Sie mache alles richtig, sagt die FDP. Jetzt müssten es nur noch die Leute merken.
Schuld sind immer die anderen. FDP-Präsident Fulvio Pelli war nur der Erste in einer langen Reihe von freisinnigen Exponenten, die für die Misere alle möglichen Gründe suchten – nur nicht bei sich selber. Als Pelli am Wahlsonntag zwischen der persönlichen Niederlage und der knappen Wiederwahl schwebte, da beklagte er sich im Fernsehen über die Verleumdungskampagne, die im Tessin gegen seine Person losgetreten worden sei. Der gleiche Pelli, in der Zwischenzeit wiedergewählt, erklärte sich tags darauf die Niederlage seiner Partei mit dem Wähler, der «falsch gewählt» habe.
Das Konzept «schuld sind die anderen» zieht sich wie ein roter Faden durch die Äusserungen der FDP-Führung in den Tagen nach der Wahl. Das Problem der Partei, sagt etwa Fraktionschefin Gabi Huber, sei eines der Wahrnehmung. «Meine Fraktion hat einen super Job gemacht in dieser Legislatur. Wir waren die KMU-freundlichste Partei, die gesellschafts- und die wirtschaftsfreundlichste Kraft und in den letzten neun von zehn Jahren auch die wirksamste Kraft in Parlament und Kommissionen, die erfolgreich Mehrheiten schaffte. Diese Fakten kommen bei den Wählerinnen und Wählern nicht an. Hier müssen wir noch zulegen.»
Schuld daran sind für Huber nicht zuletzt auch die Medien, die lieber sorgsam gepflegte Vorurteile transportierten als harte Fakten. «Wir wurden vier Jahre lang totgeschrieben. Totgeredet. Keine andere Partei muss mit so vielen Vorurteilen kämpfen. Wenn in einer Bank etwas geschieht, sind in der öffentlichen Wahrnehmung sofort wir schuld!» An der Wahrnehmung in der Öffentlichkeit, an der müsse man arbeiten. Das trifft sich mit der Analyse von Philipp Müller, einem führenden Nationalrat in der Fraktion aus dem Aargau. Von den Banken habe man sich emanzipiert in der letzten Legislatur. Von der Pharma. Von den grossen Lobbys. «Und niemand merkt es!»
Gelöst, beinahe euphorisch
Das mit der falschen Wahrnehmung gilt für die FDP-Politiker auch in Bezug auf den Wahlsonntag. Die Öffentlichkeit hat andere Wahlen erlebt als die FDP. Es ist augenfällig, wie gelöst sich die Freisinnigen in diesen Tagen geben. Ja, euphorisch fast. Müller beispielsweise sagt: «Wir sind viel weniger brutal eingebrochen, als uns das vorausgesagt wurde. Unsere Ausgangslage ist gut.» Die BDP werde nach der Bundesratswahl wieder auf ihre zahlenmässig kleine Bedeutung zurückgestutzt, die CVP sei viel heterogener als die FDP, und die GLP werde noch auf die Welt kommen im Parlament. «Parteipräsident Bäumle wird alle Hände voll zu tun haben, seine Mitglieder auf eine Linie zu bringen», sagt Müller.
Und die SVP? Ja, die SVP. Die ist ein speziell liebes Thema für die FDP-Parlamentarier. Für die Volkspartei lief es bei den Wahlen umgekehrt – sie verlor, als alle an einen Sieg glaubten. Daran hat die Partei noch lange zu beissen. Kurt Fluri, FDP-Nationalrat aus dem Kanton Solothurn, sagt nüchtern: «Wir sind das Verlieren gewöhnt. Für die SVP ist es ein Schock.»So mischen sich im Freisinn des Jahrgangs 2011 Hoffnung mit etwas Schadenfreude, verhaltener Optimismus und die Erleichterung, dass alles nicht so schlimm gekommen ist, wie man vorher befürchten musste. Man mache das doch alles nicht so schlecht, und wenn es etwas zu verbessern gäbe, dann höchstens in der Kommunikation.
