Neue Studie zeigt: Rauer Polizei-Jargon beeinflusst die Richter

Der Ton macht die Musik – auch in polizeilichen Einvernahmeprotokollen. Sind diese scharf verfasst, haben die Beschuldigten vor dem Richter schlechtere Karten.

Auch eine Frage des Stils: Wer von einem Polizisten scharf verhört wird, hat später vor Gericht einen schweren Stand.

(Bild: Nils Fisch)

Der Ton macht die Musik – auch in polizeilichen Einvernahmeprotokollen. Sind diese scharf verfasst, haben die Beschuldigten vor dem Richter schlechtere Karten.

Vor dem Gesetz sind alle gleich – theoretisch. Denn manchmal vermasseln es die Strafverfolgungsbehörden.

Pech hat ein Beschuldigter nicht nur, wenn seine Aussagen fehlerhaft wiedergegeben werden, sondern auch wenn der Polizist oder Staatsanwalt bei der Einvernahme einen forschen Befragungsstil kultiviert und sich dieser Ton im Protokoll niederschlägt. Dann neigen Richter dazu, härtere Urteile zu fällen, wie eine neue Studie der Basler Kriminologin Nadja Capus und der Zürcher Soziologin Franziska Hohl zeigt.

Befrager in schlechtem Licht

Für ihre Untersuchung haben die beiden Forscherinnen 645 Richterinnen und Richtern jeweils vier inhaltlich identische, aber sprachlich und stilistisch unterschiedliche Protokolle vorgelegt. Ihr Fazit: Richter schätzen die Aussagen von Beschuldigten als weniger überzeugend und plausibel ein, wenn die Fragen in konfrontativem Stil protokolliert sind – etwa mit einer Formulierung wie «Anerkennen Sie diesen Sachverhalt als richtig?» statt «Was sagen Sie dazu?».

«Als ‹hart geführt› dargestellte Befragungen können sich jedoch nicht nur negativ auf die Beschuldigten auswirken», sagt Nadja Capus, «auch auf die Befrager werfen sie ein schlechtes Licht.» So hätten die Richterinnen und Richter scharfe Befragungen als «weniger fair, weniger umfassend und weniger kompetent» eingestuft.

Über wichtige Dinge, die Richterentscheide beeinflussen können, entscheiden Polizisten und Staatsanwälte autonom.

Die Folgen solcher Verhöre können für die Betroffenen schwerwiegend sein. Denn über einige wichtige Punkte, die auf richterliche Entscheide einen Einfluss haben können, entscheiden Polizisten, Staatsanwälte und ihre Protokollführer autonom. So etwa, ob alle Fragen des vernehmenden Polizisten oder Staatsanwalts mitprotokolliert werden oder nicht. Oder ob nachträglich geäusserte Präzisierungen oder Korrekturen der vernommenen Person ebenfalls ins Protokoll kommen oder nicht.

Zwar haben Richter die Möglichkeit, Zeugen vor Gericht zu laden und selber zu befragen. Das kostet jedoch Zeit und wird auch von der 2011 in Kraft getretenen Eidgenössischen Strafprozessordnung nicht favorisiert. Entsprechend hat laut Capus die Bedeutung der Schriftprotokolle in den letzten Jahren zu- und jene der gerichtlichen Einvernahmen abgenommen.

Protokollführung ist kein Unterrichtsstoff

Mit ihrer Studie sind die beiden Forscherinnen in ein noch wenig bekanntes Feld vorgestossen. Die Protokollführung in Strafverfahren sei in der Schweiz gesetzlich nur rudimentär geregelt, sagt Nadja Capus. Viele Verantwortliche würden die Protokollführung erst «on the job» erlernen. Es gebe auch nur vereinzelt spezielle Weiterbildungen auf Behördenebene. «Im besten Fall gelingt es uns mit dieser Studie, das Problembewusstsein bei den verantwortlichen Leuten zu schärfen.»


Nadja Capus‘ und Franziska Hohls Studie «Richtertätigkeit vor dem Rechtsprechen: Das Lesen der Einvernahmeprotokolle. Resultate einer Befragung von Richterinnen und Richtern zu Einvernahmeprotokollen im Strafverfahren» ist Teil des Forschungsprojekts «Strafverfahren im Wandel», das vom Schweizerischen Nationalfonds finanziert wird.

Zu dieser Studie findet am Donnerstag, 13. November 2014, um 17.15 Uhr, eine Veranstaltung an der Juristischen Fakultät der Universität Basel (Pro-Iure-Auditorium, Peter-Merian-Weg 8, Basel) statt.

Nächster Artikel