Pussy Riot sind auf Tournee – ohne Musik, aber mit Propaganda: Sie machen sich stark für die Minderheiten in Russland und kritisieren die Missachtung der Menschenrechte in ihrer Heimat. Ein Augenschein bei ihrem Gastspiel in Amsterdam, wo sie sagten: «Wir sind nicht zum Spass hier».
Nadeschda Tolokonnikowa und Maria Alechina sind unschlüssig. Mit einem Glas Weisswein in der einen und einer Zigarette in der anderen Hand stehen die beiden Mitglieder der russischen Frauen-Punkband Pussy Riot auf dem Leidseplein in Amsterdam. Es ist Freitagabend, kurz vor Mitternacht, und zwei Fans im Teenage-Alter mit Lippen-Piercing und Lederjacke versuchen ihre Idole zu überreden, sie in eine «ziemlich coole Punk-Bar» zu begleiten.
«Abreisen, ohne Amsterdam by Night gesehen zu haben… das können wir eigentlich nicht bringen, oder?», meint Alechina (25) eher zögerlich als überzeugend. In weniger als 12 Stunden müssen sie auf dem Flughafen sein, davor haben sie noch zwei Interviews. «Lust hätte ich ja», seufzt Tolokonnikowa (24) in gebrochenem Englisch. «Ich bin nur so fucking müde.» Eine Weile stehen sie schweigend im Regen, zweifelnd zwischen Punk und Vernunft.
Reden statt Riots
Von Punk war beim Niederlande-Besuch der beiden aus dem Straflager entlassenen Aktivistinnen bisher wenig zu spüren. Elegant gekleidet und freundlich lächelnd arbeiteten sie ihr Programm ab: ein Treffen mit dem niederländischen Aussenminister, ein Gespräch mit dem Leiter des Gefängniswesens, Fernsehauftritte, Pressekonferenz und Auftritt beim Human Rights Weekend in Amsterdam, wo der Oscar-nominierte Dokumentarfilm «Pussy Riot – A Punk Prayer» gezeigt wurde.
Das Leben der beiden jungen Frauen hat sich drastisch geändert, seit sie vor zwei Jahren mit bunten Sturmhauben, Verstärkern und einem kleinen Aggregat die Christ-Erlöser-Kathedrale in Moskau stürmten. Dort, auf dem Altar der wichtigsten russisch-orthodoxen Kirche des Landes, gaben sie ihr «Punk-Gebet» zum Besten. «Heilige Maria, Mutter Gottes, erlöse uns von Putin», schrien sie, wild tanzend. Der Auftritt, nicht länger als eine Minute, kam Tolokonnikowa und Alechina teuer zu stehen. Im März 2012 wurden die Aktivistinnen zu zwei Jahren Haft in einem Straflager in der Republik Mordwinien verurteilt. Ein drittes Bandmitglied kam mit einer Bewährungsstrafe davon.
Die Bilder des Gerichtsprozesses gingen um die Welt. Popstars wie Björk, Radiohead, U2 und Yoko Ono riefen öffentlich zur Freilassung der jungen Frauen auf. Madonna hatte sich bei einem Konzert in Moskau den Namen der Band auf den Rücken gemalt. Innerhalb kürzester Zeit wurde Pussy Riot eine Band, die nie offizielle Konzerte gab und kein einziges Album veröffentlicht hatte, weltweit bekannt.
Ende letzten Jahres gewährte Präsident Wladimir Putin den beiden schliesslich Amnestie, zusammen mit den Greenpeace-Aktivisten und dem früheren Oligarchen Michail Chodorkowski. Eine Propagandaaktion, um einen Boykott der Olympischen Spiele in Sotschi zu verhindern, so sind sich viele einig.
Tolokonnikowa seufzt, als sie nach ihren Erfahrungen im Lager gefragt wird. «Wir haben schon so oft darüber gesprochen», erklärt Alechina. Schliesslich erzählen sie doch. Vom scheusslichen Essen, der Kälte, den Erniedrigungen und ihrem Hungerstreik. «Die Gefängnisdirektion scheut nicht zurück vor Gewalt», sagt Alechina. Tolokonnikowa: «Es ist pure Sklaverei. Eine gesetzlose Zone.» Eine Frau sei gestorben, nachdem sie 16 Stunden hintereinander zur Arbeit gezwungen worden war, obwohl man wusste, dass sie an einer Leberzirrhose litt. «Anschliessend mussten wir alle eine Schweigeerklärung unterzeichnen», erzählt Tolokonnikowa.
Politik statt Punk, reden statt provozieren heisst die Devise.
Einfach war es nicht, aber die Zeit in der Strafanstalt hat die Pussy-Riot-Frauen nur noch mehr in ihren Überzeugungen gestärkt. Sie sind politischer geworden und wollen sich nun aktiv für die Situation russischer Häftlinge einsetzen. Die beiden wollen eine eigene Menschenrechtsorganisation gründen: «Zona Prava» (Rechtszone). «Wir sehen uns momentan verschiedene Gefängnissysteme an und vertiefen uns in die Materie», sagt Alechina. Unter anderem zu diesem Zweck reisen sie nun um die Welt. Vor Amsterdam waren sie in Singapur und Paris, danach geht es weiter nach Dublin, Stockholm und New York, wo sie mit Madonna auftreten werden. «Nicht musikalisch», sagt Alechina. «Wir haben etwas zu sagen.»
