Niedergang der EU ängstigt Bundesbern

Die Finanz- und Bankenkrise der EU bedroht ganz Europa. Das erschreckt auch den Bundesrat in Bern. Er sucht nach Gegenmitteln – bis hin zur Armee. Und empört damit Linke und Gewerkschafter.

A Greek riot police officer tries to avoid flames from molotov cocktails thrown by a protester during an anti-austerity rally in Athens October 18, 2012. Greek police fired teargas to disperse anti-austerity protesters hurling stones and petrol bombs on t (Bild: John Kolesidis)

Die Finanz- und Bankenkrise der EU bedroht ganz Europa. Das erschreckt auch den Bundesrat in Bern. Er sucht nach Gegenmitteln – bis hin zur Armee. Und empört damit Linke und Gewerkschafter.

Die Entwicklungen in der EU bereiteten ihm «grosse Sorgen». Das hat der Schweizer Verteidigungsminister Bundesrat Ueli Maurer (SVP) in letzter Zeit verschiedentlich betont – auch Anfang September wieder vor Nachrichtenoffizieren in Luzern. Der Grund: Jene «Risikokarte» die Maurers Armeechef Korpskommandant André Blattmann schon im Frühling 2010 als Grundlage für Stabsübungen vorlegte, ist aktueller denn je. Blattmann hatte damals etwa Griechenland, Italien, Portugal und  Spanien als potentielle Krisenherde geortet. Das löste auch hierzulande Proteste seitens der EU-Anhänger aus. Doch inzwischen sind die erwähnten EU- Länder effektiv finanziell und wirtschaftlich bedrohlich instabil geworden.

«Ende des Euro, Zerfall der EU»

In der neusten ASMZ (Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift) vom 10. Oktober  geht nun der bekannte Zürcher Sicherheitsexperte Professor Albert A. Stahel mit einem «Szenario als Denkmodell der Sicherheitspolitik» noch weiter: «Das Ergebnis des Merkel-Diktats, das beinahe einer Erpressung gleicht, ist für die Rezessionen in Südeuropa mitverantwortlich», stellt er fest. Und die Folgen des aus Berlin orchestrierten Sparzwangs seien «absehbar». In Griechenland würden schon jetzt «Staatsangestellte scharenweise entlassen».

Ähnliche Entwicklungen stünden «Spanien und Portugal möglicherweise auch Italien bevor», schreibt der Professor. Mit fatalen Folgen: «Populistische Parteien werden in diesen Staaten die Macht übernehmen und gegenüber dem Diktat von Berlin Front machen.» In Südeuropa müsse «mittel- bis langfristig auch mit bewaffneten Revolutionen gerechnet werden, die wiederum Migrationsströme Richtung Mitteleuropa auslösen dürften». Mehr noch: «Eine solche Entwicklung würde nicht nur das Ende des Euro bedeuten, sondern könnte auch zum Zerfall der EU und der Zunahme der Organisierten Kriminalität in Europa führen.»

«Extremes Szenario» fordert Armee

Was Wunder fragt sich Wehrminister Maurer da, wie lange es wohl noch möglich sein werde, die Krise in Südeuropa mit Geld einzudämmen. Und seine Generäle haben in ihrer grossen Stabsübung «Stabilo Due» vom 6. Bis am 21. September soeben schon mal das Szenario «Unruhen und bürgerkriegsähnliche Zustände in Nachbarländern» durchgespielt. Die Übungsanlage erregte über die Landesgrenzen hinaus Aufsehen.

Maurer selber schliesst nicht aus, «dass wir in den nächsten Jahren die Armee brauchen». Eine umfassende Studie seiner «Milizkommission» (PDF), die am 20. August veröffentlicht worden ist, zeigt indes, dass auch Maurers «beste Armee der Welt (für die Schweiz)» gegen eine sich in Richtung Gewalt verschärfende Euro-Krise wenig ausrichten könnte. Das 72 Seiten starke Papier, das Kosten und Nutzen der Schweizer Armee auf allen Gebieten auslotet, geht in einem Kapitel «Gewalttätiger Extremismus» von drei «Referenzbeispielen» aus – die allerdings «nur mit Vorbehalt» auf die Schweiz übertragen werden könnten: Die Unruhen in London 2011, die Unruhen in Paris 2005 und der Konflikt im Baskenland.

Das Gremium, dem hohe Militärs und Wirtschaftskapitäne vom früheren obersten Armeechef Korpskommandant Arthur Liener bis zu Swiss-Life-VR-Präsident Rolf Dörig angehören, hält fest: «Legt man ein extremes Szenario mit grossflächigen Demonstrationen und Anschlägen mit bis zu einigen tausend Todesopfern und einer Überforderung der zivilen Ordnungskräfte über Wochen und Monate zugrunde, so würde ein Armeeeinsatz unausweichlich.»

Ausbauschritt bei der Militärpolizei

Dabei müssten Armee-Einheiten vorab «kritische Infrastrukturen, Objekte, Transversalen und Knotenpunkte schützen». Sie könnten zivile Sicherheitsdispositive verstärken, Belastungsspitzen der Polizei ausgleichen und deren Durchhaltefähigkeit sicherstellen. Kurzum: Die Armee müsste in einem solchen Fall mithelfen, «das staatliche Gewaltmonopol aufrechtzuerhalten und/oder wieder herzustellen».

Armeeeinsätze wie jeweils am WEF zur Unterstützung der zivilen Polizei zeigen dabei neue Muster: Die Truppe vermeidet so weit wie möglich den direkten «Kundenkontakt». Bewaffnet gegen Demonstranten wird sie schon gar nicht vorgeschickt. Sie bleibt möglichst im Hintergrund und unterstützt die Polizei logistisch – höchstens noch bei der Personenkontrolle.

Wo das nicht ausreicht, sollen künftig vermehrt speziell ausgebildete Militärpolizisten eingreifen. Gemäss einem Bericht des «Sonntag» will die Armee vier Bataillone Militärpolizei von je 400 Mann Stärke neu aufbauen. Den Kern der neuen Einheiten sollen 545 Berufsleute bilden. Diese Spezialbataillone werden vorab zum Schutz der Flughäfen und der Bundesstadt zum Einsatz kommen. Sie ersetzen damit die im Zuge chaotischer Armeereformen kurzerhand aufgelösten «Alarmformationen» der Hauptstadt- und Flughafenregimenter.     

Böse Erinnerungen an 1932 – und Proteste

Die neusten Krisen-Szenarien, Armee–Übungen und Militärpolizei-Pläne wecken vorab bei Linken und Gewerkschaftern böse Erinnerungen und harsche Proteste. «Armee gegen das Volk», titelte am letzten Freitag die Unia-Zeitung «work» auf ihrer Frontseite: «Damit droht SVP-Militärchef Ueli Maurer.» Das Gewerkschaftsblatt erinnerte daran, dass am kommenden 9. November vor genau 80 Jahren Schweizer Armeeeinheiten in Genf gegen Demonstrierende vorgingen. Sie erschossen an diesem 9. November 1932 insgesamt 13 Unbewaffnete und verletzten 65 weitere Personen. «Nie wieder!» warnt work. Und Unia-Co-Präsident Andreas Rieger fordert: «Es darf nicht sein, dass Genf 1932 sich wiederholt.»

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