In seinem Buch «Vom Verschwinden aus Beizen und Bars» beschreibt der ehemalige Werber und Kolumnist Robert Stalder Begegnungen in Beizen. Nur eine fehlt: die mit dem Autor selber. Die TagesWoche hat sie nachgeholt.
Er sitzt an einem Tisch am Fenster des «Fumare» und schaut die Leute auf der Strasse an. Vor ihm steht ein Kaffee, daneben liegt ein Päckli Marlboro. Der Aschenbecher ist leer, Robert Stalder ist erst gekommen. Er schläft gern aus, schliesslich sei er pensioniert, sagte der 72-Jährige ein paar Tage vor dem Treffen am Telefon. Was hier um 11 Uhr am Morgen bei Kaffee und Zigarette passiert, ist Thema seines Buches: Menschen begegnen sich in Beizen. Sie verlieben sich, trennen sich, streiten, saufen, schweigen – oder reden einfach miteinander. Die Geschichten sind alle erfunden, sagt Robert Stalder. Dennoch: Ohne das wirkliche Leben hätte er sie niemals so schreiben können. Ohne den eigenen Aufenthalt in Beizen. Das Zuhören, Lauschen, Beobachten.
Das erste Kapitel handelt von einem Mann, der seine Freundin wegen einer anderen verlassen will, es sich nach einem gemeinsamen Abend aber anders überlegt. Es war auch die erste Geschichte, die der ehemalige Basler Werber und Kolumnist vor anderthalb Jahren zu Papier brachte, einfach so, weil er Lust dazu hatte. Er schrieb weiter, auf Sets in Beizen, auf einen Block, immer von Hand. Irgendwann hatte er so viele Kapitel, dass es für ein Buch reichte. Jeder, der selber in Beizen verkehrt, kann sich in mindestens einer Figur wiedererkennen. Stalder beteuert aber: «Alles erfunden.» Zusammengetragen aus Wortfetzen, Gesten, Mimiken, Gesprächen, die er jahrzehntelang beobachtet und mitgehört hat. Stets als Stiller, als Voyeur.
Die Beizenkultur lebt!
«Ich spreche nie mit Fremden in Beizen», sagt Stalder. «Ich setze mich zu ihnen an den Tisch und höre ihnen zu. Aber ich rede kaum mit ihnen.» Jahrzehntelang gehörte er zum harten Kern des «Kunsthalle»-Stammtischs, wo es kaum je einen Fremden hinverschlug. Alles bekannte Gesichter, die in Basel aus irgendeinem Grund etwas zu sagen haben. Um diese Leute geht es nicht im Buch. Es geht ums Vreni und den Päuli, die nette Serviertochter und den merkwürdigen Gast. Und es geht um eine Kultur, die immer wieder totgesagt wird, seit dem Rauchverbot sowieso. Stalder sieht das anders. «Die Beizenkultur lebt, Sie sehen ja, die Beizen sind voll – es gibt einfach zu viele davon.» Er mag recht haben, vielleicht lebt sie tatsächlich noch, diese Beizenkultur. Aber sie hat sich verändert. «Nein, die Menschen reden seit jeher über dieselben Themen am Stammtisch, über Fussball, Politik, über das, was sie in der Zeitung gelesen haben», sagt er.
Ein Abschnitt lautet: «Er ging ohne Abschiedsworte. Er stand auf, hatte Tränen in den Augen, schüttelte den Kopf und ging zur Tür, als hätte er genug von allem, von allen und sogar von sich.» Eine Interpretationsmöglichkeit: Stalder hält es manchmal für Zeitverschwendung, zu lange in einer Beiz zu sitzen und zu viel zu trinken. Stimmt nicht. «Es ist doch egal, wie man einen Abend verbringt», sagt er. Wobei er selber in letzter Zeit kaum mehr unterwegs sei am Abend, eher am Morgen, zum Zeitungslesen in einer Beiz im Kleinbasel, wo er lebt. Aber am Abend? «Nur, wenn ich mit jemandem abgemacht habe.» Das sind seine Reisen, denn die richtigen, die grossen Reisen in ferne Länder, die mag er nicht. In der Kolumne, die er jahrelang in der BaZ hatte, schrieb er einst, Reisen könne er nicht. Jetzt sagt er: «Reisen findet im Kopf statt, eigentlich in Büchern.» Mag sein, dass der Satz als Werbung für sein Buch gedacht war. Und wenn nicht: Nehmen Sie ihn als solche.
- Robert Stalder liest am Dienstag, 30. Oktober, um 19.30 Uhr im «Kleinen Literaturhaus» in Matthyas Jennys Buchhandlung. Bachlettenstr. 7, Basel. Reservation: Kleines Literaturhaus
- «Vom Verschwinden aus Beizen und Bars» ist im Reinhardt Verlag erschienen und im Buchhandel erhältlich.