Verweigerte Einbürgerungen gaben in letzter Zeit vermehrt zu reden. Solche Entscheide sind für die direkt Betroffenen von grosser Tragweite. Und sie haben Auswirkungen auf die gesamte Gesellschaft.
Im letzten Jahrzehnt sind jedes Jahr durchschnittlich 30’000 bis 40’000 Einbürgerungen vorgenommen worden. Über zustande gekommene Einbürgerungen wird in der Regel nicht berichtet, ein Medienthema ist höchstens die Summe der Neubürger: Diese wird fälschlicherweise aber weniger als Indikator für gelungene Integration und eher als Signal für unkritische Vergabe der Staatsbürgerschaft – «Verschleuderung» – verstanden.
Zu abgelehnten Einbürgerungen werden in der Regel keine Statistiken publiziert. Dagegen werden einzelne Verweigerungen von den Medien recht aufmerksam zur Kenntnis genommen. Diskussionsstoff bieten dabei die Ablehnungsbegründungen, sofern diese überhaupt offengelegt werden.
Schwimmen, Handschlag, Trainerhosen
Aus der Region sind in jüngerer Zeit gleich mehrere Fälle bekannt geworden. Erst jetzt jedoch ein Fall aus dem letzten Jahr: Die Basler Bürgergemeinde verweigerte zwei muslimischen Schwestern, 12- und 14-jährig, die Einbürgerung, weil sie weder am Schwimmunterricht noch an Schullagern teilnahmen, was eine Verletzung der Schulpflicht beziehungsweise eine Missachtung der geltenden Rechtsordnung sei. Der in diesem Fall ebenfalls verweigerte Handschlag war für den Basler Entscheid kein Kriterium, weil dies in der Stadt im Gegensatz zum Land nicht Schulpflicht sei.
In der berühmt-berüchtigten Therwiler Handschlag-Affäre ist es erst zu einer Suspendierung des Einbürgerungsverfahrens gekommen. Es wurden aber deutliche Signale gegeben, die im Handschlag eine unverzichtbare Voraussetzung für den roten Pass sehen. Dass SVP-Politiker wie Georges Thüring diese Haltung haben, versteht sich von selbst. Doch auch die CVP-Landrätin Christine Gorrengourt aus Ettingen meint: «Wer einer Frau die Hand nicht reichen will, kann nicht eingebürgert werden.»
Im Weiteren gibt es den bekannten Bubendorfer Fall der Familie Halili. Ihr wurde mit sonderbaren Begründungen die schweizerische Staatsbürgerschaft verweigert: in Trainerhosen im Dorf gewesen, vielleicht sogar einmal nicht gegrüsst haben, ein unabgemeldetes Auto und ähnliches mehr. Die Gesuchsteller haben inzwischen rekurriert, und eine soeben im Landrat eingereichte Motion, die auch vom Freisinnigen Balz Stückelberger mitgetragen wird, soll Einbürgerungswillige davor schützen, dass sie aus «persönlichen Animositäten oder Konflikten» zurückgewiesen werden.
Kritik an Glockengeläut ist erlaubt
Und ein weiterer Fall aus Gipf-Oberfrick: Der Aargauer Regierungsrat suspendierte einen negativen 144:48-Gemeindeentscheid, weil dieser von einem falschen Integrationsverständnis ausgegangen sei. Eine gebürtige Holländerin und ihre beiden Töchter wurden nämlich nicht eingebürgert, weil sich die Mutter kritisch zum Fleischkonsum, zur Nutz- und Zirkustierhaltung und zum morgendlichen Geläut der Kirchenglocken eingestellt zeige.
Der Regierungsbeschluss hält dem nun aber entgegen, dass die Einbürgerungskandidatin damit «kein spezifisches lokales Brauchtum» kritisiere, dass ihr Verhalten nicht übertrieben extremistisch sei, dass sie die Gemeinde nicht in Verruf bringe und dass sie keine grundlegenden Werte der Bundesverfassung verletze.
Roter Pass: ja oder nein? Diese Frage stellt man sich nicht nur auf der bewilligenden, sondern auch auf der beantragenden Seite. Gegen 800’000 in der Schweiz lebende Nichtschweizer würden über die formellen Voraussetzungen für einen Einbürgerungsantrag verfügen, sehen aber von diesem Schritt ab. Warum?
Teils weil sie zu sehr an ihrem Herkunftsland hängen, teils weil sie mit ihrem fremdenpolizeilichen Status im Alltag wenig benachteiligt sind und teils weil das Prozedere sie abschreckt: die zum Teil noch immer blöde Ausfragerei, die völlig unzeitgemässen Wohnsitzfristen, die Gebühren – also Verhältnisse, wie sie im bekannten Film «Die Schweizermacher» bereits vor bald 40 Jahren zu Recht kritisiert worden sind.
Einbürgerungen werden zu einseitig als Geschenk oder Gnadenakt verstanden.