Politik statt Punk, reden statt provozieren heisst die Devise. Bei der Pressekonferenz in Amsterdam ist es nicht zu übersehen. In schwarzer Stickjacke mit weissem Kragen sitzen Tolokonnikowa und Alechina auf der Bühne, eingepfercht zwischen einem Vertreter von Human Rights Watch an der einen, und einem von Amnesty International auf der anderen Seite.
Ihr neuer Stil kommt nicht überall gut an. «Wo ist der Punk geblieben?» , fragt eine niederländische Reporterin in leicht empörtem Ton. Der Westen mochte ihre Punkattitüde, meint auch eine französische Journalistin. Der anarchistische Stil erinnerte an Riot Grrrl, die feministische Punk-Rock-Szene im Amerika der 1990er-Jahre. «Es funktioniert. Ist es dann nicht besser, auf dieser Schiene zu bleiben?» Alechina schüttelt den Kopf. «Wir haben viele Gesichter.»
Kritik an Putin
Eine andere Taktik also, mit derselben Botschaft: Putin ist schlecht für Russland. Während ihrer Vortragstournee rufen die jungen Frauen internationale Politiker auf, sich in Sotschi öffentlich kritisch zu äussern. «Wir brauchen politischen Druck von aussen.» Denn seit Putin wieder an der Macht ist, gehe es abwärts.
Vor allem die Situation der Minderheiten habe sich in den letzten Jahren drastisch verschlechtert, sagt auch Human-Rights-Watch-Expertin Rachel Denber. «Putin stimuliert Gegensätze und sucht nach Feindbildern, um so ein nationalistisches Gefühl der Einheit zu kreieren. » Homosexuelle, Menschenrechtler und andere «lästige Personen» haben das Nachsehen.
Der umstrittene Auftritt im Februar 2012. (Bild: Keystone/Sergey Ponomarev)
Die Geschichte von Pussy Riot ist eng verbunden mit der russischen Politik. Die Band wurde geboren, als Putin sich im Jahr 2011 zum dritten Mal als Präsidentschaftskandidat aufstellen liess. «Wir fühlten uns übergangen und machtlos», sagt Tolokonnikowa. «Wir mussten etwas tun. »
Die provozierende Macht der Kunst
Die beiden verkehrten zu diesem Zeitpunkt schon längere Zeit in aktivistischen Kreisen. Der Dokumentarfilm «A Punk Prayer» zeigt Bilder von Alechina, wie sie als Mädchen mit Spanntuch für den Erhalt eines Naturgebietes kämpft, in dem sie gerne wandern ging. Tolokonnikowa erzählt von ihrem ersten Museumsbesuch. Damals erkannte sie die kritische, provozierende Macht der Kunst, sagt sie. «Ich wusste gleich: Das ist es, was ich machen möchte.»
Während ihres Studiums in Moskau schloss Tolokonnikowa sich der aktivistischen Künstlergruppe Woina (Krieg) an, die mit provozierenden Aktionen für Aufsehen sorgte. In «A Punk Prayer» sieht man die Aktivistinnen während einer öffentlichen Orgie: fünf kopulierende Paare in einem Biologiemuseum. Mit dabei sind Tolokonnikowa und ihr Mann Pyotr Meslinow. Tolokonnikowa ist zu diesem Zeitpunkt 19 Jahre alt – und im achten Monat schwanger.
«Neue Situationen verlangen neue Methoden. Wir wollen eine Botschaft vermitteln», meint Tolokonnikowa.
Die Frauen waren schon einiges gewohnt und sich der Risiken durchaus bewusst, als sie im Februar 2012 die Kirche stürmten. Ihr Podium war alles andere als zufällig gewählt. Die Christ-Erlöser-Kathedrale wurde im Jahr 1931 unter Stalin dem Boden gleich gemacht und nach dem Fall der Sowjetunion im Jahr 2000 originalgetreu in ihrer alten Pracht wiederaufgebaut. Der Glaube kehrte zurück nach Russland und wurde zu einer der wichtigsten Säulen von Putins Macht.
Anders als viele zu glauben scheinen, richtete ihr «Punk-Gebet» sich keineswegs blindlings gegen die Religion. Es war viel mehr ein Angriff auf die innige Beziehung zwischen Kirche und Staat. Eine zielgerichtete, gut durchdachte Aktion. Genau wie ihre jetzige Tournee, scheint es.
«Nein, wir haben nicht abgeschlossen mit Provokation und Punk», sagt Alechina später am Abend. «Aber neue Situationen verlangen neue Methoden. Wir wollen eine Botschaft vermitteln», meint Tolokonnikowa. «Wir haben Amnestie bekommen, aber Tausende andere sitzen immer noch im Straflager. Sie können nicht protestieren, deshalb müssen wir es für sie tun.»
Und Alechina erklärt: «Wir sind nicht zum Spass hier.» Die Teenage-Fans lassen sie schliesslich enttäuscht im Regen stehen. «Vielleicht ein andermal! », ruft Alechina ihnen zum Abschied aufmunternd zu und verschwindet dann mit zügigen Schritten in die Nacht.