kümmern sich dort zwei Ärzte um rund 350 Insassen, doch die hat Tomislav Kezarovski nie zu Gesicht bekommen: «Bevor du in diesem Gefängnis einen Arzt siehst, kommt der Priester oder der Hodscha, um dich zu beerdigen», spottet er.

Mit seiner Geschichte, dem Fall Tomislav Kezarovski, machen die mazedonische Opposition sowie Menschenrechtsaktivisten auf der ganzen Welt darauf aufmerksam, dass sich im Land ein autoritäres Regime die Justiz untertan gemacht hat. Freie Berichterstattung soll so verhindert werden, sich an der Macht halten dafür umso einfacher. 

Autoritäres Regime

Tomislav Kezarovski ist Journalist. Im Oktober 2013 wurde er zu viereinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Er soll den Namen eines Gerichtszeugen veröffentlicht haben, der sich in einem Schutzprogramm befand. Organisationen wie Reporter ohne Grenzen, n-ost und die OSZE hielten dies für einen Vorwand, um eine unbequeme Stimme mundtot zu machen.

Die nationalkonservative VMRO (Innere Mazedonische Revolutionäre Organisation) unter Ministerpräsident Nikola Gruevski kam 2006 an die Macht. Seitdem hat sich die Situation für kritische Journalisten in Mazedonien konstant verschlechtert.

Bei einem grossangelegten und illegalen Lauschangriff der Geheimdienste wurden rund 20’000 mazedonische Bürger, darunter auch viele Journalisten, bespitzelt. In der Rangliste von Reporter ohne Grenzen ist Mazedonien unter dem Premier Gruevski von Rang 34 im Jahr 2009 auf Rang 118 im Jahr 2016 gefallen. Damit ist Mazedonien nach Russland, Belarus und der Türkei das europäische Land mit der geringsten Pressefreiheit.

Das einzige Verbrechen, dem sich Tomislav Kezarovski laut eigener Aussage schuldig gemacht hat, ist unabhängiger Journalismus.

Unbequeme Fragen

Doch warum musste ausgerechnet Tomislav Kezarovski ins Gefängnis? Warum wurde ausgerechnet er zum «einzigen politischen Gefangenen in Südosteuropa», wie es die OSZE-Medienbeauftragte Dunja Mijatović ausdrückte?

Die Gefängnisstrafe erklärt sich Tomislav Kezarovski anhand seiner Recherchen zum Fall Nikola Mladenov. Auch Mladenov war Journalist. Einer, der sich den Ruf erarbeitet hatte, Pionier des unabhängigen Journalismus in Mazedonien zu sein. Er war Verleger des regierungskritischen Magazins «Fokus» – und starb im März 2013 bei einem mysteriösen Autounfall.

Sehr bald hatten Behörden und Justiz den Tod Mladenovs als Autounfall zu den Akten gelegt. Tomislav Kezarovski recherchierte den Fall näher. Und er fand Hinweise, die auf einen anderen Hintergrund des Todes hindeuteten. Anhand von Mautscheinen konnte Kezarovski nachweisen, dass sein Kollege Mladenov zweimal hintereinander im Kreis gefahren war.

«An meine Sicherheit dachte ich nicht. Ich habe einfach meine Arbeit gemacht.» (Bild: Tomislav Georgiev)

Er stellte sich Fragen: Warum hatte Mladenov das getan? Warum waren ausgerechnet im entscheidenden Moment sämtliche Sicherheitskameras an allen Mautstellen ausgeschaltet? Warum wurde ein solch wichtiger Fall von einem 28-jährigen Richter betreut, dessen erstes Verfahren dies war?

Die Antworten bleiben bis heute offen. Weiter behauptet Kezarovski, an Mladenovs Mercedes seien Lackspuren eines anderen Autos gewesen. Möglicherweise von einem, das Mladenovs Auto von der Fahrbahn abgebracht hatte. War Mladenovs Tod womöglich gar kein Unfall? Für Tomislav Kezarovski drängte sich der Verdacht auf, dass die Behörden gar kein Interesse an der Aufarbeitung hatten. 

Nachdem er die ersten Texte zu diesem Fall veröffentlichte, warnte ihn ein Bekannter aus dem Innenministerium: Er solle lieber Abstand von seinen Recherchen nehmen. Zwei Wochen später wurde er festgenommen. Kezarovski sagt: «In diesen Momenten habe ich nicht an meine Sicherheit gedacht. Ich habe einfach meine Arbeit gemacht und wollte herausfinden, ob der Tod meines Kollegen absichtlich so schlampig bearbeitet wurde.»

