Ein Hauch von Demokratie in Deutschland: In einigen Bundesländern darf die Bevölkerung selber bestimmen, wo am sogenannten Blitzmarathon mobile Radaranlagen aufgestellt werden sollen. Die nächste derartige Aktion findet am 16. April 2015 zum erstenmal EU-weit statt. Die Schweiz steht aussen vor.
Der 24-Stunden-Blitzmarathon ist eine deutsche Erfindung. 2012 in Nordrhein-Westfalen eingeführt, fand die Aktion in der Folge bundesweit Anklang. Es handelt sich um eine gross angelegte Kampagne der Polizei. Alle verfügbaren Reservekräfte und ein Mehrfaches an Radaranlagen kommen zum Einsatz und machen konzentriert Jagd auf zu schnell fahrende Automobilisten. Auch in der Hauptstadt. «Wir haben im Durchschnitt 50 Kontrollstellen in Berlin», sagt Rainer Paetsch vom Stab des Berliner Polizeipräsidenten zur TagesWoche. «Beim Blitzmarathon sind es rund 300.»
Das Abfangen von Rasern und das Blitzen im Allgemeinen sorgen immer wieder für hitzige Diskussionen im autoverliebten Deutschland. Der hauptsächlich geäusserte Vorwurf der Kritiker, nicht selten Ertappte: Dem Staat gehe es einzig ums Abkassieren. Er suche schon die «richtigen» Standorte dafür aus. Solche Töne sind Paetsch natürlich nicht fremd. Er widerspricht allerdings heftig: Die Auswahl der Standorte richte sich einzig nach der Verkehrssicherheit. Mit einer einfachen Massnahme versucht man seit Neuestem, den Kritikern den Wind aus den Segeln zu nehmen: Über die Standorte der mobilen Radaranlagen entscheidet in Berlin (zum zweiten Mal) – und im weiten Umfeld Brandenburg (zum ersten Mal) – am 16. April 2015 nicht mehr die Polizei, sondern der Bürger respektive die Bürgerin.
Ziel: Verkehrssicherheit in den Köpfen verankern
Haben die Deutschen den Schweizern plötzlich die Demokratie abgeguckt? Paetsch muss lachen. «Unser Ziel besteht darin, das wichtige Thema Verkehrssicherheit in die Köpfe der Menschen zu bringen.» Neben Alkohol am Steuer ist das Rasen Hauptursache für tödliche Unfälle in Deutschland. Standortwünsche können online angemeldet werden. Die «Wahlbeteiligung» ist allerdings noch sehr bescheiden. «Es sind etwas über 4800 Bürgermeldungen eingegangen», bilanziert Paetsch nach dem ersten Versuch. Die Radaranlagen würden an den zehn meistgenannten Strassen aufgestellt. Unter den Top 3 figuriert eine Strasse, die auch alle Berliner Touristen kennen dürften: der verkehrsreiche Kurfürstendamm.
Information und Aufklärung wird im Vorfeld des Blitzmarathons grossgeschrieben, die Blitzstandorte werden öffentlich kommuniziert (nicht alle, aber viele). «Obwohl wir am Blitzmarathon 2014 sechsmal so viele Radaranlagen wie sonst aufstellten, wurde kaum mehr geblitzt als im Durchschnitt an normalen Tagen», sagt Paetsch. Diesen Umstand führt er auf die umfangreiche Aufklärung zurück. Man habe die Erfahrung gemacht, dass die Automobilisten am Blitzmarathon-Tag wesentlich defensiver fahren würden und ganz besonders auf die Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeiten achteten. Das sei auch Sinn und Zweck der Sache. Die Polizeigewerkschaften halten von dieser Einmalaktion pro Jahr allerdings nicht besonders viel. Um einen Abschreckungseffekt zu erzeugen, müsste ihrer Ansicht nach viel öfters und ohne Vorankündigung geblitzt werden.
Der nächste 24-Stunden Blitzmarathon vom 16./17. April 2015 wird zum ersten Mal EU-weit durchgeführt, und zwar im Rahmen des Netzwerkes «Traffic Information System Police» (Tispol). Dem Vernehmen nach sollen rund 100’000 Polizisten im Einsatz sein. Nicht mit von der Partie ist die Schweiz, wobei die Kontrolltätigkeit der Automobilisten den Kantonen unterliegt. Eine Teilnahme an einem Blitzmarathon wäre freiwillig.
Kein Mitbestimmungsrecht in Basel
Die Kantonspolizei Basel-Stadt blicke natürlich immer über die Kantons- und Landesgrenzen hinaus und habe Kenntnis vom Blitzmarathon, sagt Mediensprecher Martin Schütz. Die Basler Polizei sei aber derzeit der Ansicht, dass sich die angestammte Vorgehensweise bei den Geschwindigkeitskontrollen namentlich mit Blick auf die Verkehrssicherheit bewährt habe. «Jeder Standort von Rotlicht- und Geschwindigkeitsmessanlagen ist sowohl auf den kantonalen als auch auf dem nationalen Strassennetz bewusst gewählt, meist aufgrund einer komplexen Situation und/oder vieler Übertretungen», begründet Schütz die Auswahl der Standorte. «Sie dienen nicht der Alimentierung der Staatskasse», betont er im Einklang mit Rainer Paetsch aus Berlin.
Ein Mitbestimmungsrecht wie in Berlin existiert in Basel zwar nicht. Aber: «Die Basler Verkehrspolizei berücksichtigt bei der Standortwahl von Radaranlagen durchaus Hinweise und Rückmeldungen», verspricht Schütz. «Wir nehmen die Bedürfnisse der Bevölkerung auch in diesem Punkt sehr ernst.» Auf die Frage, ob er Beispiele für Standorte in Basel nennen könne, die Bevölkerungshinweisen zugrunde liegen, erwähnt der Mediensprecher gleich mehrere. Bei den Radar-/Laserkontrollen (Kontrolle von 1 bis 2 Stunden) seien dies die Flughafenstrasse, Allmendstrasse, Gellertstrasse, Grenzacherstrasse, Inzlingerstrasse, Breisacherstrasse, Engelgasse, Fürstensteinerstrasse und der Bläsiring. Und als sogenannte Semi-Stationen (Kontrolle von mehreren Tagen) nennt Schütz zu den drei Linden, Jakob Burckhardt-Strasse, Wettsteinallee, Weilstrasse und die Äussere Baselstrasse.