Positionierung gefordert
Ganz abgesehen vom Umstand, dass Vermittlung solcher Fakten zwischen Bevölkerung und Politik eher für die Zeit vor den Wahlen gedacht wäre, gibt es auch innerhalb der Freisinnigen Partei Stimmen, die nicht einfach so weitermachen wollen wie bisher. Der abtretende Ständerat Rolf Büttiker (SO) beispielsweise. Er fordert, die Partei brauche wieder eine eigenständige Linie. Oder alt Ständerat René Rhinow (BL), der sich gegenüber der TagesWoche lebhaft über die Selbstwahrnehmung seiner Partei enerviert und eine Grundsatzdebatte über die eigene Positionierung fordert (vgl. Text rechts). Es gibt einige solcher Stimmen und alle tönen leicht anders. Es gibt Stimmen, die die FDP zurück auf einen strammen Rechtskurs führen möchten, und es gibt Stimmen, die die Partei gerne ökologischer hätten.
Beispielsweise in Basel-Stadt, wo die kantonale Sektion – als eine der wenigen in der FDP – bei den Wahlen zulegte. Gewohnt heimatverbunden sagt der überraschend deutlich wiedergewählte Nationalrat Peter Malama: «Die nationale FDP muss baslerischer werden.» Wirtschaftspolitik mit sozialer Verantwortung verbinden, ökologische und ökonomische Konzepte verbinden – und damit das tun, was die Grünliberalen so erfolgreich vormachen. Auch Parteipräsident Daniel Stolz sieht die Zukunft der FDP in der Ökologie.
Knackpunkt Bundesrat
Einen ersten Hinweis, in welche Richtung sich die FDP künftig positionieren will, werden die Bundesratswahlen vom Dezember liefern. Verschiedene Exponenten – darunter Malama, Fluri und Büttiker – haben sich heute schon dafür ausgesprochen, der SVP erst bei einer nächsten Vakanz einen Sitz zu gewähren und Eveline Widmer-Schlumpf wiederzuwählen.
Für die Parteispitze kommt das nicht infrage. Sie hat sich vor den Wahlen deutlich für die arithmetische Konkordanz ausgesprochen. Zwei Sitze für die drei grössten Parteien, einer für die viertgrösste. Das würde die Abwahl von Eveline Widmer-Schlumpf und eine Annäherung an die SVP bedeuten. In den kommenden Fraktionssitzungen sollen nun auch die neuen Nationalräte darauf eingeschworen werden. Denn eines sei klar, sagt Philipp Müller: «Ändern wir hier die Haltung, würden wir wortbrüchig. Das würde die Bevölkerung nicht verstehen.»
Die letzte Hoffnung
Ebenso regelmässig wie FDP-Parlamentarier über die fehlende Wahrnehmung in der Bevölkerung lamentieren, kommen sie bei einem Namen ins Schwärmen. Karin Keller-Sutter (SG) ist, so scheint es, die letzte Hoffnung des Freisinns. Unbeschadet von einer Kampagne der «Weltwoche» zog sie mit einem gloriosen Resultat in den Ständerat ein. Sie ist sprachgewandt, eloquent und positioniert sich mit Vorliebe als Hardlinerin im Kampf gegen Hooligans. Bei der Bundesratswahl vor einem Jahr unterlag sie Johann Schneider-Ammann. Viele FDPler möchten Keller-Sutter nun als Nachfolgerin von Fulvio Pelli, der im Frühling zurücktritt. Sie hat aber bereits abgesagt. Im Dezember wird eine Findungskommission mit der Suche nach einem neuen Präsidenten beginnen. Gesucht wird: ein mittleres Wunder.
Artikelgeschichte
Erschienen in der gedruckten TagesWoche vom 04/11/11