NSA-Skandal: Der Bundesrat schiebt die Verantwortung ab

Der Bundesrat kümmert sich nicht um den NSA-Skandal. Das Parlament reagiert hilflos.

Mit verstelltem Blick. Verteidigungsminister Ueli Maurer will nichts von der NSA-Affäre wissen. (Bild: Nils Fisch)

Der Bundesrat kümmert sich nicht um den NSA-Skandal. Das Parlament reagiert hilflos.

Es war ein Paradestück strategischer Unfähigkeit. In der Sitzung des Büros des Nationalrats waren vor gut einer Woche zwei Vorschläge für Sonderdebatten deponiert: Die SVP wollte dringend über Europa reden (das möchte sie eigentlich immer) und die SP verlangte eine dringliche Debatte zur Verstrickung des Nachrichtendienstes des Bundes NDB mit den amerikanischen Spionen von der NSA. Die Parteien in der Mitte mochten über gar nichts reden (das möchten sie eigentlich immer) und so schien der Fall klar: Die SP hilft der SVP, die SVP hilft der SP. Gemeinsam hätten sie die beiden Debatten wohl durchbringen können.

Eigentlich wollten sich die beiden Parteien unterstützen. Während der Sitzung wurde aber plötzlich klar, dass Aussenminister Didier Burkhalter (FDP) unabkömmlich im Ausland beschäftigt sei.

Eine EU-Debatte ohne Aussen­minister? Macht doch keinen Sinn, meinte die SP und stimmte gegen die SVP. Damit verkannte die Fraktionsspitze der SP nicht nur das Potenzial einer EU-Debatte just ohne den Aus­senminister (ein EU-Streit ohne richtigen Adressaten ist selbst für die SVP nicht richtig lustig), sondern verspielte sich auch eine Sonderdebatte zur NSA. Verschnupft stimmte die SVP gegen den Wunsch der SP.

Leere Antworten

So mussten sich die linken Parlamentarier mit der unverbindlichen Fragestunde begnügen – und erlitten dabei gleich den nächsten Dämpfer. Die Reihenfolge der zu beantwortenden Fragen bestimmt die Bundeskanzlei: Was am Montag zwischen 14.30 Uhr und 16 Uhr nicht ein Bundesrat direkt im Nationalratssaal beantwortet, wird auf dem Korrespondenzweg erledigt.

Als Nationalratspräsidentin Maya Graf (Grüne) am Montagnachmittag um 16 Uhr die Fragestunde beendete und die Berichterstatter des Geschäfts 09.303 begrüsste (das die wichtige Frage zum Inhalt hat, ob die Autobahnzubringer Emmental und Oberaargau ins Nationalstrassennetz aufgenommen werden sollen), waren die wirklich spannenden Fragen noch nicht gestellt. Weder nahm Simonetta Sommaruga zum Tötungsdrama in Genf Stellung, noch musste Verteidigungsminister Ueli Maurer direkt auf die neusten Berichte zur intensiven Zusammenarbeit zwischen der NSA und seinem NDB reagieren.
«Das haben die extra gemacht», sagten Vertreter der Linken am Tag danach, «Ueli Maurer tut alles, um eine NSA-Debatte zu verhindern.»

Dabei wären die Fragen berechtigt gewesen. Das deutsche Fernsehmagazin «Zoom» und danach die «Schweiz am Sonntag» hatten vor einer Woche publik gemacht, dass es eine schrift­liche Vereinbarung zwischen den ­beiden Geheimdiensten gibt und die NSA anscheinend direkten Zugriff auf die Abhöranlagen in Leuk (VS) und Heimenschwand (BE) hat.

Und so wollten die linken Parlamentarier wissen: Was tut die NSA in der Schweiz? Welche Daten schöpft sie ab? Inwiefern ist der Schweizer Nachrichtendienst dabei behilflich? Warum sollen ausgerechnet jetzt die Kompetenzen des Nachrichtendienstes ausgebaut werden? Und wie gut sind der Schweizer Nachrichtendienst und sein Chef Markus Seiler eigentlich? Eine Frage, die mit den aktuellen Vorwürfen (und nach dem peinlichen ­Datenklau aus der Zentrale des NDB) weiter an Aktualität gewonnen hat.

Offene Fragen

Eine Frage auch, die unbeantwortet bleibt. Regula Rytz, Co-Präsidentin der Grünen, wollte vom Bundesrat wissen, ob Seiler als Chef des NDB noch tragbar sei. Die Regierung ging nicht darauf ein. Und sie wollte auch sonst nichts preisgeben.

