«Ohne Facebook wären wir aufgeschmissen»

Während in den Medien diskutiert wird, ob internationale Hilfe effizient und die nepalesische Regierung fähig genug ist, um dem Schaden zu begegnen, hat die junge Zivilbevölkerung des Landes die Sache längst selbst in die Hand genommen. Ein Gespräch mit Ritika Singh (25), einer Freundin aus Nepal.

(Bild: Picasa)

Während in den Medien diskutiert wird, ob internationale Hilfe effizient und die nepalesische Regierung fähig genug ist, um dem Schaden zu begegnen, hat die junge Zivilbevölkerung des Landes die Sache längst selbst in die Hand genommen. Ein Gespräch mit Ritika Singh (25), einer Freundin aus Nepal.

Liebe Ritika, wie hast du selbst das Erbeben erlebt?

Ritika Singh: Ich hätte nie gedacht, dass eine Minute so lange dauernd kann. Es war wirklich grauenvoll, weil es einfach kein Ende nahm. Nach dem grossen Beben gab es 70 Nachbeben. Noch immer gibt es kleinere Beben, sechs Tage danach.

Am Dienstag, 5. Mai, war der nationale Solidaritätstag der Schweiz für Nepal. Mehr Infos. Lesenswert auch der Augenzeugenbericht von Veronika Wulf vom Beben.

Wie hast du die Reaktion der Bevölkerung erlebt?

Es war erstaunlich wie schnell sich die jungen Menschen des Landes zusammengefunden haben. Ungeachtet der Regierung oder irgendwelchen Organisationen. Gruppen mit Motor- und Fahrrädern taten sich zusammen, um auch in entlegene Gebiete zu kommen und dort Schutt und Müll wegzuräumen. Sie sammelten alle ihre Ressourcen, um den Betroffenen zu helfen. Es ist wahr, dass die Jugend die Zukunft des Landes baut.

Du bist seither sehr aktiv auf Facebook. Wie wichtig sind soziale Netzwerke für die Organisation der Zivilbevölkerung?

Sehr wichtig. Ohne Plattformen wie Facebook wären wir aufgeschmissen. Wir haben Gruppen gebildet, in denen wir uns austauschen und koordinieren, wo welche Form von Hilfe gebraucht wird. Ein gutes Beispiel dafür ist die Website nepalrelief.net, auf der Fahrzeuge angeboten, wichtige Nummern gepostet oder einfach Informationen bereitgestellt werden.

Wie kann man sich die Arbeit der Zivilbevölkerung zurzeit vorstellen?

Unsere Arbeit ist vor allem Rettung und akute Hilfeleistung. Noch immer werden Leichen geborgen und Hilfsmaterial wie Reinigungstabletten, Seifen, Masken, Handschuhe oder Binden müssen verteilt werden. Die Hilfe der internationalen Gemeinschaft in Form von Geld ist nicht unsere Sache, darum kümmern sich vor allem grössere Organisationen und die Regierung. Bleibt zu hoffen, dass das Geld gerecht verteilt wird.

Wie empfindest du die Hilfe der internationalen Gemeinschaft?

Die internationale Hilfe kam ziemlich schnell, jedoch gab es Probleme bei der Koordination. Die Güter werden oft nicht dorthin verteilt, wo sie am meisten gebraucht werden. Auch der Zoll bereitete uns in den ersten Tagen Schwierigkeiten, da er die Beschränkungen nicht aufheben wollte. Das hat sich jetzt zum Glück gebessert.

Was braucht Nepal am dringendsten?

Noch immer braucht es dringend Hilfe in den ländlichen Gebieten des Landes. Noch vor dem Geld ist akute Rettung notwendig. Menschen sind zum Teil noch lebend begraben und durch das schlimme Unwetter steigt die Seuchengefahr, unsere grösste Sorge. Hygieneartikel sind überall gefragt.

Was geht dir durch den Kopf, wenn du an die Zukunft von Nepal denkst?

Die Zerstörung ist immens. Alles neu aufzubauen wird Jahre dauern. Wir müssen uns wappnen für einen sehr langen Kampf um den Wiederaufbau.

Wie geht es dir persönlich?

Ich hatte sehr viel Glück. Unser Haus steht noch, meine Familie und meine Freunde sind alle wohlauf. Ich wüsste nicht, was ich mir an dieser Stelle mehr wünschen könnte.

Zur Person: Ritika Singh ist 25 Jahre jung und ausgebildete Sozialarbeiterin. Sie arbeitete zwei Jahre bei der Internationalen Organisation für Migration (IOM) in Nepal. Heute unterrichtet sie am Thames International College und arbeitet als Freelance-Schreiberin.

Ich lernte Ritika vor drei Jahren in Indien in einem Auslandssemester kennen. Ich habe sie so in mein Herz geschlossen, dass ich nach dem Studium meine Reiseroute änderte und sie in Nepal besuchen ging. Ich wohnte ein paar Tage mit ihr bei ihren Eltern in Kathmandu. Zum Frühstück kochte uns ihre Mutter Linsen mit Reis, ebenso zum Abendessen. Ritika ist wohl der höflichste Mensch, den ich je kennenlernte. Sie pflegt einen äusserst respektvollen Umgang mit ihrer Umgebung. Sie ist intelligent und politisch aktiv in ihrem Land. Ich habe sie seither nie mehr gesehen, aber wir haben uns ab und zu geschrieben.

Als ich von dem Erdbeben in Nepal erfuhr, schrieb ich ihr eine Nachricht auf Facebook und zu meiner Überraschung antwortete Ritika sogleich: «It was really freaky, but I am ok.» Das war alles. Seither ist sie ständig auf Facebook, um die Nothilfe zu koordinieren. Immer wieder wird sie auf Fotos markiert, wie sie Trümmer schleppt oder Hygieneartikel verteilt.

In Posts wird sie gelobt für ihr grosses Engagement. Wenn man sie darauf anspricht, weicht sie aus. Sie sei nur eine von vielen. Und was sonst sollte sie denn tun, ausser helfen?

 

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