SPÖ und ÖVP können weder mit-, noch ohne einander. Die ehemaligen Grossparteien haben sich zwar auf eine neuerliche grosse Koalition geeinigt, drohen aber erst recht zu scheitern.
Sie haben es erst im September getan, und sie würden es am liebsten schon wieder tun. 47 Prozent der Österreicher würden sich baldige Neuwahlen wünschen. Das ist weniger auf den Urnengang vor zweieinhalb Monaten zurückzuführen denn auf die immer wieder stockenden wie lähmenden Verhandlungen zwischen den Sozialdemokraten (SPÖ) und den Christdemokraten (ÖVP). Die beiden ehemaligen Grossparteien sind mittlerweile dermassen geschrumpft, dass sie ohne einander kaum können, obwohl sie miteinander erst recht nicht können. Das ist das Dilemma, in dem sich Österreich befindet. Es wird sich nicht lösen, obwohl sich die «Grosskoalabären», wie sie in den Social Medias tituliert werden, trotz allem nun wieder zusammengerauft haben.
Das Wiener Nachrichtenmagazin «Profil» zeigte zuletzt wunderbar auf, dass SPÖ und ÖVP so lange miteinander koalierten wie kein anderes europäisches Parteienduo – und sich doch immer weiter voneinander entfernten. Im Dezember 1945, unmittelbar nach Kriegsende, entfielen 95 Prozent der Wählerstimmen auf die zwei Gruppierungen, heuer schafften sie gemeinsam gerade einmal 51 Prozent. Sowohl SPÖ (27 Prozent) als auch ÖVP (24 Prozent) verbuchten ihr schlechtestes Ergebnis in der Geschichte der Zweiten Republik. Personelle Konsequenzen hatte das nicht, Bundeskanzler Werner Faymann und Vizekanzler Michael Spindelegger bleiben federführend. Neu und bemerkenswert ist bloss, dass Spindelegger künftig nicht mehr den Aussen-, sondern den Finanzminister macht. Als Aussenminister beerbt ihn der erst 27-Jährige Sebastian Kurz.
Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) und Vizekanzler Michael Spindelegger (ÖVP) im TV-Duell vor der Wahl.
Von den Oppositionsparteien profitiert vor allem die rechte FPÖ, die heuer zwar nicht in dem Mass mit ausländerfeindlichen Parolen auffiel wie früher, aber unverändert ihre – wohl im doppelten Wortsinn – liebe Not damit hat, sich von alten wie neuen Nazis abzugrenzen. Ihr Wahlergebnis (20,5 Prozent) gemahnte an die besten Tage der rechten Ikone Jörg Haider, des vor mehr als fünf Jahren bei einem Autounfall tödlich verunglückten Kärntner Landeshauptmanns. Doch gemeinsam mit der FPÖ, deren Parteichef Heinz-Christian Strache sich gern in der Opferrolle sieht und unter anderem mit dem Spruch «Wir sind die neuen Juden» auffiel, die Regierungsbank drücken? Das hat Faymann stets kategorisch ausgeschlossen, und das kam auch für Spindelegger nicht in Frage.
Auf der Stelle treten
Weiterwursteln, ein klassisches österreichisches Wort, trifft es am besten. Wer weiterwurstelt, der tritt auf der Stelle, der kommt nicht vom Fleck. Grosser Wurf oder kleinster gemeinsamer Nenner, so lautete am vergangenen Sonntag der Titel einer grossen TV-Diskussion. Die Antwort indes stand schon vorher fest, und das Wort «Wurf» kam und kommt darin nicht vor. Seit Jahr und Tag scheitern SPÖ und ÖVP daran, die grossen Aufgaben zu bewältigen, dieses Scheitern hat längst Methode, schliesslich werden die Aufgaben gar nicht erst angegangen. Die im Wahlkampf da wie dort versprochene Steuerreform? Verschoben. Gesundheitsvorsorge? Vertagt. Pensionen? Abwarten. Schulsystem? Nicht jetzt.
Immerhin geht den österreichischen Kabarettisten der Stoff nie aus. «Maschek redet drüber» ist eine Gruppe, die damit bekannt wurde, dass sie per Video eingespielte Politikermundbewegungen mit falschen und also komischen Synchrontexten versah. Daraus entstand eine Puppentheatershow, für die nach Zeichnungen des Karikaturisten Gerhard Haderer unzählige Politikerpuppen hergestellt wurden. Das jüngste Programm mit dem Titel «Bye-bye Österreich» ist im Wiener Rabenhof-Theater bereits Mitte November angelaufen. Die Regierungsbildung haben «Maschek» weder abwarten wollen noch müssen, um beim Publikum einen Lacherfolg zu landen.
Das Programm «Bye, bye Österreich» von der Künstlergruppe «Maschek redet drüber».
Immerhin geht den Kabarettisten in Österreich der Stoff nie aus.
