François Hollande hat die Schliessung des ältesten französischen Atomkraftwerks in Fessenheim versprochen. Doch nun läuft die Amtszeit des Präsidenten ungenutzt ab. Frankreich kann sich partout nicht zwischen Atomkraft und erneuerbaren Energien entscheiden.
Es wäre ein beschaulicher Flecken der oberrheinischen Tiefebene, ein Radlerparadies mit wogenden Feldern und schmucken Dörfern voller «Winstuben» und bunten Hausfassaden, wie es hier im Elsass Brauch ist. Und doch taucht Fessenheim in den wenigsten Fremdenführern auf.
Der Grund ist das lokale Atomkraftwerk. Dabei wird es nicht einmal durch Kühltürme verunstaltet: Das Fliesswasser des Rheinseitenkanals kühlt die Reaktoren zur Genüge. Dies bringt allerdings auch ein Problem mit sich. «Die Meiler liegen neun Meter unterhalb des Kanals», sagt der bekannteste Fessenheim-Gegner, der Atomphysiker Jean-Marie Brom, durch seinen weissen Vollbart. «Wenn die Deiche brechen, könnte es zu einer ähnlichen Überschwemmung wie in Fukushima kommen.»
Damit ist ein weiteres Problem angesprochen: Fessenheim liegt in einer Erdbebenzone, die sich durch den Rheingraben zieht. Nicht gerade der beste Standort für ein AKW. 1977, als der Doppelreaktor von Fessenheim eröffnet wurde (und zwar als erster des 58-köpfigen AKW-Parks in Frankreich), sah man geflissentlich darüber hinweg. Im Dorf tut man das noch heute.
Das wird frühestens 2018 der Fall sein – wenn Hollandes Amtszeit abgelaufen ist. Dass der unpopuläre Präsident wiedergewählt wird, ist unwahrscheinlich. Und die konservativen Präsidentschaftsfavoriten erklären, sie würden das AKW Fessenheim nicht stilllegen. Favorit Alain Juppé hat dies sogar in einem Brief an Parteifreund Brender im Rathaus von Fessenheim schriftlich festgehalten.
Hollandes Versuch, sowohl die nationale Nuklearindustrie wie auch die Umweltschützer zufriedenzustellen, wird für alle Seiten zum Desaster. Die grüne Partei EELV ist vor zwei Jahren wütend aus der Regierung ausgetreten, und die verunsicherten Atomkonzerne EDF und Areva sind in eine schwere Krise geschlittert.
Situation bleibt ungeklärt
Mit den nahenden Präsidentschaftswahlen (Mai 2017) will Hollande wenigstens noch einen formellen Schliessungsentscheid durchdrücken. Im August drängte er die EDF – an der die französische Regierung mit 85 Prozent der Anteile das Sagen hat – zu einem Abfindungsvertrag von vorerst 400 Millionen Euro für die Fessenheim-Abschaltung. Mitte September soll die AKW-Belegschaft über das Stilllegungsdekret informiert werden.
Gewerkschaften und EDF-Chef Jean-Bernard Lévy setzen aber alles daran, die Termine hinauszuzögern. Und selbst wenn es Hollande gelingen sollte, das Fessenheim-Dekret noch vor Mai 2016 zu unterzeichnen, sind die Folgen umstritten: Juristen sind sich uneins, ob ein neuer Präsident das Dekret einfach aufheben könnte – oder das Genehmigungsverfahren neu beginnen müsste.
Auch im Elsass ist niemand glücklich über die ungeklärte Situation. Fessenheims Bürgermeister Brender ereifert sich über die «absurde Lage», die das AKW und seine Gemeinde zum Spielball ferner Pariser Interessen mache.
Auf der Gegenseite klagt Aline Baumann vom Verein «Stop Fessenheim» ihrerseits über das «politische Rumgedruckse», das die jahrelang erkämpfte und endlich nahe geglaubte Stilllegung plötzlich wieder in weite Ferne rücke. «Während Italien, Österreich, die Schweiz oder Deutschland ihre Energiepolitik mutig revidiert haben», meint die Vereinspräsidentin, «ist Frankreich schlicht unfähig, aus der Atomkraft auszusteigen.»
Schweiz bezieht Strom aus Fessenheim
Bundesrätin Doris Leuthard hat ihre französische Amtskollegin Ségolène Royal 2015 in Paris mit Nachdruck daran erinnert, dass die Region Basel die raschestmögliche Schliessung des umstrittenen Atomkraftwerkes wünsche. Was weniger bekannt ist: Seit der AKW-Inbetriebnahme 1977 bezieht die Schweiz selber Strom aus Fessenheim. Ein Konsortium aus den drei Energieunternehmen Alpiq, Axpo und BKW hat mit der Betreiberin EDF ein Strombezugsrecht vereinbart. Es umfasst 15 Prozent der Leistung Fessenheims, rund 1800 Gigawattstunden im Jahr. Das ist etwas mehr, als der Kanton Basel-Stadt an Strom konsumiert. Als Gegenleistung hat sich das Konsortium an den Bau- und Investitionskosten beteiligt. Die Schweizer Energieunternehmen sind allerdings nicht Aktionäre von Fessenheim, wie der Konsortiumssprecher Andreas Meier auf Anfrage betont. Zur Frage der Stilllegung werden die drei Schweizer Stromproduzenten genauso wenig beigezogen wie die deutsche Energie Baden-Württemberg (EnBW), die ihrerseits 17,5 Prozent des Fessenheim-Stroms bezieht. Sollte Frankreich das AKW Fessenheim wirklich stilllegen, wäre es «legitim, angesichts der getätigten Investitionen über Entschädigungen zu reden», findet Meier weiter.