Auf dem Land hängen immer und überall Wahlplakate. Das nervt. Und animiert zu einer Kunstaktion, welche die Politiker nicht unbedingt gut aussehen lässt.
Gestritten wird in der Politik viel; über neue Vorschläge, Vorstösse und Vorlagen. Fast noch umstrittener scheint aber das Auftreten der Politiker zu sein, ihre Werbung. Gerade in einem Kanton wie dem Baselbiet, wo seit Monaten ein Wahlkampf dem nächsten folgt.
Da gibt es einerseits die Parteien, die überzeugt sind, dass sie ihre Kandidaten mit möglichst vielen Plakaten möglichst bekannt machen müssen, damit diese wiederum möglichst viele Stimmen holen. Der lebendige Beweis für diese Theorie ist Isaac Reber. Der Grüne ist im Frühjahr 2011 sensationell in die Regierung gewählt worden, nachdem er den Kanton mit seinem Konterfei in tausendfacher Ausführung zugedeckt hatte.
Angst vor Tinnitus im Auge
Dann gibt es aber auch noch die Sicht der einfachen Bürger, die sich darüber ärgern, dass sie sich nach dem flächendeckenden Reber und den nicht minder penetranten Nationalrats-, Ständerats- und Gemeinderatskandidaten nun in diesem Jahr immer und überall all die Webers (SVP), Nussbaumers (SP), Laubers (CVP) und Jourdans (EVP) anschauen müssen. Ihr Ärger drückt sich unter anderem in den Leserkommentaren aus, die wir erhalten. «Ich krieg wohl bald einen Tinnitus im Auge», schrieb uns einer.
Und dann gibt es auch noch Bianca Ott (28), Studentin an der Hochschule für Gestaltung und Kunst (HGK FHNW) in Basel. Zuerst ärgerte sie sich zwar auch über die ewig gleichen Wahlplakate. Doch dann überlegte sie, ob sich nicht vielleicht sogar daraus künstlerisch noch was machen liesse.
Das Resultat sind fünf verschiedene Wahlplakate mit ein und derselben «Politikerin»: Bianca Ott selbst. Einmal als SP-Kandidatin, mit rotem Top und dick aufgetragenem rotem Lippenstift, die Frisur wohlkalkuliert-wild, typisch SP eben.
Ein anderes Mal als SVP-Politikerin – eine Sauberfrau, mit einem Kleid wie eine Uniform, möglichst gestreng, möglichst weit zugeknöpft. Verstärkt wird dieser Eindruck noch durch die Kameraperspektive von unten. Ein Kniff, den schon Leni Riefenstahl beherrschte, die deutsche Filmerin und Regisseurin, die wegen ihrer Rolle im Dritten Reich bis heute stark umstritten ist.
Dann Ott zum dritten, als Grüne, ganz natürlich, trotz gefärbtem Haupthaar, mit ausufernder Frisur und etwas weniger Rot auf den Lippen als die SP-Frau Ott, dafür aber mit etwas mehr Ethno-Kette um den Hals.
Weiter gibt es Ott auch noch traditionell bürgerlich. Einmal klassisch-busy in der FDP-Ausführung und einmal eher klassisch-bieder in der CVP-Uniform, mit wenigstens einer kleinen Extravaganz: einem leger gebundenen Foulard. So viel Frechheit muss eben schon sein im heute ach so aufgeregten Politbetrieb, selbst bei einer Wertepartei aus dem vorletzten Jahrhundert.
Das sind insgesamt fünfmal Ott, fünfmal ganz unterschiedlich, als typische Vertreterin der fünf grössten Parteien. Sehr untypisch nach politischen Massstäben ist dagegen die zurückhaltende Verbreitung der Motive. Die Plakate sind Einzelanfertigungen, die nur an den Orten des Fotoshootings aufgestellt wurden – im aargauischen Surbtal im Rahmen einer Aktion, bei der im vergangenen Jahr eine ganze Reihe von Künstlern und Kunststudenten mitmachten.
Bloss nicht anecken!
Die Reaktionen waren positiv. «Man sagte mir, meine Erscheinung passe immer zum jeweiligen Parteilogo», sagt Ott.
Das ist interessant und doch kann man sich fragen, was ihr Werk soll, was es uns sagen will – wie immer bei Kunst. Zumindest in diesem Fall ist die Antwort ganz einfach: Otts Aktion zeigt, dass die Politiker sich nicht als Persönlichkeiten in Szene setzen, sondern als Klischee. Unwichtig sind offenbar auch ihre Botschaften. Otts Plakate wurden im Surbtal jedenfalls für echt gehalten – trotz der kuriosen Slogans wie «Kunst für alle statt für jedermann».
Nun kann man die Uniformität der Parteivertreter und die Inhaltsleere in den Wahlkämpfen beklagen. Man kann dafür aber auch Verständnis zeigen – so wie Ott. «Die Kandidaten müssen vor allem den Durchschnittswählern im eher etwas gesetzteren Alter gefallen. Dabei gilt: Bloss keine Ecken und Kanten zeigen! Bloss niemanden vor den Kopf stossen!»
Etwas gar rot die Lippen, etwas allzu leger aufgeknöpft die Bluse
In diesem Punkt ist Ott ebenfalls anders als die Politiker. Sie irritiert auch gerne mal ein bisschen. Darum würde sie gerne eine weitere Plakataktion durchführen und die Klischees diesmal auf die Spitze treiben, sie brechen. Mit etwas zu viel Rot auf den Lippen zum Beispiel. Oder mit einer etwas allzu locker aufgeknöpften Bluse.
Vielleicht würde das ja auch die richtigen Politiker animieren, das Volk nicht länger mit den ewig gleichen Plakaten zu langweilen. Oder zu quälen, je nach Sichtweise.
Die Baselbieter Behörden wollen sich aber nicht darauf verlassen. Darum arbeiten sie an neuen Richtlinien, welche die wilde Plakatiererei zeitlich eindämmen soll – auf die letzten vier bis acht Wochen vor der Wahl. Ein entsprechendes Gesetz hat der Landrat im Herbst 2011 mit der Annahme der Motion «Stopp der Plakatflut» eingefordert. Offiziell vorgestellt wird der Gesetzesentwurf in den nächsten Wochen.
Zumindest in Einzelfällen löst sich das ganze Problem auch von selbst: Anton Lauber (CVP), aktueller Kandidat der Baselbieter Bürgerlichen, lässt zahllose Plakate im Depot liegen, weil er darauf mit zugekniffenen Augen und seltsam abgespreizten Armen abgebildet ist. So viel Selbsteinsicht ist allerdings selten bei einem Politiker.
Neue Ideen für die Politik. Diese langweiligen Wahlplakate immer und überall, die nerven! Regelmässig erhalten wir Leserkommentare mit dieser Klage. Wir reagierten vor Kurzem mit einem Aufruf an unsere Leserinnen und Leser: Bastelt doch selbst etwas interessantere Plakate und schickt uns die ein. «Coole Idee», schrieb uns einer zurück. Die Realisierung sei aber schon etwas aufwendig. Dennoch erhielten wir die eine oder andere wunderbare Vorlage, die wir in den kommenden Tagen online publizieren werden. Kurz nach unserem Aufruf wurden wir zudem auf die interessante Kunstaktion «Dea Artis» von Bianca Ott aufmerksam gemacht. Die Arbeit der Studentin an der Hochschule für Gestaltung und Kunst in Basel wurde im vergangenen Sommer im aargauischen Surbtal zusammen mit den Werken von 18 anderen Studierenden und vier Künstlern im öffentlichen Raum präsentiert.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 17.05.13