Obama ist schlimmer als Bush

Vor seinem Amtsantritt hat der jetzige US-Präsident den Vorgänger noch dafür kritisiert, viele US-Bürger ausspionieren zu lassen. Heute ist er dabei selbst sehr eifrig.

Der Applaus galt nicht der Politik von George W. Bush: Barack Obama hat seinen Wahlkampf auf der Kritik gegen seinen Vorgänger aufgebaut, nun zeigt sich, dass der amtierende US-Präsident in Sachen Überwachung seinem Vorgänger in Nichts nachsteht. (Bild: Charles Dharapak)

Vor seinem Amtsantritt hat der jetzige US-Präsident den Vorgänger noch dafür kritisiert, viele US-Bürger ausspionieren zu lassen. Heute ist er dabei selbst sehr eifrig.

Barack Obama hat sich einen Grossteil seiner Wählerschaft mit Kritik an der Politik von George W. Bushs aufgebaut. Seine Vorwürfe galten dessen Kriegen ebenso wie einer expandierenden staatlichen Überwachung. Als er dann selbst regierte, hat er freilich gerade das noch energischer betrieben als sein Vorgänger. Besonders problematisch wirkt die unter Obama  stattgefundene Anhäufung exekutiver Gewalt. Die zeigt sich besonders dann, wenn die amerikanische Regierung Telefondaten sammelt und dies juristisch rechtfertigt.

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Man kann von Überwachung in grossem und willkürlichem Stil reden. Gleiches gilt für Generalbundesanwalt Eric Holder. Der einst scharfe Kritiker der Ausspähpraktiken der Bush-Regierung wendet diese nun ebenfalls eifrig an. Am Beunruhigendsten ist bei alldem, dass Obamas Mannschaft mit den gleichen juristischen Doktrinen weitermacht.

Bevor das Gesetz zum Abhören in der Auslandsaufklärung (Foreign Intelligence Surveillance Act/FISA) im Jahr 2008 ergänzt wurde, war darin festgelegt: Das Abhören von Inlandsgesprächen durch die Regierung sei nur zulässig, wenn ein Gericht einen hinreichenden Verdacht dafür erkenne, dass das Ziel der Überwachung für eine ausländische Macht arbeite.

Einfach übernommen

Doch erwies sich die Bush-Regierung als juristisch geradezu virtuos. Schon bei der Legalisierung des Gefangenenlagers Guantánamo und der dortigen Foltermethoden legte sie beachtliche Kreativität an den Tag. Um die Bespitzelung ohne richterlichen Beschluss zu rechtfertigen, führte sie dann erfindungsreich an, das nach 9/11 verabschiedete Gesetz zur Genehmigung zum Einsatz militärischer Gewalt mache bestimmte Abschnitte von FISA implizit ungültig.

Der Nazi-Rechtsgelehrte Carl Schmitt wurde einmal als «graue Eminenz» der Bush-Administration bezeichnet. Denn nach 9/11 sei das Prinzip des «Ausnahmezustands» bemüht worden, um den Präsidenten mit «Führer ähnlichen» Befugnissen auszustatten. Man betrachtete diese Praktiken als «Krieg mit anderen Mitteln» – genau so nannte es der ehemalige Bush-Jurist John Yoo, dessen Gutachten die Folter im Rahmen des «Krieges gegen den Terror» legitimierten.

Nach 9/11 sei das Prinzip des «Ausnahmezustands» bemüht worden, um den Präsidenten mit «Führer ähnlichen» Befugnissen auszustatten.

Carl Schmitt, «Graue Eminenz» der Bush-Administration

Obama hat die rechtlichen Begrifflichkeiten der Bush-Regierung übernommen. Zudem hat er versucht, jedweden richterlichen Beschluss zu blockieren, der besagt hätte, dass unter der Bush-Regierung Gesetze umgangen oder gebrochen wurden. Ebenso berief er sich mit einigem Erfolg auf die staatliche Geheimhaltungsdoktrin, um jede gerichtliche Prüfung möglicher krimineller Handlungen in der Bush-Ära zu verhindern.

