Mit und gegen Pegida unterwegs

Die Pegida-Bewegung erreicht die Schweiz und gleichzeitig strömen auch ihre Gegner auf die Strasse. Die Gesellschaft ist gefordert, mit den Pegida-Anhängern in einen Dialog zu treten, ohne vor lauter Verständnisbedürfnissen jede Frechheit hinzunehmen.

Participants hold German flags as they take part in a demonstration called by anti-immigration group PEGIDA, a German abbreviation for "Patriotic Europeans against the Islamization of the West", in Dresden January 5, 2015. Several thousand opponents of Germany's policy towards asylum seekers and Islam are expected to attend the protest in the eastern German town on Monday. REUTERS/Fabrizio Bensch (GERMANY - Tags: CIVIL UNREST POLITICS) (Bild: FABRIZIO BENSCH)

Die Pegida-Bewegung erreicht die Schweiz und gleichzeitig strömen auch ihre Gegner auf die Strasse. Die Gesellschaft ist gefordert, mit den Pegida-Anhängern in einen Dialog zu treten, ohne vor lauter Verständnisbedürfnissen jede Frechheit hinzunehmen.

Die Aufnahmen wirken gegensätzlich. Die Bilder der Demonstrationen in französischen und deutschen Städten vermittelten den Eindruck einer geeinten Grande Nation und eines gespaltenen Deutschland. Im Falle Frankreichs haben die tödlichen Anschläge die gesellschaftlichen Gegensätze für einen Moment in den Hintergrund treten lassen zugunsten eines gemeinsamen Bekenntnisses für die republikanische Freiheit und zum Erbe der Französischen Revolution von 1789.

Deutschland dagegen erscheint gespalten: Auf der einen Seite die fremdenfeindliche Hetzbewegung der Pegida (Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes). Sie bezeichnet sich selbst als kulturell und sozial an den Rand gedrängt, gebärdet sich aber selber politisch bewusst randständig. Auf der anderen Seite eine breite und numerisch grössere Gegenbewegung, die für ein friedliches Zusammenleben unterschiedlicher Menschen auf die Strasse geht.

Eine kleine Bewegung bringt ein diffuses Etwas zum Ausdruck, von dem man annehmen muss, dass es latent viel breiter vorhanden ist.

Am vergangenen Dienstag hat Berlin analog zu Paris vor dem Brandenburger Tor, das heisst auf dem Pariser Platz, eine Demonstration für Solidarität und Toleranz zustande gebracht. Dennoch heisst es, dass Deutschland gespalten sei. Davon kann aber nur gesprochen werden, wenn die gespaltenen Teile je gewichtige Grössen ausmachen. Das ist aber nicht der Fall. Sorge kann bereiten, dass eine vorläufig noch kleine Bewegung ein diffuses Etwas zum Ausdruck bringt, von dem man ebenfalls diffus annehmen muss, dass es latent viel breiter vorhanden ist.

Pegida ist in Dresden zu einer wahrnehmbaren Bewegung geworden. Als die Protestierenden am vergangenen Montag zum zwölften Mal zusammenströmten, war ihre Zahl auf rund 25’000 angewachsen. Die Pegida-Leute machen aber nicht ganz Dresden aus, leben hier doch über 500’000 Leute, und drei Tage zuvor kamen auch hier 35’000 Menschen zusammen, um «für Weltoffenheit und Mitmenschlichkeit» einzustehen. Mengenangaben spielen in den Demonstrations-Berichten stets eine wichtige Rolle. In der französischen wie in der deutschen Variante könnte man von einem Aufstand der Massen reden.

«Wir sind das Volk» – eine Frechheit

Weil aber der Begriff «Massen» negativ geprägt ist und es zudem nicht um ein Open-Air oder eine Streetparade geht, sondern um ernste Politik und um Sorgen der Menschen, spricht man von Volk. Dabei klingen gleich mehrere positive Eigenschaften an: «Volk» ist Vertretung echter Basisanliegen, ist Vertretung der grossen Allgemeinheit und Vertretung aus spontaner Selbstmobilisierung.

Ist die Dresdener Pegida das Volk? Zumindest knüpft sie mit dem Slogan «Wir sind das Volk» an die friedliche ostdeutsche Revolution von 1989 an. Dieser Link ist allerdings ein Missbrauch der Geschichte und – eine Frechheit. Die Volksbewegung der Wende-Zeit stand gegen die DDR-Diktatur und die Stasi-Repression auf. Heute gibt es in Deutschland weit und breit nichts Analoges, gegen das man Freiheit einfordern muss.

Eine gewisse Kontinuität gibt es allerdings zwischen der früheren Fremdenfeindlichkeit in der DDR, damals gegen Vietnamesen und Mosambikaner, und der heutigen Fremdenfeindlichkeit in dieser Gegend mit notabene bloss minimem Fremdenanteil. In Sachsen beträgt er gerade mal zwei Prozent. Der Grossteil der Zugewanderten kommt aus den früheren Ostblockstaaten, die Muslime folgen erst ganz unten auf dieser Anwesenheitsliste. Auf der Abwehrliste dagegen befinden sich nicht Polen oder Russen zuoberst, sondern, weil es Mode ist, die Muslime.

Zivil gegen unzivilisierten Protest

Zur Frechheit gehört, ein mit der deutschen Farbkombination «Schwarz-Rot-Gold» bemaltes Christuskreuz hochzuhalten. Das muss oder müsste eigentlich beiden Seiten weh tun: der Religion wegen ihrer Nationalisierung und der Nation wegen ihrer religiös eindimensionalen Vereinnahmung.

