Ein Dorfclub in der höchsten Fussballliga eines Landes? Dem sind zunächst die Sympathien der neutralen Zuschauer sicher. Was aber, wenn fast die Hälfte der obersten Spielklasse aus Dorfvereinen besteht? Dann hast du ein Problem – wie Österreich beweist.
Die neue Bundesliga-Saison ist in Österreich noch nicht einmal angepfiffen, da werden auch schon die ersten Rufe nach einer radikalen Reform laut. Und dabei sind die klagenden und kritischen Stimmen ausgerechnet aus jenem Verein zu vernehmen, der sich in der Vergangenheit recht wenig um die gesamtösterreichischen Fussball-Interessen geschert hat: Double-Gewinner und Krösus Red Bull Salzburg, der dank der Millionen aus dem Getränkeimperium zumindest finanziell ohnehin in einer eigenen Liga unterwegs ist.
«Das Produkt muss attraktiver werden», fordert nun also plötzlich vor dem ersten Spieltag am Wochenende auf einmal Ralf Rangnick, der bei den Bullen als Sportdirektor für die beiden Firmenteams aus Salzburg und Leipzig (Aufsteiger in die zweite deutsche Bundesliga) fungiert. «Hinsichtlich der Stärke der Liga besteht noch Ausbaupotenzial.»
Ganz ohne Eigennutz sind der Reformeifer und der Denkanstoss von Ralf Rangnick freilich nicht. Dem Leitbullen ist nicht entgangen, wie schlecht die österreichische Liga im internationalen Vergleich dasteht. Das macht es für ihn einerseits äusserst schwierig, Spieler mit Potenzial nach Salzburg zu holen, was meist nur mit den süssesten finanziellen Zuckerln möglich ist, andererseits leidet indirekt auch die internationale Performance der Salzburger unter dem schwachen Niveau.
Die Bullen sind neidisch auf den FC Basel
Nichts wäre Rangnick und den Bullen lieber als ein fixer Startplatz in der Champions League, wie ihn sich zum Beispiel der FC Basel durch die Serienerfolge der letzten Jahre verdient hat. Doch davon sind die Salzburger noch weit entfernt. Auch deshalb, weil es an österreichischen Mitstreitern fehlt, die auf der europäischen Fussballbühne für die nötigen Erfolge und Punkte sorgen.
Die Konsequenz: In der Fünfjahreswertung der Uefa, die für die Vergabe der Europacup-Startplätze herangezogen wird, ist Österreich im Hintertreffen. Je besser ein Land in der Fünfjahreswertung platziert ist, desto mehr Vereine aus dem Land haben die Möglichkeit, am internationalen Wettbewerb teilzunehmen.
Aktuell liegt die Schweiz in dieser Tabelle als 13. (33,225 Punkte) einen Rang vor dem Nachbarn Österreich (30,925) – deshalb darf heuer neben dem Fixstarter FC Basel mit den Grasshoppers noch ein zweiter Verein aus der Super League auf die Teilnahme in der Champions League hoffen.
Die Chancen, dass die Österreicher die Schweiz im Uefa-Ranking langfristig überholen, sind allerdings trotz des derzeit knappen Rückstands gering. Dazu fehlt es neben Red Bull Salzburg an den nötigen Punktelieferanten, dafür schickt Österreich alle Jahre wieder zu viele «Exoten» ins Europacup-Rennen.
Nach dem Drittligisten im Europacup jetzt ein Zweitligist
Nachdem 2013 der Drittligist Pasching als nationaler Cupsieger die internationale Bühne betreten durfte und dabei – wenig überraschend – durch das sofortige Ausscheiden keine entscheidenden Punkte für die Uefa-Fünf-Jahreswertung beisteuern konnte, sind in diesem Jahr mit St.Pölten und Grödig die nächsten beiden Europacup-Neulinge am Werk.