Die schriftliche Version der Antworten war – in den Augen der Fragesteller – ernüchternd. «Mit so viel ­heisser Luft könnte man eine Windkraftanlage betreiben», sagt Balthasar Glättli (Grüne, ZH). Der Nationalrat spürt eine gewisse Hilflosigkeit in den Antworten des Bundesrates. So begrüsse die Regierung zwar jede ­öffentliche politische Debatte über die Nachrichtendienste, die Mittel zur Wahrung der Souveränität und die Bedeutung der Grundrechte der Bevölkerung, heisst es in einer Antwort. Das Aber folgt jedoch schon im nächsten Satz: «Eine Orientierung der Öffentlichkeit über die Vorgänge im Zusammenhang mit den mutmasslichen Tätigkeiten der NSA ist erst dann möglich, wenn dem Bundesrat Fakten vorliegen, welche über die von den Medien kolportierten Informationen hinausgehen.»

Im Klartext für Glättli: «Der Bundesrat weiss nichts. Oder er will nichts wissen.»

Abgeschoben

Speziell am Vorgang ist, dass der Gesamtbundesrat die Verantwortung für die Aufdeckung des NSA-Skandals an die Geschäftsprüfungsdele­gation GPDel abschiebt, eine sechs­köpfige Kommission, bestehend aus drei Stände- und drei Nationalräten mit dem Auftrag, die Tätigkeiten der Nachrichtendienste und des Staatsschutzes zu überwachen.

Ständerat Claude Janiak (SP, BL) ist Mitglied der GPDel. Er wird, wie er bereits der «Schweiz am Sonntag» sagte, in der nächsten Sitzung der Kommission beantragen, die Zusammenarbeit zwischen NDB und NSA zu überprüfen.

Ausserdem möchte er noch einmal explizit die Vereinbarung zwischen den beiden Geheimdiensten sehen. Zur Rolle des Bundesrats sagt Janiak: «Erfahrungsgemäss und verständ­licherweise will der ­Gesamtbundesrat nicht zu viel wissen – um nachher nicht verantwortlich gemacht zu ­werden.»

Bundesrat ist verantwortlich

Dabei ist die gesetzliche Grundlage eigentlich klar. Verantwortlich ist der Bundesrat. Und nicht die GPDel. In deren Jahresbericht 2012 steht unter Punkt 4.1.1: «Der Bundesrat und nicht das Parlament trägt letztlich die Verantwortung für die Tätigkeit der Nachrichtendienste.»

Dabei kamen im Rahmen der Tätigkeiten der GPDel auch Unstimmigkeiten ans Tageslicht. Im August 2012 führte die GPDel eine Aussprache mit den Chefs von NDB und MND (Militärischer Nachrichten­dienst), in der es um die Auslandkontakte und die festgestellten Probleme mit dem Genehmigungsverfahren ging.

Schon lange ist es ein offenes Geheimnis, dass fremde Nachrichtendienste unbehelligt auf dem Territorium der Schweiz spionieren. Beim Fall Tinner etwa, als es um Atomschmuggel ging und die Brüder Tinner mit der CIA zusammenarbeiteten, oder bei dem vom ehemaligen NSA-Mitarbeiter Edward Snowden aufgedeckten ­Spionagefall um einen Banker in Genf.

Die lieben Partnerdienste

Auch hier ist es der Bundesrat, der in der Pflicht ist. Und der Bundesrat ­versprach, diese Pflicht auch wahr­zunehmen. Als Folge der Aussprache vom August 2012 erklärte Ueli ­Maurer an einer Sitzung vom 6. November 2012, dass ab 2013 alle Kontakte zu Partnerdiensten dem Bundesrat ­unterbreitet werden, «unabhängig von ­ihrer Intensität und Regelmässigkeit», wie es im Jahresbericht der ­GPDel heisst.

Hat Ueli Maurer sein Versprechen ernst gemeint, müsste er also wissen, inwiefern der Schweizer Nachrichtendienst mit dem NSA gemeinsame ­Sache macht. Aber er will es offensichtlich nicht sagen.

Nur die Linken

Der Druck auf den Verteidigungsminister kommt bislang nur von ­linker Seite. Nationalrat Balthasar Glättli kann das nicht verstehen: «Es geht bei diesem Skandal um unsere Souveränität, um Wirtschaftsspionage – alles Themen, die auch den Bürgerlichen am Herzen liegen sollten.»

Tun sie anscheinend nicht. Und so bleibt es den Linken und Grünen vorbehalten, dem Verteidigungsminister in der nächsten Fragestunde vom Montag die nächste Ladung Fragen zu unterbreiten. Vielleicht wird Ueli Maurer diese dann direkt beantworten. Gut möglich aber auch, dass sich seine Lust auf eine öffentliche Debatte immer noch in Grenzen hält.

Quellen

Die NSA und der NDB – ein Text aus der «Schweiz am Sonntag».

Die Linke forciert eine Geheimdienst-Debatte – ein Text aus der NZZ.

Artikelgeschichte

Erschienen in der Wochenausgabe der TagesWoche vom 20.09.13

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