Ab in den Knast

Im Gefängnis teilte sich Tomislav Kezarovski zweitweise eine acht Quadratmeter grosse Zelle mit drei anderen Männern. Einer war wegen Kreditkartenbetrugs inhaftiert, einer wegen Mordes. Der dritte Zellenkamerad, weil er 13 Kilo Heroin geschmuggelt hatte. Er bekam fünfeinhalb Jahre. Tomislav Kezarovski brockte ein Text viereinhalb Jahre ein.

Die sanitären Einrichtungen der Zelle: ein Loch im Boden in der einen Ecke. Manchmal stand das Wasser in den kleinen Räumen. Kezarovski sagt: «Auf acht Quadratmetern kannst du nur leben, wenn es strenge Regeln gibt. Wir mussten innovativ sein, um ein bisschen Privatsphäre zu haben. Das galt vor allem für die Toilette.»

Das «Fenster» war so gross wie ein gewöhnliches Blatt Papier. Ein paar wenige Zentimeter weit liess es sich öffnen. Und dann gab es noch die anderen Bewohner: «In der Zelle gab es alles, ausser Schildkröten und Schlangen. Getier, Käfer und Insekten», erzählt Kezarovski. «Ich habe gelernt, dass es auch Spinnennetze in den verschiedensten Farben gibt.»

Zwei- bis dreimal pro Woche haben die Insassen die Wände der Zelle mit türkischem Eau de Cologne eingerieben – achtzig Prozent Alkohol. Einmal anzünden, schon waren es ein paar Insekten und Spinnen weniger. Vor dem Einschlafen legten sie dennoch ein Tuch auf den Mund. Sicher ist sicher.



Der regierungskritische Journalist in Begleitung von rund 2000 Demonstranten vor dem Berufungsgericht in Skopje am 20. Januar 2015.

Der regierungskritische Journalist in Begleitung von rund 2000 Demonstranten vor dem Berufungsgericht in Skopje am 20. Januar 2015. (Bild: Tomislav Georgiev)

Die Zeit im Gefängnis verarbeitet Kezarovski in einem Buch. Der Arbeitstitel: «Mein Leben in der Schachtel». Seine Frau und seine damals 13-jährige Tochter, durften ihn nie besuchen: «So geht es allen Menschen im Gefängnis. Die Bedingungen dort sind unbeschreiblich schlecht und müssen sich radikal verändern», sagt er. 

Die zunächst viereinhalb Jahren Haft wurden im Januar 2015 in einem Berufungsverfahren auf zwei Jahre gemindert. Nach knapp einem Jahr durfte er das Gefängnis wegen Gesundheitsproblemen verlassen und den Rest seiner Haftstrafe unter Hausarrest absitzen.

Für ihn und seine Familie hätte das alles den wirtschaftlichen Ruin bedeutet, hätte er nicht Unterstützung von Journalistengewerkschaften und Menschenrechtsorganisationen erhalten. Denn auch im engeren Umfeld wirkte der lange und repressive Arm des Ministerpräsidenten Nikola Gruevski: Sein Bruder und seine Frau haben ihre Arbeit beim Staat verloren. Kezarovski und seine Frau sind ohne feste Arbeit. Der Journalist hält sich nun mit kleinen Aufträgen und Projekten über Wasser.

Kezarovski will mit seinem Fall Menschen aufrütteln. Die Lebenssituation von Häftlingen in Mazedonien, der Verlust der unabhängigen Justiz seit dem Machtantritt der nationalkonservativen VMRO – davon will er berichten. «In Mazedonien herrscht ein System der Willkür», sagt er. «Ich kann nicht einfach meinen Frieden mit dieser Sache machen.» 

Am Sonntag wird gewählt

Tomislav Kezarovski hofft, dass die politische Spaltung zwischen Nationalkonservativen und Sozialdemokraten, zwischen ethnischen Mazedoniern und Albanern nach den kommenden Wahlen abnimmt. «So geht es nicht weiter. In manchen Familien redet der Bruder nicht mehr mit der Schwester und die Schwester nicht mehr mit dem Bruder.»

Hunderttausende Menschen haben das kleine Land in den vergangenen Jahren verlassen. Es könnten noch mehr werden, wenn sich die politische Situation in Mazedonien nicht verbessert. Kezarovski sagt: «Die Menschen in Mazedonien sitzen auf gepackten Koffern.» Wenn sich nach den Wahlen nichts ändere, würde Mazedonien nicht nur noch mehr Menschen verlieren, sondern auch seine Zukunft.

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