Die Basler Clublandschaft serbelt: Innerhalb einer Woche wurde die Schliessung von vier Lokalen bekannt. Die Solidaritätswelle schlägt hoch, dabei ist für die Clubschaffenden klar: Sie brauchen nicht Unterstützung vom Staat, sondern mehr Raum für ihre Ideen.
Es ist eine besondere Welt, die die Schlagzeilen der vergangenen Woche in der Region beherrschte. Eine Welt, in der das Leben dann beginnt, wenn die Menschen ihr Tagwerk beendet haben, wenn die Musik laut wird, die Luft nach Schweiss und Alkohol riecht und die Menschen zu feiern beginnen.
Es ist eine Welt jenseits des öden Gefüges täglicher Arbeit, eine Welt, die von den Auswüchsen menschlicher Ausgelassenheit geprägt ist: Liebe, Sex, Eifersucht, Trauer, Euphorie, Drogen auch, in teils ungesunden Mengen. Es ist die Welt der Clubs, der DJs, der Nachteulen. Eine Welt aus Musik und Tanz.
Die Nachrichten, die die Tageswelt üblicherweise von hier erreichen, sind meist kalte Überbleibsel durchtanzter Nachtstunden: Schlägereien, Vandalismus, sexuelle Übergriffe. Meist bleiben aber ein Kater in Kopf und Körper, ein paar Erinnerungen an eine gute Zeit und manchmal nicht mal das.
Eine ganze Reihe an Schliessungen
Oder es sind Nachrichten über das Ende von Club-Betrieben. Wie die Schliessung des Nordsterns per Ende Jahr, weil die Gebäudebesitzerin IWB Eigenbedarf geltend macht. Wie die Schliessung des Hinterhofs, wo die mit dem Staat vereinbarte Zwischennutzung per Ende Januar 2016 endgültig endet.
Weitere folgen: Im Frühling 2016 macht die Lady Bar an der Feldbergstrasse dicht, auch der Club Garage zwischen Heuwaage und Zoo schliesst nächstes Jahr. Letztere schliesst wegen einem Umbau, die Lady Bar ist am Ende einer Zwischennutzung.
Solidaritätsmaschinerie ohne Ziel vor Augen
In der Szene waren die anstehenden Schliessungen bereits bekannt oder zumindest absehbar, aufgeschrien hat niemand. Erst seit der Publikation der Schliessungen in der «bz Basel vom vergangenen Samstag ist eine Maschinerie an Solidaritätsbekundungen angelaufen.
Der Rockförderverein postulierte umgehend: «Basel, schläfst du schon?» Die Facebook-Gruppe «Für ein junges, lebendiges Basel» entstand und generierte innerhalb einer Woche knapp 5800 «Likes», deren Ziel es nach Eigenbeschrieb ist, «so viele Menschen wie möglich zu motivieren und danach zusammen einen Weg zum Ziel zu finden.» Was danach folgen soll, davon haben die Gründer – zwei Studierende – noch keine konkrete Idee.
«Eine Stadt ohne Jugendkultur ist eine tote Stadt»
Und während die Zeitungen erneut die Schlagworte «Clubsterben» und «Schlafstadt Basel» herumreichten, gaben sich Politiker voller Tatendrang: Parlamentarier der Gruppe «Kulturstadt jetzt» kündigten einen Vorstoss an, Inhalt noch unbekannt.
Die Jungliberalen schlugen vor, städtische Ausgangszonen zu schaffen. Die Jungsozialisten verschickten am Donnerstag eine Mitteilung mit dem Titel: «Eine Stadt ohne Jugendkultur ist eine tote Stadt.» Und auch der Kulturchef des Kantons, Philippe Bischof, stellte öffentlich die Frage, wo denn die Lobby der Clubkultur sei, die hier doch aktiv werden sollte?
Die Öffentlichkeit reagierte so, wie sie auf Nachrichten über Verluste üblicherweise reagiert: Mit raschen Solidaritätsbekundungen und Ansagen politischer Aktivitäten. Sie ruft den Gesetzgeber an, etwas zu unternehmen.
Nicht noch mehr Staat – lieber weniger
Nur: Jener Welt ist nicht mit beherztem Eingreifen des Staates zu helfen. Denn die Welt der Ausgelassenheit ist darauf ausgelegt, früher oder später mit einem Gesetz in Konflikt zu kommen. Das sind vor allem Lärmklagen, aber auch bauliche Auflagen für die Clubs.
So beklagt Nordstern-Betreiber Agron Isaku, dass er sich vergeblich um einen neuen Standort bemüht habe: Es hagelte Absage um Absage, kein Liegenschaftsverwalter wollte einen Nachtclub in einem seiner Gebäude. Isaku erwog, sich auch in Zürich umzusehen, wie er gegenüber der bz sagte. Die Erfolgsaussichten seien dort womöglich besser. Gleiche Probleme wie der Nordstern beschäftigen auch Hinterhof-Betreiber Philipp Hersberger.