Was Abhöraktionen betrifft, so zählte dazu etwa der skandalöse Vorgang, bei dem die Regierung im Rahmen eines bundesstaatlichen Vorgehens gegen die Al-Haramain Islamic Foundation die Kommunikation zwischen der wohltätigen Organisation und ihren Anwälten ausspioniert hat. Obwohl die Foundation nachweisen konnte, was ihr widerfahren war, setzte sich die Obama-Regierung unter Bezug auf die staatliche Geheimhaltung dafür ein, dass ein entsprechendes Dokument nicht vor Gericht berücksichtigt werden durfte. Auch wenn sie gelobt hat, sich beim Gebrauch der Doktrin zurückzuhalten, hat sie doch immer wieder darauf zurückgegriffen.

Der Autor Glenn Greenwald berichtet von «zahlreichen kryptischen Warnungen zweier US-Senatoren», die vor «geheimen juristischen Interpretationen» warnten.

Sogar wenn es um die juristischen Begründungen für das Sammeln von Telefondaten geht, wird bis heute die Pflicht zum Schutz von Staatsgeheimnissen herangezogen. Der Autor Glenn Greenwald berichtet von «zahlreichen kryptischen Warnungen zweier US-Senatoren», die vor «geheimen juristischen Interpretationen» warnten, mit denen eine überwältigende Ausdehnung der Überwachungsbereiches gerechtfertigt würde. Sie werden mit den Worten zitiert: «Es klafft inzwischen eine erhebliche Lücke zwischen dem, was das Gesetz dem Glauben der meisten Amerikaner zufolge erlaubt, und dem, was das Gesetz laut den geheimen Behauptungen der Regierung erlaubt.»

Nun liesse sich argumentieren, diese Überwachung sei überhaupt nicht nötig. Der Generalinspekteur von fünf nachrichtendienstlichen Behörden hat 2009 einen Bericht veröffentlicht, der andeutete, dass die in FISA enthaltenen Auflagen in keiner Weise der Erfassung geheimdienstlicher Informationen im Wege standen. Diese Argumentation berührt jedoch nicht das Wesentliche. Mit welcher Rechtfertigung auch immer der Staat seine Möglichkeiten zum Sammeln von Informationen über seine Bürger erweitert – er hat dadurch auf jeden Fall mehr Optionen, egal ob sie repressiv oder produktiv sind. Ausserdem tut der Staat einiges dafür, das Informationsmonopol an sich zu reissen.

Die selben Mittel

Die übliche linke Kritik an solchen Praktiken ist durchaus berechtigt. Der Autor Stephen Holmes etwa schreibt, die Geheimhaltung untergrabe die Sicherheit, indem sie dem Staat erlaube, Fehler nicht nur zu verbergen, sondern auch weiterhin zu begehen. Die Notwendigkeit plausibler Begründungen für die verfolgte Politik entfällt. Besonders gilt dies für Notfälle. Holmes beschwört das Bild einer Notfall-Ambulanz, in der das medizinische Personal lebensbedrohliche Situationen bewältigen muss: Unterliegt ihr Handeln dabei nicht gewissen Regeln, ist es fehleranfällig.

Diese Metapher dürfte funktionieren, wenn man annimmt, dass es sich bei dem Patienten um den krisengeplagten amerikanischen Kapitalismus und seine globale Autorität handelt. Die Anhäufung exekutiver Macht durch Präsident Obama kann nur im Kontext seiner Mission verstanden werden, die globale Macht Amerikas wieder herzustellen, die produktive Basis zu rationalisieren und die Potential des Staates zur Entwicklung von Dysfunktionen zu vergrössern. In dieser Hinsicht unterscheidet seine Agenda sich nicht grundlegend von der seines Vorgängers – und deshalb bedient er sich auch der selben Mittel.

(© Guardian News & Media Ltd 2012; Übersetzung: Zilla Hofman, «freitag.de»)

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