Der ägyptische Präsident Morsi hat in den letzten Tagen eine Reihe von Ernennungen vorgenommen. Seine Gegner werfen ihm vor, zu viele Islamisten berücksichtigt zu haben.
In Ägyptens Gazetten und an den Kaffeehaustischen steht eine neue Wortschöpfung hoch im Kurs: «Ikhwana». Die Übersetzung müsste etwa «Muslimbrüderisierung» lauten. Gemeint ist das Bestreben der Muslimbrüder, der ägyptischen Gesellschaft ihren Stempel aufzudrücken. In den letzten Tagen war «Ikhwana» vor allem im Zusammenhang mit einer ganzen Reihe von Ernennungen in staatliche Schlüsselpositionen durch Präsident Mohammed Morsi ein heiss diskutiertes Thema.
Keine neue Handschrift
Vor einer Konferenz von Universitätsstudenten kündigte Morsi am Donnerstag weitere Veränderungen an und meinte, sie seien im Interesse des Landes. Ägypten sei ein ziviler Staat, nicht ein militärischer oder religiöser, unterstrich der Präsident. Mit der Ernennung von neuen Gouverneuren, den Mitgliedern des Presserates und des Nationalen Rates für Menschenrechte hatte er im Verlauf weniger Tage bereits wichtige Positionen neu besetzt, an denen politischer Einfluss ausgeübt werden kann, vor allem im Hinblick auf die Parlamentswahlen, die in wenigen Monaten anstehen. Dass Wahlgewinner versuchen, Entscheidungsträger zu beherrschen sei zwar normal und legitim. In einem Land, das erst mitten im Neuaufbau des politischen Systems steckt, sollte aber niemand ausgeschlossen werden, warnten Politologen.
Von den 27 Gouverneuren, die in dem derzeit noch stark zentralisierten Land eine mächtige Position haben, hat Morsi zehn ausgewechselt. Dabei hat er vier Posten neu mit Führungsfiguren der Muslimbrüder besetzt sowie drei mit Richtern und Universitätsprofessoren. Beibehalten hat er die Tradition des Mubarak-Regimes, an die Spitze der drei Grenzprovinzen Nord-Sinai, Suez und Rotes Meer Militär- oder Polizeigeneräle zu setzen. Was den Analysten Mustafa Kamel al-Sayad in der lokalen Presse zur Bemerkung veranlasste, dass die Auswechslung der Gouverneure nach dem genau gleichen Muster vorgenommen wurde wie unter Mubarak und vor allem nicht auf der Basis von beruflichem Hintergrund, Kompetenz und der lokalen Entwicklung erfolgt sei.
Auch im Nationalen Rat für Menschenrechte und dem Obersten Presserat werden künftig prominente Mitglieder der Partei für Freiheit und Gerechtigkeit der Muslimbrüder vertreten sein. Ihr Anteil liegt jeweils zwischen 10 und 20 Prozent. «Mich beruhigt wenigstens, dass Morsi den erzkonservativen Salafisten nur wenige Plätze überlassen hat», kommentierte ein Geschäftsmann in Kairo, der selbst Christ ist, die Listen.
Politik wichtiger als Kompetenz
Die Zahlen sagen aber nicht alles. Angefangen bei der Regierungsbildung haben immer wieder prominente Persönlichkeiten Nominierungen ausgeschlagen, um ein Zeichen gegen die «Ikhwana» zu setzen. Der Journalist Salah Eissa, ein langjähriger Kämpfer für eine freie Presse, wollte im Presserat nicht mitmachen, weil alle ausgeschlossen worden seien, die sich den Muslimbrüdern widersetzten und all jene mit einer Vision, um das Land zu verbessern, zitierte ihn Al-Ahram Weekly.
Der Direktor des Kairoer Instituts für Menschenrechtsstudien, Bahey al-Din Hassan, kritisierte die neue Zusammensetzung des Nationalen Rates für Menschenrechte als die schlimmste seit seiner Gründung 2003, weil kaum Juristen darunter seien und die Mehrheit der Mitglieder Persönlichkeiten, die weder einen Bezug noch Wissen zum Thema Menschenrechte hätten. Viele Kommentatoren waren sich einig, dass bei zahlreichen Ernennungen – nicht nur im Fall von Muslimbrüdern – die politische Ausrichtung wichtiger gewesen sei als Kompetenz und Eignung.