Im Namen der Opfer fordert die SVP, dass härter gegen Täter vorgegangen wird, kürzte aber gleichzeitig Schmerzensgeld für Opfer von Straftaten.
Wenn es um härtere Strafen geht, führen bürgerliche Politikerinnen und Politiker gerne Opfer ins Feld, so wie SVP-Shootingstar Natalie Rickli. «Man will den Täter heilen, ihn resozialisieren und schnellstmöglich wieder in die Gesellschaft eingliedern. Das Opfer geht dabei völlig vergessen. Es bekommt immer lebenslänglich», erklärte sie bereits im Jahr 2009 gegenüber Opfern solidarisch in der «Schweiz am Sonntag».
Doch sobald Opfer etwas kosten, ist es sehr rasch vorbei mit der Solidarität. Das revidierte Opferhilfegesetz ist ein Kind des damaligen SVP-Bundesrats Christoph Blocher. Bei der Abstimmung im Nationalrat 2007 sass Rickli zwar noch nicht im Parlament, ihre Parteikollegen aber stimmten geschlossen für das verwässerte Gesetz. Dagegen waren nur SP und Grüne.
Seit die Revision im Jahr 2009 in Kraft trat, gibt es weniger Schmerzensgeld für Opfer von Straftaten. Neu bekommen zum Beispiel Hinterbliebene höchstens 35 000 Franken. Zum Vergleich: Beim Attentat im Zuger Parlament 2001 gab es noch 60 000 Franken für Hinterbliebene.
Luxor-Opfer würden heute leer ausgehen
Opfer und Angehörige des Attentats im ägyptischen Luxor 1997, bei dem 36 Schweizerinnen und Schweizer getötet wurden, würden heute leer ausgehen. Straftaten im Ausland sind ausgeklammert. «Man kann doch nicht die Kantone zur Kasse bitten, weil einer ihrer Bürger findet, er gehe in einen asiatischen Staat, und ihm dann dort etwas passiert», sagte Christoph Blocher damals.
Dabei geht es in den meisten Fällen sowieso nur um einen symbolischen Beitrag von ein paar Tausend Franken Schmerzensgeld für ein lebenslanges Leiden. Dennoch ist es für Opfer von Straftaten entscheidend, dass die Gesellschaft, die sie nicht genügend vor einem Täter schützen konnte, ihr Leiden anerkennt, sagt Dominik Zehntner, Basler Anwalt und Co-Autor des juristischen Kommentars zum Opferhilfegesetz.
Vom Staat gedemütigte Opfer
Wie wichtig Schmerzensgeld ist, erklärte eine junge Schweizerin, die in einem Mittelmeerstaat vergewaltigt wurde, gegenüber der Zeitschrift «Beobachter». «Ohne dieses Geld würde ich mich doppelt gestraft fühlen: als Opfer des Vergewaltigers, aber auch im Stich gelassen und gedemütigt vom Staat.» Sie bekam noch vor der Revision 15 000 Franken Schmerzensgeld. Mit einem Teil davon konnte sie das Flugticket zur Gerichtsverhandlung vor Ort zurückzahlen.
Das Opferhilfegesetz ist seit 1993 in Kraft. Zum Tragen kommt die Opferhilfe erst, wenn weder beim Täter noch sonstwo Geld zu holen ist. Auslöser für die Kürzungen bei den Leistungen waren die Kantone, die befürchteten, die steigenden Kosten könnten aus dem Ruder laufen.
Schmerzensgeld massiv gesenkt
Im revidierten Gesetz wurden nicht nur die Höchstbeiträge für Schmerzensgeld massiv gesenkt. Die ausbezahlte Genugtuung sank durchs Band. So hat sich das durchschnittliche Schmerzensgeld innerhalb der letzten zehn Jahre praktisch halbiert. Letztes Jahr sank die ausbezahlte Genugtuung schweizweit auf einen neuen Tiefststand von noch 5,14 Millionen Franken. Zum Vergleich: Das ist praktisch gleich viel, wie ein einziges neues Tram kostet.
Für Dominik Zehntner kam die Verwässerung nicht überraschend: «Das gesellschaftliche Ansehen von Opfern ist katastrophal. Das Strafrecht ist auf den Täter ausgerichtet. Opfer spielen keine Rolle.» Dabei beraten die Opferhilfestellen immer mehr Opfer. Im letzten Jahr stieg deren Zahl auf über 32 000. Ihnen ist wohl allen gemein: Liebend gern würden sie auf Schmerzensgeld verzichten, wenn sie damit die Tat ungeschehen machen könnten.
Artikelgeschichte
Erschienen in der Wochenausgabe der TagesWoche vom 20.09.13