Das Lied von Lärmklagen, baulichen Auflagen und weiteren Einschränkungen kennt auch Jonas Lottner. Der Betreiber des ehemaligen «Schlachthof» ist in der Szene bekannt und vernetzt. «Wir brauchen keine Partyzone in der Stadt und auch kein Geld für Clubs», sagt Lottner.
Kosten explodieren wegen Bauvorschriften
In einem ausführlichen Post auf Facebook (nicht öffentlich) grenzt er das Problem aus seiner Sicht ein. Bauvorschriften, die Zwischennutzungen wie permanente Einrichtungen behandeln, würden die Investitionskosten für Betreiber ins Unrealistische treiben. Lärmvorschriften, die eine Party bei der ersten Anwohnerklage verstummen lassen, verunsichern die Veranstalter. Und kantonale Zonenplanungen, die auf eine schnelle Bebauung durch Grossinvestoren ausgelegt sind, würden für Clubs geeignete Flächen zubauen.
Die Klagen sind nicht neu, aber sie sind drängender denn je. «Es geht nicht darum, Fördermassnahmen für Clubs zu treffen», so Lottner. «Es geht darum, Vorschriften abzubauen und den Ermessensspielraum auch zugunsten der Clubs auszulegen.» Partygänger seien keine «drogenabhängigen, räubernden Chaoten, sondern wählende Bürger und Steuerzahler», schreibt Lottner in seinem Post.
Wachstum dank Wildwuchs
Die Welt des Nachtlebens ist nicht durch Fördervereine, Subventionen und staatlich sanktionierte Lokalitäten aufzufangen. Es war der Wildwuchs, der die Szene wachsen liess: Einer eröffnet einen Club, lässt ihn bespielen, der Erfolg spricht sich herum, die Gästezahl wächst und damit auch der Club.
«Im ersten Jahr musste selbst ein heute so erfolgreicher Club wie der Hinterhof ums Publikum kämpfen», erinnert sich Thom Nagy, Basler DJ und Digitalstratege bei der TagesWoche, «das Lokal lag in den Köpfen der Partygänger zu weit weg, man war es sich nicht gewohnt, für eine Clubnacht ins Dreispitz hinaus zu fahren.» Heute aber führt dessen anstehende Schliessung zu einem Aufschrei. Das geduldete Kind auf dem brachliegenden Areal des Kantons wuchs zu einem gefeierten Erwachsenen heran, der in Jahresfrist in der Blüte seiner Existenz beerdigt wird.
«Eine lebendige Szene braucht kleine und wendige Unternehmer, die experimentieren und damit auch Risiken eingehen können, ohne viel Kapital dafür aufnehmen zu müssen», so Nagy. «Auch deshalb ziehen Zwischennutzungen die Clubschaffenden an.» Seien die behördlichen Schranken für den Wettbewerbs-Eintritt allerdings von Beginn weg zu hoch, würden nur wenige den Sprung ins Ungewisse wagen.
«Nur noch Geldwäscherclubs und private Partykeller?»
Die Konsequenz? Jonas Lottner schreibt in seinem Facebook-Post: «Wenn sich nichts ändert, wird sich das Nachtleben wohl auf Geldwäscherclubs, private Partykeller und Exilfeierer verteilen.»
Das Geschäft sei für die meisten nicht besonders einträglich, sagt Lottner: Viele Betriebe haben vor allem an Wochenenden geöffnet, den grossen Reibach mache man damit nicht. Erst recht nicht, wenn insbesondere bauliche Auflagen einzuhalten seien, die kaum wieder einspielbare Investitionskosten zur Folge hätten.
Diese Welt aus Musik und Tanz, sie lebt nicht ohne einen Ort, an dem sie stattfinden kann, und sie lebt nicht ohne Menschen, die den Ort bewirtschaften. Mit mehr oder weniger Profit, aber nicht mit der Aussicht auf finanziellen Ruin.
Verborgen hinter Schallisolationen bleibt die Lobby stumm
Diese Welt hat keine Lobby, die sich Gehör verschafft oder die Öffentlichkeit sucht. Wenig dringt aus dieser Welt, die so oft ein Geschäft zwischen den Paragrafen ist und auf stillgelegten Arealen stattfindet, die gerade anders nicht zu bewirtschaften sind. Wenig dringt aus einer Welt, die von der Ausgelassenheit der Nacht lebt und sich hinter dicken Schallisolationen verbirgt, um Lärmklagen der omnipräsenten Nachbarn zu vermeiden.
So viele Menschen wie möglich sollen zusammen einen Weg zum Ziel finden, postulieren also nun die Gründer der aus dem Nichts boomenden Facebook-Gruppe «Für ein junges, lebendiges Basel». Ja, doch, das klingt ansprechend.
Aber welches Ziel denn? Die Clubwelt legt eines vor: Den Dschungel aus Paragrafen und Einschränkungen abzuholzen und dem Wildwuchs den Raum lassen, um blühen zu können.