Um nichts weniger als um die Zukunft der Schweiz in Europa gehe es bei dieser Abstimmung. Darunter macht es die Regierung nicht, wenn sie gleich mit drei Bundesräten den Abstimmungskampf gegen eine Volksinitiative aufnimmt. In diesem Fall: gegen die Masseneinwanderungsinitiative der SVP.
Hätte Johann-Schneider Ammann seinen Seitenscheitel am Montagmorgen nach links und nicht nach rechts gebürstet (und hätte er noch etwas mehr Haare), das Bild wäre von vollendeter Symmetrie gewesen. In der Mitte Simonetta Sommaruga, zu ihrer Rechten der adrette Didier Burkhalter, zu ihrer Linken eben jener falsch frisierte Schneider-Ammann. Flankiert wurde die bundesrätliche Troika vom Waadtländer Staatsrat Pascal Broulis, von Vizekanzler André Simonazzi und zwei hoch aufragenden Schweizer Flaggen.
Mehr Repräsentanz geht in der Schweiz kaum – (eine militärische Ehrengarde hätte auch noch gut ins Bild, aber wohl weniger zum Thema gepasst).
Und so viel Repräsentanz erfordert eine Erklärung. Nachdem sich verschiedene Medien bereits vor dem Auftakt der Abstimmungskampagne gegen die Masseneinwanderungsinitiative der SVP über den bundesrätlichen Grossaufmarsch gewundert hatten, war es nun an Justizministerin Sommaruga, sich und ihre Kollegen zu erklären. Der Bundesrat sei nicht nervös, die Erklärung viel simpler, sagte Sommaruga. «Wir haben bisher alle Abstimmungen zur Personenfreizügigkeit zu dritt eröffnet.»
Sagte Sommaruga. Und begann dann mit den eigentlichen Argumenten gegen die Volksinitiative «Gegen die Masseneinwanderung», die eine Rückkehr zum alten System der Höchstzahlen pro Jahr und Ausländerkontingente fordert (ohne allerdings eine konkrete Zahl zu nennen). Die Initiative bedeute einen Systemwechsel, sie bedeute mehr Bürokratie und weniger Planungssicherheit für die Wirtschaft.
Keine Lösungen
Und vor allem: Sie liefere keine Antworten auf jene Probleme, die mit der gestiegenen Zuwanderung tatsächlich entstanden seien. Probleme beim Landschaftsschutz, beim Wohnen, bei der Mobilität. Diese Probleme seien erkannt und würden auch angegangen, sagte Sommaruga. Aber das seien die Konsequenzen der Zuwanderung. Die Zuwanderung selber sei nicht das Problem: «Sie führt nicht zu grösserer Arbeitslosigkeit, wie das behauptet wird. Für die Wirtschaft geht die Rechnung auf.»
Das bestätigte auch Johann Schneider-Ammann. Im Vergleich zu vor zehn Jahren brauche die Schweizer Wirtschaft heute 600’000 Arbeitskräfte mehr – und die könnten nicht alle aus dem Inland gestellt werden. «Die Zuwanderung entspricht der Nachfrage aus der Wirtschaft.» Und sie tue auch der Schweiz gut.
Ausländische Wertschöpfung
Jene ausländischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die seit der Einführung der Personenfreizügigkeit 2002 in die Schweiz migriert seien, würden hier zur Wertschöpfung beitragen, sagte Schneider-Ammann und schilderte das recht plastisch. «Sie kaufen Möbel, sie kaufen Kleider, sie gehen ins Kino und ins Restaurant und ins Theater.» Eine der häufigsten Kritikpunkte der verstärkten Zuwanderung (die im Moment rund 80’000 Menschen pro Jahr beträgt), der Druck auf die Löhne der Schweizer Arbeitnehmer, könne nicht nachgewiesen werden. Zwei Studien aus Genf und St.Gallen zeigten zwar einen bescheidenen Lohndruck bei den mittleren Gehältern – aber gerade bei den untersten Löhnen sei das Phänomen nicht existent, sagte Schneider-Ammann.
Der grosse Bogen
Eher den grossen Bogen bemühte der dritte Bundesrat im Raum. Für Didier Burkhalter steht nichts Geringeres als das oft bemühte «Erfolgsmodell Schweiz» auf dem Spiel. Bei der Abstimmung gehe es zwar in erster Linie um das Thema Migration. Indirekt werde am 9. Februar aber auch über den bilateralen Weg und die künftige Rolle der Schweiz in Europa abgestimmt. «Die Initiative der SVP setzt den bilateralen Weg aufs Spiel.»
Eloquent, bestimmt, leicht pathetisch: Burkhalters Votum passte zum Anlass. Und wird in genau dieser oder leicht abgeänderter Form noch häufig zu hören sein im nun anlaufenden Abstimmungskampf. Wie hatte doch der Zuger CVP-Nationalrat Gerhard Pfister, dessen Partei die Kampagnenführung gegen die Initiative inne hat, bereits im Frühling der TagesWoche gesagt: «Wir haben die Probleme eines erfolgreichen Landes. Das muss uns bewusst sein. Und wir dürfen die Rezepte, die zu unserem Erfolg geführt haben, nicht grundsätzlich infrage stellen.»
Quellen
Das Argumentarium des Bundesrats.