Das Dresdener Phänomen lässt sich nicht mit DDR-Vergangenheit erklären. In Leipzig, das diesbezüglich die gleiche Vergangenheit hat, versammelten sich die Pegida-Gegner in der Niklolaikirche, wo die Montagsdemonstrationen gegen das DDR-Regime – und vor allem die Montagsgebete – ihren Anfang genommen hatten. Hier brachten am vergangenen Montag besorgte und besonnene Menschen ihr Nichteinverständnis mit der Pegida-Mentalität zum Ausdruck. Es ist wichtiger, dass sich eine nicht konfrontative Gegenbewegung formiert, ein ziviler Protest gegen einen bewusst rabiaten und unzivilisierten Protest, der allerdings – was ebenfalls anmassend ist – im Namen der abendländischen Zivilisation auftritt.

Solche Bewegungen kommen und gehen. Man sollte aber damit rechnen, dass immer wieder neue kommen werden.

Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten, auf Pegida zu reagieren. Es gibt die bereits ergriffene Variante, mit eigenen Demonstrationen, wie man sagt, die Strasse nicht Pegida zu überlassen und dabei ein Bekenntnis nicht gegen, sondern für etwas zum Ausdruck zu bringen.

Eine andere Variante wäre das Aussitzen in der trügerischen Hoffnung, dass diese dunkle Wolke schon vorbeiziehen wird. War das nicht schon bei der bunten Wolke der Piratenpartei so? Solche Bewegungen kommen und gehen. Man sollte aber damit rechnen, dass immer wieder neue kommen werden.

Exponenten der Politik (von Merkel über Seehofer bis Schröder und Schmidt) reagierten mit deutlichen Distanzierungen. Sie ernteten damit aber sogleich den Vorwurf, sie würden nun ihrerseits polarisieren. Klare Worte sind gewiss nötig, doch wie gesagt, sind positive Worte besser, wie die von Angela Merkel bekräftige Aussage, dass der Islam heute zu Deutschland gehöre. Weniger gut mag Helmut Schmidts Diktum erscheinen, dass Pegida nicht zu Deutschland gehöre. In einer Zweitformulierung dieses Wortes des Grand Old Man müsste man sagen, dass Pegida gewiss nicht zuletzt wegen der Vergangenheit dieses Landes nicht zu Deutschland gehören sollte, real aber leider doch dazugehört.

Aus der Mitte gegen Randgruppen

Eine weitere Reaktion besteht in der Meinung, dass man die Sorgen und Ängste «dieser Leute» ernst nehmen und dass man nicht wie Pegida eine schablonenhafte Aufteilung in Gut und Böse vornehmen sollte. Was heisst Verstehen und wofür ist Verständnis fällig? Da muss deutlich zwischen den sozialen Ausgangsverhältnissen und den politischen Reaktionsweisen unterschieden werden.

Verständnis muss man dafür haben, dass sich Menschen von Abstiegsgefahr und Zukunftslosigkeit bedrängt sehen. Kein Verständnis ist indessen angebracht, wenn man sich deswegen in der noch immer starken Mitte der Gesellschaft legitimiert sieht, gegen schwache Randgruppen zu hetzen. Heutige Pegida-Versteher darf man fragen, ob sie auch in den 1930ern Verständnis gehabt hätten, als Opfer der grossen Wirtschaftskrise mit antisemitischen Reflexen reagierten. Zielscheiben niedrigster Ressentiments sind bekanntlich auswechselbar.

Substanzloses Empörungsgerede

Eine Reaktion auf die Pegida-Herausforderung muss darin bestehen, zum Dialog bereit zu sein. Dieser Dialog sollte sich für die konkreten Erwartungen (sofern es welche gibt) interessieren, die hinter dem Malaise stecken. Allerdings gibt es sie bereits, die Anlaufstellen in Rathäusern, Sozialämtern, Quartierzentren, wohin sich die «Empörten» wenden könnten, um reale Probleme zur Sprache zu bringen. Der billige Vorwurf, den man auch in der Schweiz und sogar in Basel hören kann, dass «die Politik» die Probleme der Verängstigten lange Zeit vernachlässigt habe, ist schlicht unzutreffend und nur eine weitere Variante des substanzlosen Empörungsgeredes.

Zum Dialog, den man nicht unversucht lassen sollte, gehört jedoch, dass man nicht vor lauter Verständnisbedürfnis unberechtigte und rein destruktive Vorwürfe an die Gesellschaft, den Staat, die Politik und die Parteien unwidersprochen hinnimmt. Es darf auch darauf hingewiesen werden, dass man die Welt möglicherweise gerne schlechter sieht, als sie ist, um Grund für Empörung zu haben.

Nicht überraschend gibt es offenbar auch in unserer Region Leute, die gerne Teil einer Pegida-Bewegung werden wollen. Da ist Ansteckung am Werk. Wir leben in einer Zeit der transnational sich verbreitenden Dynamiken und der Entterritorialisierung. Wie es in aller Welt nun Menschen gibt, die erklären, «Charlie» zu sein, muss man davon ausgehen, dass es überall Pegida gibt – hoffentlich aber auch viele Orte wie die Leipziger Nikolaikirche, auf dass die Nachahmungsbereitschaft nicht einseitig sei. 

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