Einbürgerungsanträge mögen in erster Linie aus durchaus legitimen Nützlichkeitsüberlegungen gestellt werden. Sie sind aber auch mit einem Bekenntnis zum Aufnahmeland verbunden. Paradoxerweise können gewisse Erfahrungen aber dazu führen, dass sich Einbürgerungswillige plötzlich fremder fühlen, als sie es sind. Willkürliche Entscheide können zwar durch die Kantonsregierungen korrigiert werden. Dem gehen aber jeweils schmerzliche Erfahrungen voraus, die sehr direkt für die Gesuchstellenden, aber indirekt auch für die Gesellschaft nicht gut sind.
Einbürgerungen werden zu einseitig als Geschenk oder Gnadenakt verstanden. Dabei wird übersehen, dass auch das Aufnahmeland ein Interesse daran haben muss, dass Langzeit-Ausländer Bürger und Bürgerinnen werden wollen. Darum wäre es zu begrüssen, dass, wie dies der Kanton Basel-Stadt bereits tut und Nationalrätin Sibel Arslan es als gesamtschweizerische Praxis fordert, alle Ausländer, welche die gesetzliche Aufenthaltsdauer erfüllen, ausdrücklich auf die Möglichkeit der Einbürgerung hingewiesen werden.
Dieses Interesse hatte in einer früheren Phase der Schweizer Geschichte sogar dazu geführt, dass man Zwangseinbürgerungen ernsthaft ins Auge gefasst hatte. Heute ist man wieder so weit, dass die eidgenössischen Räte mit einigen Einschränkungen (Geburt in der Schweiz, also ein ius soli, und fünf Jahre Schule in der Schweiz) wenigstens Ausländern der dritten Generation eine erleichterte Einbürgerung in Aussicht stellen wollen.
Unanständige Motive
Den Paradefall einer Ablehnung aus höchst fragwürdiger Haltung hat die Gemeinde Einsiedeln im Oktober 2014 geliefert. Sie traf einen 75-jährigen Amerikaner, der seit 39 Jahren in der Gemeinde lebte, ETH-Professor war und in der Schweiz drei Kinder grossgezogen hatte. Das meiste war okay: Leumund, Finanzen, Sprachkenntnisse, Grundkenntnisse zur Schweiz.
Doch da gab es – aber, aber – mangelnde Kenntnisse zum Kanton und zur Gemeinde. Und den Verdacht, der Antragsteller wolle sich vor allem wegen persönlicher Vorteile und Sicherheiten einbürgern lassen, was offenbar ein unanständiges Motiv ist. Von der Möglichkeit eines neuen Antrags wollte der Verschmähte trotz eines kleinen Gebührenrabatts (nur noch 3100 statt 3600 Franken!) keinen Gebrauch mehr machen.
Von Einbürgerungswilligen sollte keine Konformität verlangt werden, die von Alteingesessenen auch nicht erbracht wird.
Dem Einbürgerungsverfahren liegen mehrere Fragwürdigkeiten zugrunde, insbesondere die durch nichts zu rechtfertigenden Unterschiede des Einbürgerungsföderalismus in einer Gesellschaft, die Niederlassungsfreiheit hat.
Die Fragwürdigkeiten können zwar nicht beseitigt werden, sie sollten aber zu einem möglichst anständigen und die Würde der Gesuchsteller nicht verletzenden Verhalten führen. Von Kandidaten sollte keine Konformität verlangt werden, die von Alteingesessenen selber auch nicht erbracht wird. Das gilt für Trainingshosen wie für Nichtgrüssen, für ausgebliebene Erfolge in der Kindererziehung, für Schulabsenzen, für Bekenntnisse zum Tierschutz und für Gegner des Glockengeläuts und so weiter.
Exekutiven entscheiden gerechter
In Basel-Stadt kann man sich sagen, dass die Einbürgerungsarbeit bei den jährlich rund 700 bis 900 fremdenpolizeilichen Einschweizerungen im ordentlichen Verfahren alles in allem gut funktioniert. Aus gesamtgesellschaftlicher Perspektive besteht die Krux jedoch darin, dass die rund 2500 Gemeinden eine viel zu hohe Entscheidungskompetenz haben und dass in zu vielen Gemeinden das Recht, den Daumen nach oben oder nach unten zu halten, noch bei den Gemeindeversammlungen liegt und nicht bei den Gemeindeexekutiven und Spezialkommissionen.
Eine vom Zürcher Politologen Dominik Hangartner geleitete Studie von 2013 weist nach, dass von Exekutiven vorgenommene Einbürgerungen wesentlich gerechter funktionieren als Entscheide der so sehr geliebten direkten Demokratie. Oder umgekehrt ausgedrückt: Bei direktdemokratischer Zuständigkeit wird ein grosser Anteil qualifizierter Gesuchsteller aus «problematischen» Herkunftsländern diskriminiert.
Und was zum Basler Fall noch zu sagen ist: Es gibt gute Gründe, auf dem Schwimmunterricht zu bestehen. Dieser Durchsetzungswille sollte aber nicht nur bei muslimischer Jugend zum Zug kommen, sondern auch bei Kindern christlicher Religionsgemeinschaften und anderer Religionen. Diese haben aber in der Regel bereits die Staatsbürgerschaft und/oder können Privatschulen besuchen. Darum: Wird Muslimen die Einbürgerung verweigert, weil die Einbürgerungswilligen die Teilnahme am Schwimmunterricht verweigern, bleibt ein antiislamischer Nebengeschmack.