Während neun Jahren bauten Chantal und Roger ihr eigenes Segelschiff. Am Mittwoch kommt der Sturmvogel zum ersten Mal ins Wasser.
In dem Moment passt nichts zusammen. Eben noch erzählten Chantal (46) und Roger (64) in einer Hafenkneipe mit bescheidenen Worten von ihrem selbstgebauten Segelboot. Wir traten durch eine unscheinbare Seitentür in eine Lagehalle. Und jetzt steht über unseren Köpfen dieses Schiff, von dem wir das andere Ende nicht sehen können. Ein Koloss aus 18 Tonnen Stahl und Holz, 14 Meter lang, vier Meter breit und von Kiel bis Deck knapp vier Meter hoch. «Puffinus» haben seine Erbauer das Schiff getauft, «Sturmvogel».
Verzicht und Beharrlichkeit
Die Geschichte von Chantal und Roger handelt von Verzicht und Beharrlichkeit. «So ein Schiffsbau ist unglaublich komplex. Man baut ein Haus, ein Wohnmobil, und dann muss das ganze auch noch schwimmen», sagt Roger.
Gemeinsam haben sie Tausende Entscheide getroffen und mindestens so viele Probleme gelöst. Sie stritten mit Lieferanten, die falsches Material geliefert hatten, mit Behörden über Zulassungen und manchmal miteinander über Nichtigkeiten. «Reibereien gehören dazu», sagt Roger, die seien aber spätestens fünf Minuten später wieder vergessen. «Für so ein Projekt müssen beide am selben Strick ziehen, sonst wird das nichts.» Chantal steht daneben und nickt.
Im Sommer auf dem Campingplatz
Ein halbes Leben lang stellte sich Roger vor, wie er eines Tages auf einem selbstgebauten Schiff über die Weltmeere segeln würde. Vor dreizehn Jahren lernte er seine Partnerin kennen. «Er hat immer wieder von dieser Idee erzählt», sagt Chantal. «Irgendwann war klar, da müssen wir ernsthaft darüber sprechen.»
Ein Jahr später bestellten sie bei einem Schiffsbauer Konstruktionspläne für eine Motu 44, das war 2005. Seither ist das Paar am Bauen. In der Nähe von Luzern schweissten sie aus grossen Metallplatten die Aussenhülle, installierten die Schiffsschraube, bauten in den Rumpf Diesel- und Wassertank ein, legten Leitungen und Anschlüsse.
Die Pläne für den Innenausbau zeichneten sie selbst. Hier die Küche, dort das Bad, da der Backofen, daneben die Waschmaschine, dahinter der Salon, in der Ecke die Navigation. Vor drei Jahren verkaufte Roger seine Metallbaufirma, seither liegt das Schiff im Birsfelder Hafen. «Im vergangenen Jahr», sagt Chantal, «haben wir keine Pause gemacht. Nicht einmal ein freies Wochenende.» Im Sommer schliefen sie auf einem nahegelegenen Campingplatz, im Winter auf dem Schiff. In ihre Wohnung nach Luzern kehren sie kaum noch zurück.
«Diese Seelenruhe ist einmalig»
Rings um den Kiel stehen Holzreste, Schneidmaschinen, ganze Kessel voller Werkzeuge. Mittendrin ein wackliger Lastenheber, der uns dem rot-blau gestrichenen Rumpf entlang auf Deckhöhe bringt. Von oben wirkt das Schiff überschaubarer.
Vor dem Steuerrad führt der Niedergang in den Schiffsrumpf, so gross wie eine Dreizimmerwohnung. An vielen Orten fehlt noch die Deckenverschalung, einige Stellen sind abgeklebt. Im Licht von zwei Baustellenleuchten führt Roger durch das Schiff, zeigt Bad und Salon, den Kühlschrank, das eigens ausgetüftelte System mit zwei Bordmotoren, den Trockenraum für die nassen Kleider.
Zwischen Küche und geräumiger Eignerkoje erzählt Roger von seiner Leidenschaft für das Segeln. Wie er mit Mitte zwanzig auf kleinen Booten an Regatten teilnahm. Und vom Reiz des Ungewissen. «Wer einmal auf offenem Meer das Firmament gesehen und diese Seelenruhe erlebt hat – das ist einmalig.»
Chantal und Roger denken anders
Der ratternde Lastenkran bringt uns wieder auf den Boden zurück, auf Augenhöhe mit Kiel und Schiffsschraube. Roger und Chantal wollen weiterarbeiten, es sind nur noch wenige Tage bis am Mittwoch der Lastwagen kommt und das Schiff nach Holland bringt.
Bis sie unter den Sternen dahinsegeln, wird es noch etwas dauern. Den kommenden Winter verbringt die «Puffinus» noch fest vertäut in einem Hafenbecken in Holland. Bis im Frühling wollen sie die letzten Teile verleimen, die letzten Schrauben versenken und dann in der Frühlingssonne das erste Mal die Segel hissen zu einer Reise mit offenem Ende.
Der Zuhörer denkt an weisse Sandstrände in der Karibik, die urtümlichen Galapagosinseln, die grünen Azoren im Atlantik und die Insellandschaften im Mittelmeer. Doch Chantal und Roger denken anders, sie haben keine Pläne.
«Eben genau nicht!», sagt Chantal darauf angesprochen. Sie machen es wie mit dem Schiffsbau und wollen jeden Tag nach dem anderen angehen. Einzig nach Norwegen müssen sie, ergänzt Roger, aus rechtlichen Gründen. «Danach schauen wir, wohin der Wind uns weht.»