Monatelange U-Haft ist zum Standard geworden

In den letzten Wochen wurde die bereits viermonatige U-Haft eines Mannes kritisiert, der an einer illegalen Party verhaftet wurde. Er ist kein Einzelfall: U-Haft dauert heute oft länger als früher.

Halbe Ewigkeit: Seit Staatsanwälte von Anfang an drei Monate U-Haft beantragen können, sitzen Verdächtige oft länger als früher. (Bild: Nils Fisch)

In den letzten Wochen wurde die bereits viermonatige U-Haft eines Mannes kritisiert, der an einer illegalen Party verhaftet wurde. Er ist kein Einzelfall: U-Haft dauert heute oft länger als früher.

Wie lange eine Untersuchungshaft im Schnitt dauert, erhebt die Staatsanwaltschaft nicht. Als Antwort gibt sie, dass das Zwangsmassnah­megericht, im Volksmund Haftgericht, über die U-Haft-Länge entscheide – was allerdings keine Neuigkeit ist.

Drei Parteien sind bei Haftrichter-Fällen involviert: der Beschuldigte mit Verteidiger, ein Staatsanwalt und der Haftrichter. Der Verteidiger will seinen Klienten nicht oder nur kurz in U-Haft sehen, die Staatsanwaltschaft dagegen fordert meist drei Monate. Neu ist, dass dieser Antrag heute häufig gutgeheis­sen wird. Seit der Strafprozessordnung von 2011 darf ein Staatsanwalt von Anfang an drei Monate U-Haft verlangen, sofern die nötigen Voraussetzungen gegeben sind – egal, um was für ein Delikt es sich handelt.

Früher galt: zuerst höchstens ein Monat, dann musste geprüft werden, ob Gründe für eine Verlängerung der U-Haft vorliegen.
Strafverteidigerin Eva Weber wird mit vielen Haftrichter-Fällen betraut. Ihre Erfahrung: «Staatsanwälte schöpfen die Möglichkeit aus und beantragen immer gleich drei Monate.» Wie lange jemand tatsächlich in U-Haft muss, entscheidet der Haftrichter. Auch hier fallen die Entscheide häufig zugunsten einer längeren Haft aus. Denn es gibt mehr Formalitäten zu erledigen als früher, Hauptgrund ist aber: Die Kriminalfälle werden immer komplexer.

Verdunklungs- und Fluchtgefahr

Flucht- und Verdunklungsgefahr seien verglichen mit früher die häufig­sten Gründe, einen Verdächtigen in ­U-Haft zu behalten, sagt Peter Gill von der Staatsanwaltschaft. Das gilt zum Beispiel für Straftaten, die Banden zugeschrieben werden.
Früher hätten bandenmässiges Vorgehen und Wohnsitz im Ausland nicht zum «stereotypen Verhalten» gehört, sagt Eva Weber, «heute schon». Mit der Zunahme Verdächtiger, die im Ausland lebten, sei darum nebst der Verdunklungsgefahr auch Fluchtgefahr oft ein U-Haft-Grund.

Die lange U-Haft-Dauer des Mannes, der am 2. Juni an einer illegalen Party auf dem nt/Areal festgenommen wurde, ist also kein Einzelfall. Er wird nur darum öffentlich diskutiert, weil bereits die Party selber Schlagzeilen machte. Generell sitzen U-Häftlinge länger als früher – und das bei einem «sehr stark belegten Waaghof», wie ­Peter Gill sagt. Ein Teufelskreis. Es gebe für die Ermittler allerdings ­keinen Grund, Leute möglichst lange in U-Haft zu behalten, sagt Gill.

Längere Ermittlungen

Anwältin Eva Weber zeigt Verständnis für den Arbeitsaufwand der Staatsanwaltschaft, bemerkt aber: «Früher mussten nach einem Monat erste Ermittlungsergebnisse vorliegen.» Heute würden oft drei Monate vergehen. Diese Entwicklung beobachtet auch der ehemalige Strafgerichtspräsident und Professor Peter Albrecht mit Sorge.

Er galt als beschuldigtenfreund­licher Haftrichter und gibt sich auch zehn Jahre nach seinem Rücktritt so: «Wichtig ist immer die Verhältnismäs­sigkeit, diese wird häufig zu wenig berücksichtigt.» Einen Verdächtigen drei Monate sitzen zu lassen, ohne die Haftgründe nach einigen Wochen zu überprüfen, sei heute aber leider üblich. «Wäre ich noch Richter, würde ich trotz neuen Voraussetzungen im Wesentlichen handeln wie früher.»

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 19.10.12

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