Novartis stoppt umstrittenes Grossprojekt am Zugersee

Novartis wollte an reizender Lage am Zugersee ein 100-Millionen-Projekt realisieren. Rechtlich war das Vorhaben umstritten.

Landwirtschaftszone in historisch schützenswertem Gebiet: Am Zugersee wollte Novartis bauen. Jetzt ändert der Konzern seine Pläne. (Bild: Carlo Schuler)

Novartis wollte an reizender Lage am Zugersee ein 100-Millionen-Projekt realisieren. Rechtlich war das Vorhaben umstritten.

Am Westufer des Zugersees, unweit der idyllischen Halbinsel Chiemen, wollte der Novartiskonzern für rund 100 Millionen Franken ein Ausbildungszentrum für seine Kaderleute errichten. Das vom Architekten Peter Zumthor entworfene Projekt sah zwölf auf Stelzen stehende Gebäude vor. Im November 2011 in der Gemeinde Risch in einer Volksabstimmung eine entsprechende Zonenplanänderung und der Bebauungsplan genehmigt. Privatpersonen wehrten sich mit Beschwerden gegen die Umzonung des Geländes und den Bebauungsplan.

Überraschende Kehrtwende

Vor wenigen Tagen machte Novartis völlig unerwartet publik, dass dieses Projekt nicht mehr weiter verfolgt werde. Novartis-Mediensprecherin Isabel Guerra teilt auf Anfrage mit, dass man im Oktober erstmals genauere Kostenschätzungen in Bezug das Bauprojekt erhalten habe. «Diese waren wesentlich höher, als wir angenommen hatten.»

Die Kehrtwende und ihre Begründung überraschen. Noch im März dieses Jahres erklärte eine Novartissprecherin: «Die Geschäftsleitung und der Verwaltungsrat unterstützen dieses Projekt und haben das Vorhaben beurteilt und gutgeheissen.“ Novartis will somit auch nicht mehr das erstinstanzliche Urteil des Zuger Regierungsrates abwarten, welches in etwas zwei bis drei Monaten vorgelegen hätte. Erst noch am 27. November fand eine Ortsbegehung statt, an der auch die Vertreter von Novartis teilnahmen. In einer Mitteilung bedauert die Zuger Baudirektion den Entscheid von Novartis.

Bauprojekt in einem Schutzgebiet

Gemäss Novartis werden nun alternative, kostengünstigere Projekte evaluiert, die näher am Hauptsitz in Basel liegen. Dies entbehrt nicht einer pikanten Note. Das Gut Aabach befindet sich nämlich innerhalb des Objektes «Zugersee» des Bundesinventars der Landschaften und Naturdenkmäler von nationaler Bedeutung (BLN). Gemäss Lehre und Rechtsprechung gehört zur grösstmöglichen Schonung eines derartigen Objekts, dass mögliche alternative Standorte geprüft werden. Gegner des Projektes hatten die Firma Novartis in der Vergangenheit denn auch aufgefordert, nach einem Alternativstandort Ausschau zu halten.

Gemäss Darstellung der Novartis hat Daniel Vasella das Kaufrecht am nun frei werdenden Terrain. Der zurückgetretene Verwaltungsratpräsident von Novartis besitzt in unmittelbarer Nähe ein privates Anwesen. Ob er das Kaufrecht ausüben wird, steht gemäss Novartis noch nicht fest.

Ein umstrittener Standort

Klar ist: Wird ein solches Terrain umgezont, so erfährt es in finanzieller Hinsicht eine massive Aufwertung. Interessanterweise wurde dieser Aspekt in der Öffentlichkeit bisher kaum gross diskutiert. Rechtlich stellte sich von Anfang an die Frage, ob es legitim sei, an diesem Standort ein derartiges Projekt zu verwirklichen. Das Grundstück Aabach liegt nämlich in der Landwirtschaftszone, zudem sind grosse Teile überlagert von einer Seeuferschutzzone. Im Zuger Richtplan wird das Gut Aabach unter den Zonen für «historisch wertvolle Gebäude und Anlagen» aufgeführt.

