Müll aus Sicht der Politik und Wissenschaft

Die einen profilieren sich mit dem Abfall auf den Strassen, die anderen versuchen es wenigstens begrifflich unter Kontrolle zu bringen.

Wie gross ist das Problem im Bereich des Litterings? Welche Massnahmen sind die richtigen? Diese Fragen soll sich nun auch die Wissenschaft zuwenden. (Bild: Hans-Jörg Walter)

Die einen profilieren sich mit dem Abfall auf den Strassen, die anderen versuchen es wenigstens begrifflich unter Kontrolle zu bringen.

Das Schöne am Thema Littering ist: Jeder kann mitreden – und sich mit einer pointierten Meinung profilieren. Bei den Politikern klingt das dann so, seit Längerem schon: «Mit dem Abfall wird es immer schlimmer. Doch jetzt räumen wir auf.» Dann fordern sie Massnahmen. Die Rechten härtere Strafen für Litterer, die Linken neue Gebühren.

Bis jetzt waren aber weder die einen noch die anderen besonders erfolgreich im Kampf gegen den Dreck. Sonst würden wohl nicht auch die Medien bis heute verkünden, dass es mit dem Abfall immer schlimmer werde. Die «Basler Zeitung» zum Beispiel schrieb erst gerade «beinahe schon neapolitanische Zustände» herbei (online nicht verfügbar). Doch ist es tatsächlich so schlimm? Versinkt die Schweiz bald im Müll?

Die andere Meinung

Na ja. Es gibt auch einzelne Politiker, die das etwas anders sehen. Beat Flach zum Beispiel, der grünliberale Aargauer Grossrat. «Eigentlich leben wir in einem sehr, sehr sauberen Land», sagte er kürzlich in der «Arena» zum Thema Littering. Logisch, liege da und dort etwas herum. Viele Orte seien aber so sauber, dass man dort vom Boden essen könnte. Mit seiner Meinung war er allerdings auch in der Diskussionssendung des Schweizer Fernsehens krass in der Minderheit. Doch spricht das auch gegen seine Aussagen?

Eine einfache Frage, die gar nicht so leicht zu beantworten ist. Die Kommunen und die öffentlichen Verkehrsbetriebe sprechen zwar von stetig steigenden Reinigungskosten infolge Littering (auf inzwischen 200 Millionen Franken pro Jahr). Wann und wo was genau weggeworfen wird, ist aber seit einer Studie der Universität Basel von 2005 nicht mehr systematisch erhoben worden.

Mehr Wissenschaftlichkeit gefordert

Das möchte der grüne Nationalrat Bastien Girod nun ändern. Mit einem Vorstoss will er dafür sorgen, dass neue Studien in Auftrag gegeben werden – als Basis für etwas sachlichere Diskussionen über die nötigen Massnahmen. Immerhin hat die Wissenschaft aber schon einige andere interessante Fragen geklärt – zum Beispiel jene nach den Gründen für das Littering: Diese sind im veränderten Ausgeh- und Essverhalten (mehr draussen, mehr fliegende Verpflegung) zu suchen, wie aus der Vergleichsstudie «Littering – ein Schweizer Problem?» hervorgeht.

Die Experten unterscheiden dabei in: «passives Littering» (unachtsames Liegenlassen), «aktives Littering» (Abfälle werden bewusst nicht im Abfall entsorgt) und Littering im Grenzbereich zu Vandalismus (unter Inkaufnahme von Schäden an der Infrastruktur).

Die Angst vor Phase 3

Eine weitere wissenschaftliche Erkenntnis besteht – nicht unbedingt sehr überraschend – darin, dass der Hang zu Littering bis hin zu Vandalismus vor allem abends und nachts mit steigendem Alkoholkonsum immer stärker wird.
Eine Tendenz, die bei Männern eher auzumachen sei als bei Frauen und bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen eher als bei Älteren. Das jedenfalls sagte Till Berger, ein Mitautor der Littering-Studie gegenüber dem Schweizer Radio und Fernsehen. Seine Erklärung: «Wenn Jugendliche in Gruppen sind, ist es in einem gewissen Alter möglicherweise nicht mehr so cool, seine Sachen korrekt zu entsorgen.» Von einer Verrohung der Sitten will er dennoch nichts wissen. «Es ist doch normal, dass ein gewisser Teil der Bevölkerung sich nicht an die Regeln hält, und das passiert nun mal meistens in der Nacht.»

Dumm nur, dass die Basler Abfallkontrolleure ausgerechnet dann nicht mehr im Dienst sind. Aus Sicherheitsgründen. Wegen Litteringform Nummer 3 (Übergang zu Vandalismus).

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 24.05.13

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