Nachhilfekurs für Steueroasen

Wenn die amerikanische Steuerfahndung Schweizer Banken aufs Korn nimmt, die US-Bürgern beim Steuerbetrug helfen, fühlt sich die Schweiz angegriffen – als ob das ganze Land eine Bank wäre.

Willkommen im Steuerparadies: Künstler an der Art Basel nehmen mit Postkarten die Schweiz ironisch ins Visier. (Bild: Keystone/Gaëtan Bally)

Wenn die amerikanische Steuerfahndung Schweizer Banken aufs Korn nimmt, die US-Bürgern beim Steuerbetrug helfen, fühlt sich die Schweiz angegriffen – als ob das ganze Land eine Bank wäre.

Die Gazetten zetern, es sei eine «Offensive gegen die Schweiz» im Gange, die zuweilen die Züge einer «Hasskampagne» trage. Es geht dabei um eine lange Liste von Steuerhinterziehern, die aus einer Schweizer Bank in die Hände einer ausländischen Steuerbehörde gelangt, die diese Bank dann unter Druck setzt und sogar Mitarbeiter verhaftet.

Wem das aus der jüngsten Vergangenheit vertraut vorkommt, liegt richtig – und zugleich weit daneben. Denn der Vorgang spielte sich 1932 ab, vor 80 Jahren. Es ging um die Basler Handelsbank (mittlerweile längst in der UBS aufgegangen), es ging um Frankreich und um jährlich rund vier Milliarden Francs entgangener Steuern – und dies in Zeiten einer tiefen Depression, als die normalen französischen Steuerzahler die Gürtel massiv enger schnallen mussten. So jedenfalls beschreibt das der in Zürich lebende britische ­Autor Nicholas Shaxson in seinem Buch «Schatzinseln – wie Steueroasen die Demokratie untergraben» (Rotpunkt-Verlag).

Stoff für Legenden

Die Reaktion der Schweiz damals: Man erliess das Gesetz über das Bank­geheimnis, welches die Preisgabe von Kundendaten unter Strafe stellt. Mit dem Schutz jüdischer Gelder vor dem Zugriff der Nazis hatte das nichts zu tun, das Gesetz entstand auf Betreiben der Banquiers vor Hitlers Machter­greifung (siehe auch TagesWoche Nr. 6: «Legende vom uneigennützigen Bankgeheimnis», tageswoche.ch/+awags). Schweizer Banken brachten später ganz im Gegenteil von den Nazis geraubte Schätze in Sicherheit und finanzierten deren Kriegsmaschinerie mit. Die Anti-Nazi-Legende um das Bankgeheimnis wurde erst seit den 1960er-Jahren zur nationalen Folklore. Die Demontage dieser Legende begann mit dem Streit um die herren-losen Vermögen der Opfer des Nazi-Terrors, in dem die Schweiz sich zuerst äus-serst hartherzig verhielt, beim ersten ernsthaften Druck aus den USA allerdings total einknickte und eine milliardenschwere Ablasszahlung leistete.

Das Gesetz über das Bankgeheimnis, das 1934 in Kraft trat, war wohl der Sündenfall der Schweiz. Denn indem sie die Verletzung von Branchenregeln zum Offizialdelikt machte, identifizierte sich die Schweiz vorbehaltlos mit den Interessen der Banken. «Schweizer Bank» und «Schweiz» wurden in der Aussen- wie in der Innenwahrnehmung zur symbiotischen Einheit. Wer seither die Schweizer Banken angreift, greift in den Augen vieler Schweizer zugleich die Schweiz an.

Dazu war in den vergangenen Jahrzehnten reichlich Gelegenheit. Wenn ­irgendwo auf der Welt ein Diktator stürzte, hatte der mit Sicherheit seine Schäfchen auf einer Schweizer Bank ins Trockene gebracht. Auch das global ­organisierte Verbrechen benutzte die Schweizer Banken gerne als Sparhafen und Waschmaschine. Dass die Schweiz durch das strikt interpretierte Bankgeheimnis für ausländische Steueroptimierer zum sicheren Hafen wurde, versteht sich von selbst.

Diese Funktion als Steuerfluchtburg wird den Schweizer Banken nun zum Verhängnis. Kein Land der Welt kann zulassen, dass seine Bürger ihre Einkommen und Vermögen bei einer ausländischen Bank der ordentlichen Besteuerung im Inland entziehen. Wegelin-Banker Konrad Hummlers ­Anmerkung, bei solcher Steuerflucht handle es sich um Notwehr gegen einen allzu gefrässigen Staat, das Fluchtgeld erhalte in der Schweiz also quasi Asyl, war nicht nur zynisch, sie erwies sich auch als kapitales Eigentor.

