Mit dem Taschenmesser zur Demo auf den Tahrir

Sexuelle Übergriffe bei Demonstrationen der ägyptischen Opposition haben erschreckend zugenommen. Aktivistinnen sehen diese organisierte Gewalt politisch motiviert. Viele Islamisten weisen die Schuld den Frauen zu.

An den Demonstrationen auf dem Tahrir-Platz nehmen auch viele Frauen und Kinder teil. (Bild: Pascal Mora)

Sexuelle Übergriffe bei Demonstrationen der ägyptischen Opposition haben erschreckend zugenommen. Aktivistinnen sehen diese organisierte Gewalt politisch motiviert. Viele Islamisten weisen die Schuld den Frauen zu.

«Ich kann mich wehren, wir lassen uns nicht einschüchtern», sagt Yasmin und zieht ein rotes Schweizer Militärmesser aus der Jeanstasche. Die 33-jährige Modedesignerin steht alleine am Rande des Tahrir-Platzes bei der Freitagsdemonstration. Sexuelle Übergriffe bis zur Vergewaltigung haben in den letzten Wochen ein erschreckendes Ausmass angenommen. Betroffen waren junge und alte Frauen, mit oder ohne Kopftuch.  Am schlimmsten war es am 25. Januar, zwei Jahre nach dem Beginn des Aufstandes gegen das Mubarak-Regims. Über zwei Dutzend Fälle von schwersten sexuellen Übergriffen zum Teil mit Messern, meist ausgeführt von einer Horde von Männern wurden gemeldet. Sechs Frauen mussten im Spital behandelt werden.

Phänomen mit Tradition

Yasmin lässt keinen Zweifel an den Hintermännern. «Die Gewalt gegen Frauen wird von den Muslimbrüdern organisiert. Sie hassen uns und sie haben Angst vor uns, weil wir nicht in ihr Weltbild passen», ist sie überzeugt. Tatsächlich kommt es zu diesen gezielten Überfällen nur wenn die Opposition zu Demonstrationen aufgerufen hat und nicht wenn die Islamisten zu Tausenden ihre Manifestationen abhalten.

Dieses Phänomen von organisierter Gewalt gegen Frauen als politisches Instrument ist in Ägypten nicht neu. Schon anlässlich der Wahlen 2005 begann das Innenministerium mit dem Segen von Mubaraks Regierungspartei Frauen gewaltsam einzuschüchtern. Zuerst schickten sie Schlägerinnen und dann Männer, wahrscheinlich weil die Frauen nicht den gewünschten Effekt erzielt hatten. Nach der Revolution gab es immer mehr Männer, die sich als «Belästiger» betätigten. Die seien bestimmt bezahlt, meint ein junger politischer Aktivist auf dem Tahrir.

Bodyguards mit Elektro-Schockern

Die Frauen wehren sich auf die verschiedensten Arten. In den letzten Tagen haben sie mehrere Protestmärsche organisiert, um Regierung und Opposition wach zu rütteln. Frauenorganisationen haben Hotlines geschaltet und Wächterdienste, eine Art Tahrir-Bodyguards mit Teams aus Männern und Frauen aufgestellt, von denen einige mit Elektro-Schockern ausgestattet sind. Auf die Hilfe der Polizei können sie nicht zählen, die greift selten ein. Während den Demonstrationen ist die Polizei auf dem Tahrir meist gar nicht präsent. Im Internet gibt es auch Videos mit Verhaltenstipps – etwa nicht alleine bleiben, dunkle Plätze meiden oder mehrere Schichten Kleider tragen.

Yasmin, die seit dem ersten Tag der Revolution jede Demonstration mitgemacht hat, wird ihre Routine aber nicht ändern. Sie findet, Frauen müssten sich jetzt erst recht zeigen und nicht verstecken und deshalb unterstützt sie die Protestaktivitäten von Frauengruppen. Obwohl Aktivistinnen die abscheulichen Details dieser Übergriffe publik gemacht haben, hat die Regierung nicht reagiert und auch die Nationale Rettungsfront, die grösste Oppositionsgruppierung, liess sich zehn Tage Zeit, bis sie die sexuellen Übergriffe scharf verurteilte.  

Islamisten geben den Frauen die Schuld

Anti-Harassment-Gruppen machen die Islamisten für diese systematische und organisierte Gewalt gegen friedliche Demonstrantinnen verantwortlich, weil sie die politische Verantwortung im Land tragen und nicht entschieden reagieren. Zwar haben auch Mitglieder der Partei der Muslimbrüder diese Verbrechen verurteilt und andere Pro-Mubarak-Gangs verantwortlich gemacht, aber im Shoura-Rat gab es zahlreiche Stimmen von Islamisten, die den Frauen selbst die Schuld gaben.

Der Tahrir-Platz sei eine Brutstätte von Prostitution, Vergewaltigung und sexueller Belästigung geworden, sagt einer ihrer Abgeordneten im Rahmen der Debatte über ein neues Gesetz zur sexuellen Belästigung. Ein Salafisten-Prediger hatte in einem privaten Fernsehkanal die Vergewaltigung von Frauen auf dem Tahrir sogar gerechtfertigt, die meisten seien Christinnen und Witwen, hätten keine Scham und keine Angst.

Auch Yasmin ärgert sich masslos über die Tiraden von Ahmad Abdullah. Der Islam stelle die Frauen unter besonderen Schutz, betont sie. Um mehr Druck auf die Regierung auszuüben, wurden am Dienstag Proteste vor den ägyptischen Botschaften in zwei Dutzend Ländern abgehalten – denn die Muslimbrüder sind derzeit sehr auf ihr gutes Image im Ausland bedacht.

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