Der Zuger Regierungsrat stellte sich im Vorfeld der Rischer Abstimmung auf den Standpunkt, dass in diesen speziellen Zonen unter Umständen eine Bauzone eingerichtet werden dürfe. Die Gegner des Projektes verwiesen auf den Richtplantext, wonach Bauten in diesen Zonen bloss der Erhaltung und Entwicklung der bestehenden Gebäude und Anlagen dienen dürfen. Die Zone müsse «klein gehalten» werden, was bei einem geplanten oberirdischen Bauvolumen von über 31’000 Kubikmetern sicher nicht mehr der Fall sei.

Ein einziges Haus blieb «schützenswert»

Auch in denkmalpflegerischer Hinsicht ergaben sich Fragen. Im Spätherbst des Jahres 2005 wurde die Villa Aabach und das Chauffeurhaus aus dem Inventar der schützenswerten Denkmäler entlassen. Weil im Kanton Zug noch kein umfassendes Öffentlichkeitsprinzip gilt, können die Protokolle der damaligen Denkmalkommission nicht eingesehen werden. Für das Gut Aabach ergab sich nach diesem Entscheid die groteske Situation, dass als einziges Gebäude bloss noch das Gärtnerhaus im Inventar der schützenswerten Bauten verblieb. Dies, obwohl der Richtplantext explizit fordert, dass in diesen Zonen für «historisch wertvolle Gebäude und Anlagen» die denkmalpflegerischen Anliegen zu berücksichtigen seien.

Umweltverbände im Abseits

In diesem Frühjahr hatte sich eine Kontroverse um die Frage entwickelt, warum nicht auch die Umweltverbände auf dem Gerichtsweg gegen dieses Grossprojekt vorgegangen waren. Die Umweltverbände erklärten, dass bei ihrem Verzicht auf einen Weiterzug der Einsprache das Gutachten der Eidgenössischen Natur- und Heimatschutzkommission (ENHK) eine wichtige Rolle gespielt habe. Dieses war vom Kanton Zug angefordert und im Frühjahr 2011 veröffentlicht worden. Das Gutachten kam zum Schluss, dass das Rischer Projekt die BLN-Bedingungen erfülle. Die Umweltverbände schätzten ihre Erfolgschancen aufgrund dieses Gutachtens als zu gering ein. Von gegnerischer Seite wurde das Gutachten inhaltlich kritisiert; die Alternative Risch bezeichnete die durch die Umweltverbände vorgenommene Beurteilung im vorliegenden Falle als übervorsichtig. Auf einen grundsätzlichen Aspekt machte ein lokaler Umweltvertreter aufmerksam: Der Druck auf das Verbandsbeschwerderecht führe dazu, dass die nationalen Umweltorganisationen dieses Mittel sehr gezielt und nur bei guten Erfolgsaussichten einsetzen würden.

Beim wichtigen Augenschein der ENHK im März 2011 waren unter anderem Vertreter der Novartis und deren Rechtsberater anwesend. Die Umweltverbände erhielten vom Kanton Zug keine Einladung. Grundsätzlich ist es so, dass die Parteien keinen Anspruch auf Teilnahme an der Ortsbesichtigung durch die ENHK haben. Für die Durchführung der Begutachtung sind für die Kommission im Prinzip nämlich bloss die eigentlichen Projektunterlagen unabdingbar. Eine weitere Mitwirkung der Parteien ist nicht nötig und sollte zur Wahrung der Unbefangenheit der ENHK vermieden werden. Wenn nun aber einer Partei die Teilnahme trotzdem erlaubt wird, so müsste aus Gründen der Fairness im Verfahren eigentlich auch die gegnerische Seite eingeladen werden. Dass im Fall Aabach-Risch nur die Rechtsvertreter der Bauherrschaft am Augenschein teilnehmen und ihre rechtlichen Beurteilungen zu den Unterlagen legen konnten, mutet daher seltsam an. Ein schaler Nachgeschmack bleibt also.

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