Über viele Jahre konnten sich die Schweizer Banken durchmogeln, indem man immer wieder Abstriche am Bankgeheimnis machte. Mal geschah das in Gestalt einer privatrechtlichen «Sorgfaltspflichtvereinbarung» der Banken (1977), mal als Strafgesetzartikel 305 zu Sorgfaltspflicht und Geldwäscherei (1990), mal wie in jüngster Zeit mit Ablasszahlungen, der Auslieferung von Kundendaten, der Zahlung einer Art Quellensteuer an ausländische Steuerbehörden, mit Steuerabkommen, in denen neuestens sogar Sammelanfragen der Fahnder auf blossen Verdacht hin möglich werden.

Das Bankgeheimnis wird also seit ­geraumer Zeit von den Behörden und von den Banken selber ausgehöhlt; es ist mittlerweile löchrig wie ein Emmen­taler. Wirklich nachhaltig ist das aber immer noch nicht. Was die ausländischen Angreifer wollen, ist der automatische Datenaustausch, mit dessen Hilfe sie ihre Steuerpflichtigen auch dann belangen können, wenn diese ihr Geld in der Schweiz parkiert haben. Dieses Ziel werden sie auch in Zukunft mit Nachdruck verfolgen – und wenn nötig mit politischem Druck.

Deshalb zetern auch heute manche Gazetten, die Amerikaner führten gegen die Schweiz einen «Wirtschaftskrieg», der den Finanzplatz «vernichten» solle. Dabei würden sie sekundiert von den Deutschen, deren früherer Finanzminister und womöglich künftiger Kanzler Peer Steinbrück jetzt nicht mehr nur mit der Kavallerie droht, sondern die Pferde schon satteln will.

Keine Verbündeten mehr

Die Indianer vom Zürcher Paradeplatz und ihre Sendboten im Bundeshaus sind zutiefst erschrocken. Sie denken sogar daran, nun ihrerseits das Kriegsbeil auszugraben. Da sollten sie besser noch einmal Manitou um Rat bitten – oder wenigstens eine Land­karte konsultieren. Dann werden sie feststellen, dass sie unter den Staaten dieser Welt kaum mehr Verbündete haben. Nicht einmal mehr die anderen Steueroasen der Welt werden ihnen zu Hilfe eilen – denn die haben sich längst mit dem Unvermeidlichen arrangiert.

In Wirklichkeit stehen ja nicht einmal die Schweizer geschlossen hinter «ihrem» Finanzplatz. Der Linken ist das Bankgeheimnis seit Jahrzehnten ein Dorn im Auge. Sie hat schon davor gewarnt, auf der schlaumeierischen ­Unterscheidung von Steuerhinterziehung und Steuerbetrug zu beharren, als man für solche Einwendungen von den Bankern noch belächelt wurde.

Strahms Rat beherzigt

Heute hat sich diese Differenzierung in Luft aufgelöst. Auch die Warnung, man könne den Reichtum des Landes nicht auf hinter­zogenen Steuern in den Nachbarländern aufbauen, wurde belächelt und die Warner wurden als miesepetrige Moralapostel verunglimpft.

Die Steuerfahnder aller Länder aber ­gehen eben nicht gegen die Schweiz oder die Schweizer vor, ja nicht einmal gegen den hiesigen Finanzplatz. Sie gehen vielmehr gegen Banken vor, die in Kundenbeziehungen mit ihren Staatsbürgern einschlägige Rechtsnormen verletzen. Das tun die Amerikaner allerdings auch bei US-Banken. Und bei Schweizer Banken ­beherzigen sie einen Rat von Rudolf Strahm, dem früheren Preisüber­wacher: «Es bringt nichts, die Schweizer Regierung unter Druck zu setzen. Wer etwas erreichen will, muss eine Bank ins Visier nehmen.» Wenn sich damit das ganze Land angegriffen fühlt, ist das nicht das Problem der Amerikaner oder der Deutschen oder der EU-Bürokraten, sondern jenes der Schweizer.

Und plötzlich fehlt das Geld

Weil wir uns so sehr daran gewöhnt ­haben, für den Rest der Welt eine Steuer­oase zu sein, dulden wir sogar mitten im eigenen Land ­Steueroasen, die dem Rest des Landes Steuerzahler abspenstig machen. Wenn zum Beispiel im ­Kanton Zug, wie Shaxson ausgerechnet hat, 27 000 Unternehmen registriert sind, eines pro vier Einwohner, dann stimmt etwas nicht in diesem Land. Wenn einer der reichsten und steuergünstigsten Gemeinden des ganzen Landes, Zollikon an der Zürcher Goldküste, plötzlich das Geld für ­elementare Dienstleistungen ausgeht, dann war das Konzept der Steueroptimierung wohl suboptimal. Und dann könnte sich der vielbeschworene «Wirtschafts­krieg» am Ende vielleicht sogar als Nachhilfeunterricht entpuppen.

 

Artikelgeschichte

Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 09.03.12

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