Zweitligist St.Pölten qualifizierte sich als Cupfinalist (Niederlage gegen Salzburg) für den Europacup, Grödig hatte als Aufsteiger in der letzten Runde Vorjahrsmeister und Champions League-Teilnehmer Austria Wien vom dritten Platz abgefangen. Für die Grödiger ist schon die zweite Europa League-Qualifikationsrunde eine Nummer zu gross: Weil das kleine Stadion in der 8000-Seelen-Gemeinde nicht den internationalen Anforderungen entspricht, muss der Verein in die Bullenarena ausweichen.
Wenn sich am kommenden Donnerstag im Rückspiel gegen Cukaricki Belgrad 3000 Fans in die 30’000-Zuschauer-Arena verirren, fällt das schon unter «Massenansturm». Für die Vereinschroniken von St.Pölten und Grödig sind die Europacup-Starts ein Höhepunkt, für den österreichischen Fussball sind die beiden Vertreter, die es wohl beide nicht über die Qualifikationsspiele hinaus bringen werden, ein kleines Dilemma.
Die Fehler der Traditionsclubs
Dabei kann man den kleinen Teams überhaupt keinen Vorwurf machen. Sie haben einfach nur die triste Situation ausgenutzt, in der sich der nationale rot-weiss-rote Fussball befindet. Dass die österreichische Bundesliga in den letzten Jahren zusehendes zu einer Dörferliga verkommen ist, haben in erster Linie die alten Traditionsvereine zu verantworten, die sich einer nach dem anderen wegen finanzieller Probleme aus der obersten Spielklasse verabschiedet haben – oder verabschiedet werden mussten.
Der GAK aus der zweitgrössten österreichischen Stadt Graz, Meister 2004? Musste im Vorjahr nach mehreren Konkursen in der achten (!) Spielklasse einen Neustart machen; der LASK aus der drittgrössten österreichischen Stadt Linz, 1965 der erste Meister, der nicht aus Wien kam? Schaffte soeben den Aufstieg in die 2.Liga. Austria Klagenfurt, der Verein mit dem schönsten Stadion Österreichs, der Wörthersee-Arena, in der 2008 auch der EM-Ball rollte? Nur mehr in der Regionalliga am Ball. Wacker Innsbruck, zehnfacher österreichischer Meister, bei dem seinerzeit (2001/02) auch der junge Joachim Löw auf der Trainerbank sass? Abgestiegen in die 2.Bundesliga.
Das triste Bild
Und so ergibt sich dieses triste Bild in der Bundesliga, in der mittlerweile nur mehr drei von neun österreichischen Landeshauptstädten mit einem Verein vertreten sind (Wien, Salzburg, Graz). Dafür dominieren inzwischen die Dorfvereine wie Grödig (8000 Einwohner), Ried (10’000) oder Aufsteiger Altach (6000). Zum Vergleich: In der zweithöchsten österreichischen Spielklasse sind fünf Landeshauptstädte vertreten (Wien, St.Pölten, Linz, Salzburg, Innsbruck) und schon werden in Österreich Wetten angenommen, dass an so manchem Spieltag die zweite Liga mehr Zuschauer anlocken wird als die Bundesliga.
Das sind genau die Probleme, vor denen Ralf Rangnick warnt. Er ersehnt sich für seine Salzburger Auftritte in schöneren Stadien und prominentere Gegner, als Vereine aus Dörfern, die bis vor wenigen Jahren auf der österreichischen Fussballlandkarte nicht auszumachen waren.
Für den Sportdirektor gibt es nur eine sinnvolle Lösung: Das Ende der Zehnerliga, die in der Saison 1995/96 eingeführt worden war, und eine Aufstockung auf 14 oder 16 Teams. «Mit den attraktivsten und geilsten Fussballstandorten» des Landes, so Rangnick, der freilich weiss, wie schwierig dieses Unterfangen ist. Denn: «Von meinen 16 attraktivsten Fussballstandorten sind zehn jetzt einmal gar nicht da. Der Sport alleine schafft das nicht, daher würde man auch die Unterstützung von Wirtschaft und Politik benötigen.»