Herr und Frau Österreicher schielen nicht selten in die Schweiz, und meistens tun sie das durchaus neidisch. Was den sportlichen Vergleich angeht, fühlt sich Österreich der Schweiz derzeit höchstens im Skifahren (manchmal) überlegen, wobei dieses Gefühl fast allein auf dem Gesamtweltcupsieger und Slalomstar Marcel Hirscher beruht. Im Fussball sind die Österreicher von Augenhöhe weit entfernt. Da kann das vom Schweizer Marcel Koller trainierte Team nicht mit der Schweizer Nationalmannschaft mithalten, zuletzt wurde die WM 2014 relativ klar verpasst. Und von den Erfolgen eines FC Basel können österreichische Klubs nur träumen, trotz vieler Euro-Millionen, die Red Bull in Salzburg investiert.
Doch der österreichische Neid beruht auch auf politischen Gegebenheiten. Immer wieder ist von eidgenössischer Flexibilität die Rede, weil die Österreicher vergleichsweise wenig Mitspracherecht haben. Volksentscheide sind eher die Ausnahme denn die Regel. Gerade einmal zwei echte Volksabstimmungen hat es je gegeben, eine 1978 über die Nutzung von Atomenergie (Resultat: Nein, danke mit 50,5 Prozent), eine 1994 über den Beitritt zur Europäischen Union (Ja, bitte mit 66,6 Prozent). Von 37 Volksbegehren konnten 32 mehr als 100 000 Unterschriften verbuchen, was in Österreich allerdings allein dazu führt, dass das jeweilige Anliegen der Menschen im Parlament besprochen werden muss.
Verspäteter Bundesrat
Mit direkter Demokratie ist es in Österreich nicht weit her. Was liegt, das pickt, sagt man nicht nur beim Kartenspielen. Alle fünf Jahre wird gewählt, und dann will sich das Volk auf seine Vertreter verlassen können.
Doch in jüngerer Vergangenheit hat es sich eher verlassen gefühlt. SPÖ und ÖVP klammern sich an die Macht ohne Plan, wie sie, die Macht, erhalten werden könnte. So gehen Beobachter davon aus, dass die Grosse Koalition zum letzten Mal zustande kommen wird. «Doch selbst die historische Zeitenwende», kommentierte «Profil», «führte zu keinem Umdenken. Zu tief sind beide Parteien von ihren historischen Differenzen geprägt.»
Und zu gross ist die Zahl derer, die mitreden dürfen. SPÖ und ÖVP haben sich das Land im Lauf der Jahre und unter dem Titel «Sozialpartnerschaft» praktisch aufgeteilt. Klassische Klientelpolitik ist die Folge, die Sozialdemokraten kümmern sich um Arbeiter, Gewerkschaften und Pensionierte, bei den Christdemokraten reden Beamte, Bauern und die Wirtschaft mit. Hinzu gesellen sich die neun «Landesfürsten». Österreich, so klein es auch ist und mit seinen 8,5 Millionen Einwohnern so vergleichbar mit der Schweiz, ist in neun Bundesländer unterteilt. Diese Zahl mag sich gegenüber 26 Kantonen gering ausnehmen, doch ist der Einfluss der Bundesländer auf die österreichische Staatspolitik enorm.
Wäre Österreich nicht so unbedeutend, es hätte sich zum internationalen Gespött gemacht.
Ohne die neun Landeshauptleute (oder eben auch Fürsten genannt) geht gar nichts. Der Wiener Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ) treibt Bundeskanzler Faymann vor sich her, sein ÖVP-Pendant ist Niederösterreichs Landeshauptmann Erwin Pröll, der Vizekanzler Spindelegger den Weg weist. Was die Verwaltung betrifft, gibt es teure Doppelspurigkeiten sonder Zahl. Dazu kommt ein zweigeteiltes Parlament, das neben dem wichtigen Nationalrat auch noch einen Bundesrat beherbergt.
Der Bundesrat ist derart unbedeutend, dass der Name selbst seines Präsidenten bis vor kurzem nur wenigen echten Insidern ein Begriff war. Doch plötzlich hiess es, just Reinhard Todt würde zu den Mandela-Trauerfeierlichkeiten nach Südafrika fliegen. Über die Staatsspitzen zog ein Shitstorm hinweg, sie entschuldigten ihre aktuelle Heimatverbundenheit mit den damals noch laufenden Koalitionsverhandlungen – als wäre es auf zwei Tage mehr noch angekommen.
Übrigens traf auch Herr Todt, der noch Verpflichtungen in Wien hatte, zu spät für die zentrale Gedenkfeier in Johannesburg ein. Wäre Österreich nicht so unbedeutend, es hätte sich zum Gespött der internationalen Politik gemacht. So bleibt man halt weiterhin unter sich, und kaum jemand redet drüber. Ausser wahrscheinlich bald schon die Kabarettisten.